Gleich zu Beginn der Corona-Pandemie waren asiatisch gelesene Menschen in Deutschland Anfeindungen, Beleidigungen und Angriffen ausgesetzt. Das waren sie auch vorher schon, aber das Virus hat den Rassismus verstärkt. Wie gehen Betroffene damit um, wie haben sie die letzten Monate erlebt, was sind ihre Coping-Strategien? Drei Protokolle.
Julia* ist in Köln aufgewachsen. Ihre Mutter kommt aus China, der Vater aus Deutschland. Die 27-Jährige arbeitet als Psychologin in einer Kölner Psychiatrie. Julia ist bei DAMN (Deutsche Asiat*innen, Make Noise!) aktiv, einer offenen Plattform für Menschen mit asiatischem Hintergrund.
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In den letzten Wochen habe ich verstärkt Rassismus erlebt. Meiner Mutter und mir wurden zum Beispiel rassistische Sprüche hinterhergeschrien, als wir gemeinsam unterwegs waren. Meine Mutter hat das zum Glück akustisch nicht verstanden, aber ich war danach schon ziemlich fertig. Ich habe mich draußen einfach unsicherer gefühlt. Auch wenn nichts passiert ist – es bleibt dieses Gefühl, dass jeden Moment etwas passieren könnte. Die ganze Zeit in so einem Alarmmodus zu sein ist einfach stressig, auch körperlich.
Wenn ich einen rassistischen Angriff erlebe, bin ich in dem Moment selbst total perplex. Ich bin nicht besonders gut darin, meine Wut direkt auszudrücken. Ausheulen und Ausrasten, das mache ich dann eher hinterher. Zum Glück habe ich Menschen, die mich halten können und eine Stütze für mich sind.
In der letzten Zeit habe ich jedoch auch eine neue Stärke und Selbstsicherheit gefunden. Am Anfang war es unfreiwillig, dass meine asiatische Identität wieder so in den Fokus meiner Aufmerksamkeit gerückt ist. Mittlerweile merke ich aber, wie ich durch die Rückbesinnung auf diesen Teil von mir und durch die Vernetzung mit der deutsch-asiatischen Community sehr viel Kraft finde.
Bei meinem ersten ZOOM-Meeting mit dem Kollektiv DAMN hatte ich auf meinem Bildschirm plötzlich 20 asiatische People of Color. Das war sehr bewegend für mich, da ich in meinem Alltagsleben fast ausschließlich in weißen Räumen unterwegs bin. In diesem Raum konnte ich irgendwie aufatmen und mich entspannen. Die digitale Vernetzung hat mir in den letzten Monaten Halt gegeben.
Natürlich ist der Rassismus nicht neu, durch Corona bekommt er nur neues Futter und erreicht ein anderes Eskalationslevel. Asiatisch gelesene Frauen wurden schon vor Corona hypersexualisiert und exotisiert, während asiatisch gelesene Männer entmännlicht werden. Besonders perfide finde ich das Konzept der Asiat*innen als Vorzeigeminderheit. Es heißt, Asiat*innen seien so fleißig und könnten sich weißen Standards besonders gut anpassen. Meine Mutter hat zum Beispiel mal zu hören bekommen, dass sie ja so gut Deutsch spreche, viel besser als diese Araber oder Türken, die schon ewig in Deutschland seien und sich nicht richtig integrierten. So etwas finde ich besonders bitter, denn dadurch werden PoC-Communities gegeneinander ausgespielt. Wenn man damit beschäftigt ist, sich den weißen Maßstäben möglichst gut anzupassen, hat man auch Angst, einander zu helfen. Dadurch könnte man nämlich diese vermeintliche Anerkennung verlieren. Aber man sieht ja an Corona: Es braucht nur eine Krankheit und schwupps, hat man diesen Vorzeigestatus verloren.
*Julia möchte nur mit ihrem Vornamen vorgestellt werden.
Muah Kim kommt aus Südkorea. Die 26-Jährige ist für ihre Doktorarbeit in Elektrotechnik vor einem halben Jahr nach Berlin gezogen. Deutschland kannte sie bereits aus mehrmonatigen Aufenthalten. Muah Kim ist Teil der Gruppe Metoo Asians, die an der Schnittstelle von Sexismus und Rassismus aktiv ist.

Mein erster rassistischer Vorfall mit Coronabezug war im Februar, als ich von einer Gruppe Männer beleidigt wurde. In solchen Fällen versuche ich, die Aggressor*innen zu ignorieren und so zu tun, als würde das nicht passieren. Vor allem, wenn ich allein bin. Denn ich kann nicht sicher sein, dass die nicht gewalttätig werden. Danach versuche ich, den Vorfall einfach zu vergessen – wenn ich viel darüber nachdenke, ärgere ich mich nur.
Nach solchen rassistischen Vorfällen versuche ich mich in öffentlichen Räumen möglichst unsichtbar zu machen. Ich setze Kopfhörer auf, lese ein Buch und vermeide generell Blickkontakt. Ich richte mein Verhalten darauf aus, dass diese komischen Leute nicht auf mich aufmerksam werden.
