Freundschaften. Viele Menschen wünschen sie sich. Kurz vor Weihnachten stellte ich mir selbst die Frage: „Was ist mir wichtig in einer Freundschaft und worin unterscheidet sie sich von Bekanntschaften?“ Ich fragte mich, ob ich andere Ansprüche an eine Freundschaft habe als andere Menschen. Denn: Ich bin Autistin und habe seit jeher Schwierigkeiten echte Freunde zu finden. Also nicht nur solche, die sich an dich ranwanzen, wenn sie etwas von dir wollen. Oder weil sie gemerkt haben, dass du ein hilfsbereiter Mensch bist.
Auf Twitter stellte ich diese Frage und erhielt überraschender Weise sehr viele Antworten. Diese zeigten, dass meine Voraussetzungen für eine Freundschaft sich im Grunde nicht von denen anderer Menschen unterscheiden. Ehrlichkeit, Vertrauen, Respekt, Offenheit, so sein können wie man ist, Verlässlichkeit und füreinander da sein in schweren Zeiten – all das wurde mehrfach genannt. Und genau das ist es auch, was ich mir von einer Freundschaft oder gar einem Partner wünsche.
Warum habe ich solche Probleme wahre Freunde zu finden?
Ich bemerkte schon als Kind, dass ich anders als andere Kinder meines Alters war, doch kannte ich den Grund dafür nicht. Ich besuchte ganz normal die Schule und machte mein Abitur. Autismus ist erst in den letzten Jahren bekannter geworden und die Thematik fand dadurch ihren Weg in die Öffentlichkeit.
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Im Frühjahr 2012 sah ich einen Fernsehbeitrag über einen autistischen Jungen. Ich fand das Thema sehr spannend und um mich weiter zu informieren, stöberte ich im Internet auf diversen Blogs von erwachsenen Autisten.
Was ich dort fand war quasi ein Abbild meines eigenen Lebens. Ich konnte es kaum glauben. Die Schwierigkeiten, die erlebte Ausgrenzung – ich entdeckte ziemlich viele Parallelen. So kam es, dass ich mich bald an eine Diagnostikstelle einer Uniklinik mit Spezialsprechstunde für Autisten wandte. Nach etwa einem Dreivierteljahr Wartezeit hatte ich meine Diagnostik, mein Eigenverdacht wurde dort professionell und sogar recht deutlich bestätigt.
Aber das Wichtigste an allem war: Es gab noch mehr wie mich. Ich fühlte mich nicht mehr wie eine einsame Außerirdische die nicht verstand, wie diese neurotypische Welt funktioniert. Bis dahin hatte ich mit aller Kraft versucht, mich ihr anzupassen, um eine von ihnen zu sein. Als Autistin musste ich nun lernen wieder mehr auf meine Bedürfnisse zu achten.
Aber warum habe ich schon mein ganzes Leben lang solche Probleme, wahre Freunde zu finden? Ich erhielt meine Diagnose vor fast genau sechs Jahren, ich war 28 und gerade Mutter geworden. Das Problem mit den Freundschaften hatte ich aber bereits seit meiner Kindergarten- und Schulzeit.
Menschen merken zwar im engeren Kontakt mit mir, dass ich irgendwie „anders“ bin. Meist können sie es aber nicht wirklich greifen oder benennen. Sie sind irritiert und verunsichert – so bleibt es meist eher bei Bekanntschaften.
Ich bin äußerlich eine ganz normale junge Frau
Ich habe Freude daran, modische Kleidung zu tragen (auch wenn sie für mich spezielle sensorische Anforderungen erfüllen muss). Ich habe es mir in meiner Jugend selbst beigebracht, Blickkontakt zu halten, kann mich in Gesprächen ziemlich gut ausdrücken und lege Wert auf höfliche Umgangsformen – kurz: Ich bin äußerlich eine ganz normale junge Frau, die nicht negativ auffällt.
Blickkontakt zu halten ist schwierig für Autisten – es geschieht nicht intuitiv. Dieses oft verlangte ’normale‘ Sozialverhalten, sowie das Aussenden und achten auf Körpersprache ist für uns nicht kommunikations-relevant.
Lange bevor ich überhaupt von Autismus wusste, gab es am Gymnasium ein Spiel mit Klassenkameraden indem es darum ging, wer dem anderen am längsten in die Augen schauen kann. Ich verlor ständig. Mich packte mein Ehrgeiz und ich überlegte mir eine Strategie, wie ich jemandem für längere Zeit in die Augen sehen kann. Es klappte und in Zukunft gewann ich fast immer.
Das ich mir das unbedarft und aus freiem Willen selbst angeeignet habe ist keinesfalls zu verwechseln damit, dass es bei autistischen Kindern von außen in fragwürdigen Therapien aufgezwungen wird. Eine dieser Methoden ist z.B. ABA (Applied Behavior Analysis), die von Autisten weltweit abgelehnt und stark kritisiert wird.
Seitdem ich die Diagnose habe, bin ich dazu übergegangen direkt offen zu sagen, dass ich Autistin bin. Warum ich das tue? Weil ich auf Verständnis und Akzeptanz für meine Behinderung angewiesen bin – gerade weil man sie mir nicht ansieht.
Die Medien zeichnen falsche Bilder von Autisten
Einen Vorteil hat meine Offenheit: Es trennt sich gleich zu Beginn die Spreu vom Weizen. Es zeigt sich sehr schnell, wer sich auf mich ohne Vorurteile einlassen kann. Leider sind das nur wenige Menschen. In den Medien geistern viele falsche Bilder herum, wie Autisten wohl so sein mögen – meist völlig überspitzt und überzeichnet. Alle Klischees werden in einem Charakter vereint.
