Am 21. November jährt sich der Todestag von Silvio Meier zum 28. Mal. Der linke Aktivist wurde 1992 am Berliner U-Bahnhof Samariterstraße von mehreren Neonazis ermordet. Die seitdem jährlich stattfindende Silvio-Meier-Demonstration ist in Berlin zu so etwas wie einer Tradition geworden – eine Tradition, die vor wenigen Jahren ein Ende fand. Die nächsten Zeilen sind der Versuch, zusammenzufassen, was rund um die Proteste passiert ist und was gut wäre, wiederzubeleben.
Die Demonstration im Laufe der Jahre
1992, ein Tag nachdem Silvio Meier von Neonazis erstochen wurde, zieht eine Spontandemonstration durch Berlin-Friedrichshain, aus der heraus ein rechter Jugendclub im Bezirk Lichtenberg angegriffen wird. Damit startet die berühmte Silvio-Meier-Demonstration. Der Jugendclub, in dem auch die Mörder von Silvio Meier regelmäßig zu Gast waren, wird drei Tage später Ziel eines Brandanschlags.
In den 90er Jahren entwickelt sich die Demonstration schnell von einer reinen Gedenkdemonstration zu einer offensiven Antifa-Demo, die sich vor allem mit Treffpunkten und Locations von Nazis beschäftigt.
Während der 2000er Jahre wird sich weiterhin insbesondere mit einzelnen faschistischen Strukturen auseinandergesetzt. Mit dem Aufkommen der sogenannten „Kameradschaft Tor“ im Jahr 2001 fokussieren sich Antifaschist*innen in diesen Jahren vorerst auf den damals noch rechtsradikaler als heute geprägten Lichtenberger Kiez in Berlin. Auch die begleitenden militanten Angriffe im Umfeld der Demo bleiben – jedoch verstärkt sich der Widerstand der Nazis und der Polizei. In diesen Jahren greifen Neonazis immer wieder Demoteilnehmer*innen an, provozieren und halten Gegenkundgebungen ab.
In den frühen 2010er Jahren hat die Demonstration, gemessen an den Teilnahmezahlen, ihren Höhepunkt – von 2011 bis 2013 zählt die mittlerweile fest in der linken Szene verankerte Veranstaltung etwa 5000 Teilnehmer*innen. Pyro und Feuerwerk von den Dächern begleitet den Protestzug immer öfter, während militante Aktionen abnehmen. Immer weniger Teilnehmer*innen scheinen die Demo als kämpferisch und offensiv zu begreifen, sondern eher als entspanntes Event. Selten geht es noch an Nazilocations vorbei, dafür immer öfter an Hausprojekten im links geprägten Friedrichshain.
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Das hat bestimmt auch mit dem langsamen Niedergang und Wandel der lokalen Neonazi-Szene zu tun, die ihre frühere Bedeutung spätestens seit dem Aufkommen der AfD ab 2013 zunehmend verliert. Mit immer geringeren Teilnehmer*innenzahlen wird die Silvio-Meier-Demo schließlich 2017 zum letzten Mal im klassischen Format abgehalten. 2018 findet sich niemand mehr, der*die sie organisieren will.
Nichts als Selbstbeweihräucherung?
Was bleibt von der traditionsreichen Silvio-Meier-Demo? Was kann Geschichte bleiben, was könnte uns in zukünftigen Kämpfen helfen? Ein großer Kritikpunkt – zumindest ab 2010 – ist die Selbstbeweihräucherung: Pyro-Shows von den Dächern linker Hausprojekte abzuhalten, während man sich primär auf den Szenekiez beschränkt. Das Einreden, man wäre Teil einer kämpferischen Tradition, während militante Aktionen und konkrete Forderungen weniger werden.
Außerdem kann man auch das entstandene Märtyrertum um Silvio Meier als Person kritisieren. Nach ihm war die größte regelmäßige Antifa-Demo in Berlin benannt, und sogar eine Straße. Auch einen Preis für Engagement gegen Rassismus und Diskriminierung gibt es mit seinem Namen. Die Hinterbliebenen sehen diese Vereinnahmung kritisch. Silvio Meier als Person wird gerne auf den „Antifaschist“ oder „Hausbesetzer“ reduziert und zu einer Art Held und Märtyrer emporgehoben. Sein Name und was er sein soll, wird instrumentalisiert und lässt die reale Person dahinter verschwinden. All das wurde auch schon kritisiert, als es die Demo noch gab. Es finden sich aber eben auch positive Aspekte in dieser Art von Gedenken an Silvio Meier.
Zum einen war die Demo auch immer ein großer Anlaufpunkt für jugendliche und unorganisierte Menschen. So gab es ab 1997 eine regelmäßig von verschiedenen Jugendantifa-Gruppen herausgegebene Broschüre vor der Demonstration, welche sich mit selbiger und verwandten Themen beschäftigte. Dieser Anlaufpunkt hat sich vermutlich mittlerweile etwas verschoben, etwa auf stadtpolitische Arbeit: Momentan besetzen Jugendliche vermehrt Orte, wie diesen Juni in Berlin das Dragoner-Areal oder die Villa in Westend. Trotzdem ist das Wegbrechen einer solch kraftvollen antifaschistischen Demo ein Verlust.
Außerdem hat die Demonstration Jahr für Jahr Nazistrukturen aufgezeigt und bekämpft. Wir dürfen nicht vergessen, dass nicht der Staat oder das linksliberale Bürgertum der Grund sind, wieso organisierte Neonazis in Lichtenberg ein wesentlich kleineres Problem sind, als sie es noch vor 15 Jahren waren. Das verdanken wir der Recherche, Organisation und Handarbeit von Antifaschist*innen im Kontext der Silvio-Meier-Demo.
An der Tradition anknüpfen
In Deutschland und gerade in Berlin sind selbstsichere und starke Demonstrationen, vor denen die Rechten Respekt haben, selten geworden. So hinterlässt das Ende der Silvio-Meier-Demo ein großes Loch, das nicht gefüllt wurde. Das abrupte, recht geräuschlose Ende könnte dabei für ein allgemeines Problem der Berliner linken Szene stehen – nämlich das Wegbrechen etablierter linksradikaler Strukturen, ohne dass es einen Austausch mit der nächsten Generation gab.
Es wäre vielleicht an der Zeit, an der Tradition der Silvio-Meier-Demo anzuknüpfen und das Loch, das sie hinterlassen hat, wieder zu füllen. Auch wenn mit dem Aufkommen der AfD klassische Neonazi-Strukturen stark an gesellschaftlicher Relevanz verloren haben, bleibt Antifa genauso notwendig. Man muss nicht weit schauen, um das zu sehen: Der Bezirk Berlin-Neukölln wird seit Jahren von einer rechten Anschlagsserie heimgesucht: Rechtsmotivierte Brandanschläge, Beschmierungen und Drohungen häufen sich. Mittendrin befinden sich Neonazis, die AfD, die Polizei und das Landeskriminalamt sowie die Justiz. Gerade also Neukölln würde momentan von solch einer intervenierenden Demonstration profitieren. Am Todestag von Silvio Meier wird es daher eine Demo in dem Berliner Stadtteil geben. Gegen das Vergessen in Neukölln und anderswo.