In Leipzig haben sich 12 linken Gruppen zusammengeschlossen, darunter „Ende Gelände“, das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ und die linksradikale Gruppe „Prisma“. Am 1. Mai wollen sich die Aktivist*innen auf einer angemeldeten Kundgebung für die Sicherung des Einkommens für Alle und ein gerechteres Gesundheitssystem einsetzen. Die Coronakrise sehen sie als Chance, die außerparlamentarische Linke neu zu ordnen. Im Gespräch mit Max Zeising erklären Bündnismitglieder, worauf es ihnen ankommt.
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Warum ist es wichtig, am 1. Mai auf die Straße zu gehen und nicht bloß online zu demonstrieren?
Linke Versammlungen am 1. Mai haben eine historische Tradition. Für uns sind sie gerade in diesem Jahr ein zwingendes Mittel, um für höhere Löhne, mehr Arbeitsschutz und Schutz generell sowie mehr Mitbestimmung zu streiten. Als 1.-Mai-Bündnis haben wir uns bewusst das Ziel gesetzt, auch Menschen außerhalb „unserer Blase“ zu erreichen. Deshalb haben wir uns dafür entschieden, auch auf die Straße zu gehen. Gerade in diesen Zeiten erreicht eine klassische Demonstration noch mal eine größere Aufmerksamkeit als die typischen Online-Formate, die nur von bestimmten Menschen wahrgenommen werden.
In Erfurt und Aue wollen am 1. Mai Rechte auf die Straße gehen. In den vergangenen Jahren hat sich die außerparlamentarische Linke im Osten stark auf die Blockade dieser rechten Demos konzentriert. Warum setzt man in diesem Jahr auf eigene, soziale Aspekte?
In den vergangenen Jahren am 1. Mai wurden vor allem in Ostdeutschland notwendige Abwehrkämpfe geführt. Die aktuelle Krise ist für uns jedoch Anlass, um für einen fairen Lastenausgleich, Umverteilung und Vergesellschaftung auf die Straße zu gehen. Und als gesellschaftliche Linke in die Offensive zu kommen. Das klare Zeichen, was von dieser Demonstration ausgehen soll: Wir stehen an der Seite der Prekarisierten und Ausgegrenzten. In der Krise wird mehr als deutlich, wer die für unser aller Überleben notwendige Arbeit leistet.
Um welche Menschen geht es konkret?
Wir sprechen hier u.a. von Verkäufer*innen in den Geschäften, von Beschäftigten in der Lebensmittelindustrie und im Gesundheitswesen, von Fahrer*innen im notwendigen Personen- und Güterverkehr, vom Versandhandel, der Müllabfuhr, den Wasserwerken, dem Reinigungsgewerbe und den vielen anderen, deren Arbeiten nicht auf der großen Bühne der Gesellschaft stattfinden, diese aber tragen und überhaupt erst ermöglichen. Es ist beschämend, dass die Leistung dieser Menschen so oft keine Anerkennung findet. Es ist beschämend, dass so viele, denen wir dieser Tage unser Überleben zu verdanken haben, nach einem langen Berufsleben auf eine nur spärliche Rente zusteuern, während unser Wirtschaftssystem einen noch nie da gewesenen Reichtum für einige wenige produziert. Es ist Zeit, dass diese Ignoranz, diese gesellschaftliche und politische Geringschätzung existenzieller Berufsgruppen ein Ende hat. Und selbstverständlich gehört hierzu auch die Frage der Entlohnung. Jetzt ist die Zeit für Arbeitskämpfe!
Wie betrachtet ihr das deutsche Gesundheitssystem?
Es ist nicht länger hinnehmbar, dass in den letzten 30 Jahren die Behandlungs-Kapazitäten der Krankenhäuser massiv reduziert wurden. Wir sagen deshalb: Die Welt nach Corona muss eine andere sein. Was wir brauchen, ist ein solidarisches und bedarfsorientiertes Gesundheitssystem. Wir sagen: Keine Profite mit unserer Gesundheit. Zugleich ist es nicht hinnehmbar, dass in der Krise noch mehr unbezahlte Fürsorge-Arbeit geleistet werden muss, die keine gesellschaftliche Anerkennung findet. Außerdem ist ein Anstieg häuslicher Gewalt zu verzeichnen. Wir fordern daher mehr Geld, Ausstattung und Personal für Frauenhäuser. Auch die Lage an den EU-Außengrenzen ist katastrophal. Es ist beschämend, dass 20.000 Geflüchtete in Moria/Lesvos ohne Hygieneartikel festgehalten werden, während osteuropäische Erntehelfer*innen aus Kapitalinteressen nach Deutschland eingeflogen werden. Auch Obdachlose müssen in Anbetracht der gesundheitlichen Gefahrensituation geschützt werden. Wir fordern daher sichere Unterkünfte und Rückzugsräume für Obdachlose und Geflüchtete.
Das von „Aufbruch Ost“ geschmiedete Bündnis ist völlig neu. Ist Corona auch eine Chance für die Neuordnung der außerparlamentarischen Linken, oder sogar eine Notwendigkeit?
Die gesellschaftliche Linke ist in den vergangenen Jahren immer weiter in die Defensive geraten, weil auf Krisen oder Naziaufmärsche häufig nur reagiert wurde und gewisse gesellschaftliche Gruppen, etwa systemrelevante Berufsgruppen, kaum politische Beachtung fanden. Das wollen wir ändern. Diesmal selbst aktiv werden, uns an die Seite der Beschäftigten stellen, um als gesellschaftliche Linke in die Offensive zu kommen. Andernfalls werden es erneut Spekulanten und Nationalisten sein, die aus dieser Krise Profit schlagen. Wir werden nicht zulassen, dass Minderheitenrechte gegen Arbeitnehmerrechte ausgespielt werden. Und erst recht werden wir nicht zulassen, dass herabgeblickt wird auf jene, die jeden Tag hart malochen und denen Gewalt angetan wird in diesem System.