Die Nachbarin, mit der ich in die gleiche Klasse ging, hatte einen Farbfernseher. Samstags putzte ihr Vater das Auto. Mein Papa hatte ein Moped.
Meine Cousine hatte eine Barbie – schon vor der Wende.
Auf dem Schwarzmarkt in Polen kaufte mir meine Mutter Leggings. Schwarz mit weißem Blumenprint. Leider war ein Hosenbein sichtlich kürzer als das andere und ich wurde gehänselt.
Wenn in der Gemeinde zu einem Sperrmülltermin alte Möbel auf die Straße gestellt wurden, fuhren meine Eltern bei Einbruch der Dämmerung los und stopften so viel ins Auto wie rein passte.
Von meinem Jugendweihe-Geld kaufte ich mir eine Stereoanlage, die ich bis heute habe.
In den Sommerferien arbeitete ich in einem Restaurant als Küchenhilfe für 8DM/Stunde schwarz. Manchmal rundete meine Chefin auf. Davon bezahlte ich meinen Führerschein.
Mit 16 nahm ich Gesangsunterricht. Mit 17 stellten mich meine Eltern vor die Entscheidung: Taschengeld oder Gesangsunterricht. Ich entschied mich fürs Taschengeld.
Ich arbeitete als Strandkorbvermieterin für 50DM/Tag. Gleichzeitig engagierte mich mein Strandkorb-Chef als Babysitterin. Sie wohnten in einer eleganten, modernen Wohnung im Kurort und hatten einen DVD-Player. Ich bekam also Geld fürs Am-Strand-Sitzen und Filme-Gucken.
Nach dem Abi zog ich fürs FSJ nach Eckernförde. Die Küche und das Bad teilten wir uns mit dem Kindergarten. Frühstück und Mittag bekamen wir im Kindergarten, dazu 250 EUR Taschengeld. Ich fühlte mich reich. Ich fuhr oft nach Hause und kaufte mir einen Fön. Eckernförde bot nach meinem damaligen Verständnis nicht viele Möglichkeiten, Geld auszugeben.
Ich machte für 2 Monate ein unbezahltes Praktikum bei meinem damaligen Lieblingsmagazin in Berlin. Ich hatte ein kleines, fast unmöbliertes Zimmer (eine Matratze, eine Lampe) in der Yorck59, das etwa 200EUR kostete. Ich ging nie aus, denn ich kannte niemanden.
Nach dem Praktikum kehrte ich schnell zurück nach Berlin, weil ich einen Mann kennen gelernt hatte. Ich verbrachte mit ihm den Sommer in der Stadt, was Geld kostete, das ich nicht hatte bzw. von meinem Vater bekam. Ich erinnere mich nicht an eine Regelung, aber an die Geldknappheit. Ich richtete mir ein Konto bei der Sparkasse ein, weil mein damaliger Freund meinte, ich bekäme sofort einen Dispo. Das stimmte zum Glück nicht.
Ich begann im Herbst an der FU zu studieren und bekam Bafög und Kindergeld. Zweimal im Monat Geld zu bekommen war ganz gut, aber irgendwann war auch das zu wenig. Das mag an Berlin gelegen haben oder einfach daran, dass sich plötzlich auch die Möglichkeit zum Mehr an Geld bot: Ich arbeitete auf dem billigsten Posten der Messe in Hannover am Einlass. Irgendwie passte es meistens mit dem Geld, wenn ich mich richtig erinnere.
Dann sah ich mich in Berlin um, hatte gerade einen Job am Theater-Einlass (Türen öffnen und schließen, Infos geben: ca. 7,25EUR/Stunde brutto) angenommen, als ich kurzfristig einen Job als studentische Hilfskraft bei einem alten Prof bekam. Ich verdiente etwas mehr als 400EUR im Monat, hatte meistens Spaß an den Aufgaben, auch wenn ich mich unverhältnismäßig viel und künstlich über vergleichsweise wenig Stress aufregte. Die Anrechnungsregelung mit dem Bafög war (im Vergleich zum Hartz IV) human und so hatte ich am Ende meistens fast 1000EUR im Monat. Ich war reich! Ich sparte sogar auf einen Laptop. Ich ging ins Kino und ins Theater, ich reiste mit dem Billigflieger nach Spanien. Dann lief das Bafög aus, mein Prof ging in den Ruhestand. Ich bekam einen unvorteilhaften Studentenkredit gebilligt (für die KFW fehlte mir ein Bürge) und schrieb auf entspannten 800EUR (Höchstmaß) meine Magisterarbeit. Zum absoluten Ende meines Studiums und meines Kredits hin beantragte ich Hartz IV. Knapp 750EUR, die mein Überleben – und kein bisschen mehr – gewährleisten sollten. Eigentlich genug.
