Schwangerschaftsabbrüche betreffen in erster Linie Menschen, die schwanger werden können – also meistens Frauen. Es ist ihr Körper und sollte auch ihre Entscheidung sein. Gleichzeitig trifft Frauen auch die gesamte moralische Last der öffentlichen Debatte: Frauen, die abtreiben werden von selbsternannten Lebensschützerinnen mit Mörderinnen gleichgesetzt. Frauen wird eingeredet, sie würden es später bereuen. Frauen werden als Schlampen bezeichnet, oder allein dafür verantwortlich gemacht, dass sie ja auch mal besser hätten aufpassen können.
An jeder Schwangerschaft – auch jeder ungewollten – sind aber mindestens zwei Menschen beteiligt. Damit liegt auch die Verantwortung für einen Abbruch bei Beiden. Wie gehen eigentlich junge Männer mit dieser Verantwortung um? Und welche Gefühle löst eine Abtreibung bei ihnen aus? Einer von ihnen erzählt von seinen Erfahrungen.
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Julian*, 27
Wir waren beide 16 als meine damalige Freundin Sara* zum ersten Mal schwanger wurde. Ich bin die Tests in der Apotheke kaufen gegangen. Mein Denken und meine Handlungen liefen wie automatisch. Wahrscheinlich hatte ich Angst. Ich habe meine Gefühle zur Seite geschoben und mich nur auf sie konzentriert.
Ich habe sie gefragt, was sie tun möchte. Für mich war immer klar: Es ist ihre Entscheidung. Ich werde da sein, egal, wie sie sich entscheidet und mit den Konsequenzen meiner Handlungen umgehen. Wenn wir ein Kind bekommen, dann werde ich halt schon früher als üblich die Ernährerrolle einnehmen. Ich war damals sowieso schon kurz davor, die Schule abzubrechen. Wir waren jung und alle Möglichkeiten schienen offen zu stehen, ich hätte einfach getan, was zu tun gewesen wäre.
Ich dachte es wäre richtig schlimm, jetzt Vater zu werden
Gleichzeitig dachte ich damals, es wäre schon richtig schlimm, jetzt Vater zu werden, das hätte die kommenden Jahre sehr kompliziert gemacht. Sara war ja auch noch in der Schule. Das größte Problem waren aber unsere Familien. Für die wäre das überhaupt nicht in Ordnung gewesen. Sara hatte sowieso viele Probleme in ihrer Familie. „Ich kann kein Kind haben, meine Mutter bringt mich um“, meinte Sara. Wir haben es niemandem erzählt. Meine Familie weiß es bis heute nicht.
Für Sara war es keine Option, das Kind zu bekommen. Sie war sehr klar in ihrer Entscheidung. Wir sind zusammen ins Krankenhaus gegangen, in einen gelben Wartesaal im OP-Trakt. Ich glaube, es war schon zu spät, um noch mit mit Medikamenten abzutreiben. Wir mussten erst einmal viele Papiere ausfüllen. Ich finde es gut, dass die Eltern nicht informiert sein müssen, wenn Minderjährige einen Schwangerschaftsabbruch machen. Dann wurde Sara abgeholt für den Eingriff.
Ich durfte nicht mitkommen und habe draußen vor dem Krankenhaus gewartet, neben den Treppen, etwa eineinhalb Stunden. Die Treppen sind grau, flach, hässlich. Jedes Mal, wenn eine Frau hineinging, habe ich mich gefragt, ob sie wohl zu einem Schwangerschaftsabbruch geht. Ich habe mir Sorgen um Sara gemacht und war traurig, nicht bei ihr sein zu können und zu wissen, dass sie in so einem Moment alleine unter Fremden ist. Ich habe mich hilflos gefühlt und dumm, dass wir nicht verhütet hatten. Wir hatten schon seit einem Jahr Sex gehabt, ohne zu verhüten. Wir waren jung und komplett in dem Gefühl der Lust, wir haben einfach nicht drüber nachgedacht. Manchmal haben wir sogar Scherze gemacht, einer von uns muss wohl unfruchtbar sein, weil so lange nichts passiert war. Jetzt war sie deshalb im Krankenhaus. Ich habe mich schuldig gefühlt.
Ich weiß nicht, ob ich präsent genug war
An die Zeit danach habe ich fast keine Erinnerungen. Es ging alles sehr schnell, ich glaube, wir haben einfach so getan, als wäre dieser Abbruch etwas alltägliches, nebensächliches gewesen. Ein Jahr später war Sara wieder schwanger. Sie hat wieder abgetrieben. Es ist komisch, das zu sagen, ich würde lieber sagen: „Wir haben abgetrieben“. Gleichzeitig weiß ich nicht, ob ich wirklich präsent genug war, um das sagen zu können. An den zweiten Abbruch kann ich mich kaum erinnern, ich weiß nur, dass ich mich noch sehr viel schuldiger gefühlt habe, als beim ersten Mal.
Ich habe noch nie mit jemandem über die Abbrüche gesprochen, zumindest nicht so detailliert. Aber eigentlich ist Sara auch die einzige Person, mit der ich gerne sprechen würde. Ich wüsste gerne, wie es ihr damals ging, wie es ihr jetzt damit geht. Einmal, als wir schon nicht mehr zusammen waren, habe ich versucht, es anzusprechen. Sie hat mir das Wort abgeschnitten und gesagt: „Das ist Vergangenheit“.
Manchmal bringt es mich noch zum Nachdenken, dieses Ungreifbare: „Ich hätte Vater sein können“. Ich habe auch später noch darüber nachgedacht, ab wann der Embryo ein menschliches Bewusstsein hat, habe wissenschaftliche Texte dazu gelesen. Ich bin froh, dass es die Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs gibt. Ich bin froh, dass ich mehr Zeit habe, mich selbst besser kennen und lieben zu lernen.