Autisten werden z.B. in Serien/Filmen kaum realistisch dargestellt. Am Beispiel der im letzten Jahr ausgestrahlten Produktion ‚Ella Schön‘ (ZDF) erläutert: Es werden alle möglichen Klischees in einem Charakter vereint und dazu noch übertrieben dargestellt. Das sind z.B. extremes Ordnung halten und Gegenstände mit Hilfe eines Lineals ausrichten, reden mit monotoner und roboterhafter Stimme, keine Mimik, seltsamer Kleidungsstil, Emotionslosigkeit und fehlende Empathie.
Leider auch oft vorkommend in Serien oder anderen Darstellungsformen: angeblich komplette Ahnungslosigkeit, was soziale Regeln betrifft. Als würden Autisten nicht von selbst über die Jahre lernen was geht und was nicht. Ja, Autisten fällt es mitunter schwer und wirken unbeholfen, doch wir sind mitnichten die sprichwörtliche Axt im Walde oder haben Freude daran, anderen Menschen verbal vor den Kopf zu stoßen.
Das trifft in der Realität natürlich so nicht zu. Aber doch muss ich immer wieder gegen Vorurteile und Klischees ankämpfen. Mich macht das oft traurig, weil ich kein gefühlsloser Roboter – sondern auch ein Mensch mit viel Empathie, Herzenswärme, Verständnis und Humor bin.
Wie meine letzte „Freundschaft“ kaputtging? Die Person sagte mir, dass sie mit meiner Art nicht klarkomme. Was dieser Mensch eigentlich ausdrücken wollte: Er kommt nicht mit meiner Ehrlichkeit und Direktheit zurecht. Viele Dinge von nicht-autistischem Verhalten, die für mich unlogisch erscheinen, spreche ich mittlerweile direkt an, wenn ich sie nicht nachvollziehen kann. Ich hielt diesem Menschen und seinem Verhalten einen Spiegel vor. Das war aber in dieser „Freundschaft“ wohl nicht gewünscht. Sich mit sich selbst und dem eigenen Verhalten auseinanderzusetzen, wollen oder können viele Menschen nicht und teilen lieber verbal aus.
Wieviel Ehrlichkeit hält eine Freundschaft aus?
Im vergangenen Jahr habe ich mittels therapeutischer Hilfe mein Selbstwertgefühl aufbauen können, dass unter anderem wegen jahrelangem Mobbing in der Schulzeit gelitten hatte. Ich befasste mich viel mit mir selbst und meinem eigenen Verhalten. Ich veränderte mich und wurde mit der Zeit immer selbstbewusster. Ich kompensiere nicht mehr so viel – das heißt: Ich versuche gar nicht mehr absichtlich, nicht-autistisch zu wirken. Ich trage keine Maske mehr – denn was das für Autisten bedeutet, musste ich Ende 2017 selbst erleben. Ich hatte einen „autistischen Burnout“. Verursacht wurde er durch jahrelange Kompensation, damit einhergehendem Dauerstress, Depression und Frustration darüber, nicht so sein zu können, wie man ist. Nichts ging mehr. Ich musste mein Leben ändern, so wollte und konnte ich nicht mehr weitermachen. Der nächste Zusammenbruch wäre sonst nur eine Frage der Zeit gewesen.
So kommuniziere ich mittlerweile fast nur noch auf autistische Art und Weise (natürlich gibt es dennoch Anlässe, in denen man das nicht so ohne weiteres tun kann). Autisten kommunizieren meist ohne Schnörkel und Drumherum-Gerede, ohne sprachliche Spielereien und Doppeldeutigkeiten: Direkt, eindeutig, klar und ehrlich. Für mich bedeutet das eine große Erleichterung, nicht mehr blumig oder förmlich umschreiben zu müssen, was ich eigentlich meine. Ich habe darin auch noch nie einen Sinn gesehen. Warum sagt man nicht einfach genau das, was man meint?
Die nicht-autistische Art der Kommunikation ist ziemlich unlogisch
Für mich ist es oft sehr schwierig herausfinden zu müssen, was mir mein Gegenüber eigentlich genau mitteilen möchte. Diese nicht-autistische Art der Kommunikation ist nicht effektiv, sie ist ungenau und umständlich. Es birgt viel zu viele Möglichkeiten für Missverständnisse, die gar nicht sein müssten. Wenn man diese dann aufklären will, frisst das noch mehr Energie, als nötig wäre. Energie, die ich aber benötige, um in solch einer reizüberfluteten Welt zurechtzukommen.
Leider wird diese direkte und ehrliche Art schnell mal als persönlicher Angriff fehlinterpretiert. Oder es wird in meine Aussagen etwas emotional hineininterpretiert, was gar nicht da ist. Denn ich meine es wörtlich, was ich sage oder schreibe – so geht es mir auch mit Aussagen meines Gegenübers. Ich verstehe alles sehr wörtlich. Ironie bemerke ich nicht immer. Das macht das soziale Miteinander in meinem Leben generell komplizierter, aber nicht unmöglich.
Direkt und Ehrlich
Letztendlich sind Direktheit und Ehrlichkeit ziemlich positive Voraussetzungen für gute Freundschaften. Es gibt keine hinterhältigen Spielchen und mein Gegenüber weiß, woran er oder sie bei mir ist. Ich bin offen, ehrlich und loyal. Wenn das heutzutage nichts mehr wert ist, dann sollten wir uns fragen, ob das eine Zeit ist, in der wir wirklich glücklich und zufrieden leben – oder machen wir uns alle nur etwas vor?
*Auf Wunsch der Autorin haben wir den Artikel nicht gegendert, da der Text sonst für Autisten schwieriger zu lesen wäre.