In den Situationen selbst fühle ich mich völlig hilflos, weil ich nichts dagegen tun kann. Die Polizei würde das nicht ernst nehmen. Ein koreanisches Paar wurde vor kurzem in Berlin rassistisch beleidigt und attackiert. Die Polizei hat sich zunächst geweigert, eine Anzeige aufzunehmen. Das hat mir gezeigt, dass ich der Polizei in dieser Angelegenheit nicht komplett vertrauen kann. Ich denke, die Beamten sind nicht ausreichend für Rassismus sensibilisiert.
Auch vor Corona habe ich hier Rassismus erlebt, häufig mit Gender-Dimension. Teilweise haben alte deutsche Männer mit grauen Haaren versucht, mit mir zu flirten. Die denken wohl, dass ich verzweifelt versuche, ein unbefristetes Visum zu bekommen. Und hoffen, dass ich deshalb bereit bin, mich mit ihnen zu verabreden und zu heiraten.
Nach rassistischen Vorfällen bin ich meistens sehr traurig und spreche darüber mit meinen Freund*innen. Außerdem gebe ich Interviews, um auf dieses Problem aufmerksam zu machen – auch in Südkorea. Und ich habe mich der Gruppe Meetoo Asians angeschlossen, um etwas gegen anti-asiatischen Rassismus zu tun. Zurzeit arbeiten wir gemeinsam mit Asian Voices Europe an einem Handbuch zum Umgang mit Rassismus und Sexismus.
Thuy-Tien Nguyen lebt in Köln und ist bei der postmigrantischen Selbstorganisation „korientation e.V.“ aktiv, einem Netzwerk für Asiatisch Deutsche Perspektiven. Die 25-Jährige Viet-Deutsche koordiniert dort das Medienkritik-Projekt „Corona-Rassismus in den Medien“. Außerdem arbeitet sie mit dem Verein LOVE-Storm im Bereich politische Bildungsarbeit zusammen.

Es ist sehr ermüdend. Die rassistischen Angriffe hören nicht auf. In meinem Umfeld bekomme ich mit, dass manche deshalb nicht mehr gerne rausgehen. Als ich im Februar im öffentlichen Raum rassistisch beschimpft wurde, habe ich das auf Twitter geschrieben. Ich fühlte mich machtlos und wusste einfach nicht, wohin damit. Daraufhin habe ich sehr viel Zuspruch bekommen, auch von Menschen, die ich nicht kannte.
Kurz nach dem Vorfall habe ich dann angefangen, Beschwerden an Medien zu schreiben, deren Berichterstattung rassistisch ist. Mittlerweile koordiniere ich ehrenamtlich das Medienkritik-Projekt des Vereins korientation. Meine aktivistische Arbeit hilft mir, mit der aktuellen Situation umzugehen. Ich dokumentiere rassistische Berichterstattung und weise die entsprechenden Medien darauf hin.
Medienmachende haben eine große Verantwortung. Sprache hat Macht, denn Worte führen auch zu Taten. Und durch rassistische Berichterstattung befeuern Medien anti-asiatische Vorfälle. Wie man zurzeit sehen kann haben Text-Bildverknüpfungen mit rassistischem Framing reale Auswirkungen auf die Lebenswelten von asiatisch gelesenen Menschen.
Aber auch öffentliche Personen tragen mit ihren Aussagen dazu bei, anti-asiatischen Rassismus zu normalisieren. Ein aktuelles Beispiel dafür ist das Model Lilly Becker, die sich bei „Schlag den Star“ rassistisch über asiatische Namen geäußert hat. Ironischerweise hatte sie dabei „Black Lives Matter“ auf den Arm geschrieben. Wenn man solche vermeintlichen Witze kritisiert, heißt es dann, das sei doch alles nicht so gemeint gewesen.
Ich bin jeden Tag mit diesem Rassismus konfrontiert. Das ist super belastend und ermüdend – weil wir uns dauernd wiederholen müssen und nicht ernst genommen werden. Ich tue einiges, damit mich die aktuelle Situation nicht zu sehr belastet. Vor allem der Austausch mit anderen Betroffenen hilft mir sehr. Es gibt so wenig Bewusstsein für anti-asiatischen Rassismus, und die meisten Leute sind einfach nicht kritikfähig.
Die Redaktionen reagieren in der Regel gar nicht auf unsere Kritik. Das Magazin Cicero hat nach Kritik an seinem rassistischen Cover alle kritischen Stimmen in den Sozialen Medien blockiert. Nur in sehr wenigen Fällen kommt eine schnelle Reaktion, dann aber meist ohne ein „Danke für den Hinweis“. Das fände ich angesichts unserer unbezahlten Arbeit jedoch angemessen.
Unter den Medienschaffenden braucht es ein größeres Bewusstsein für Rassismus, aber die Redaktionen müssen auch einfach diverser werden. Es wird wenig bis gar nichts gegen die mangelnde Diversität in Medienhäusern getan. Das ist ein großes Problem.