Seitdem gab es natürlich Versuche, diesem Zustand zu entfliehen oder ihn zumindest aufzubessern. Mehr oder minder erfolgreich. Anwaltsaushilfe, Seifenverkauf, Kellnern. Von dem Geld gehen 144 EUR jeden Monat an die Deutsche Bank. Ich habe Öko-Strom. Am Ende bleiben mir 63,31 EUR für den gesamten Monat. Ich könnte natürlich den Studentenkredit wieder stunden lassen, aber die Zinsen sind jedes Mal horrend. Sie sind jedoch nichts im Vergleich zu der Scham, die ich empfinde, wenn ich hingehen müsste, um die Stundung zu beantragen. Vielleicht kann ich es schriftlich und unpersönlich machen.
Meine Armut ist ein Gedanke, den ich mehrmals täglich habe:
Dienstag, 13. Januar, Armutsgedanke
AG 1
Mein Shampoo ist fast alle. (So auch die Spülung und das Duschgel.)
AG 2
Mein Espresso ist definitiv alle. Ich habe noch alten Ersatzkaffee.
Mittwoch, 14. Januar
AG 1
Beim Frühstück fragt mein Freund, ob ich Saft habe. Saft scheint mir unnötig teuer.
AG 2
Ich schreibe eine Bewerbung. Der Arbeitgeber möchte sie per Post. Ich ärgere mich über Druckkosten, Porto, den Hefter. (Ich verwende das billige Standardpapier und sehe meine Chancen auf die Stelle schwinden.)
AG 3
Mein Freund möchte mit mir in die Ausstellung. Für mich kostet sie 5EUR Eintritt (ermäßigt) zzgl. 2,70EUR für die Fahrkarte. Auf dem Rückweg fahre ich auf dem Ticket meines Freundes mit. 7,70EUR.
AG 4
Im Supermarkt lasse ich mal wieder den gemeinsamen Einkauf von meinem Freund bezahlen. Ich schäme mich.
Wir gehen zu einer Ausstellungseröffnung in der Böll-Stiftung. Es gibt Wein umsonst, für die Häppchen sind wir ein bisschen zu spät.
Am Samstag kauft mein Freund einen Pulli in einer etwas besseren Boutique in der O-Straße. Sie haben auch hochwertige Damen-Kleidung, die ich überraschend belanglos finde. Ich bin fast ein bisschen herablassend in meiner Freude über meine Vintage-Kleidung.
Die Ausstellung in der ngbk ist umsonst und interessant und wichtig.
Trotzdem ist mein Brot alle und die Dispo-Unterkante zum Greifen nah.
Früher haben wir ein Spiel gespielt. Meine Mutter, mein Vater, meine Schwester und ich. Wir saßen zusammen beim Abendbrot und erzählten uns, was wir uns alles kaufen würden, wenn wir im Lotto gewinnen würden. Meine Eltern spielten eigentlich gar kein Lotto, aber unsere Abendessen machten meistens Spaß.
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Epilog (2018)
Diesen Text habe ich vor drei Jahren geschrieben. Inzwischen bin ich in eine andere Stadt gezogen, habe eine Vollzeitstelle mit Tarifvertrag. Den 23. April erkläre ich zum Feiertag: Ich schuldete dem Arbeitsamt Geld aus Fehlzahlungen und zahle an diesem Tag den vollen Betrag zurück.
Die Arbeit macht mich nicht glücklich. So große Erwartungen hatte ich auch nie. Aber ich öffne meine Briefe inzwischen immer sofort.
Diana Arnold lebt in Dresden, arbeitet als Online-Redakteurin und schreibt unregelmäßig für das Online-Magazin GIER.