1987 hast du die erste ostdeutsche Antifa-Gruppe mitgegründet. Warum?
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Die Gründung der Gruppe war eine unmittelbare Reaktion auf den Überfall auf die Zionskirche, den ein Teil von uns miterlebt hatte. Nach Ende eines Punkkonzertes stürmten Neonazis über den Seitenflügel in die Kirche. Unter Rufen wie „Judenschweine“ fingen sie an, auf Konzertbesucher einzuprügeln. Für uns war klar: Wir müssen etwas gegen die sich entwickelnde Neonaziszene in der DDR machen. Einige von uns haben ein Flugblatt mit einer klaren Botschaft entworfen: »Warnung, Neonazis auch in der DDR.« Das wurde dann an diversen Stellen in Potsdam verklebt. Das Flugblatt hing aber zum Teil nur wenige Minuten, weil die Volkspolizei uns auf den Schritt folgte. Gegen Ende der Aktion wurden dann auch einige „zugeführt“, wie das damals so schön hieß. Sie wurden verhört, konnten aber überraschenderweise wieder gehen. Danach haben wir gesagt, dass wir etwas Dauerhaftes aufbauen müssen. Wir haben Leute zusammengetrommelt und die Gruppe „Antifa Potsdam“ gegründet. Bis zum Ende der DDR haben wir uns jede Woche getroffen, Aktionen geplant und Bildungsarbeit gemacht.

Die DDR bezeichnete sich als antifaschistischen Staat. Warum reichte euch das nicht?
Rassismus und Neonazismus waren auch im »antifaschistischen Staat« spürbar. Ich habe schon mit 14 Jahren mit meinen langen Haaren das erste Mal zu hören gekriegt, dass ich hätte vergast werden sollen. Leute riefen mir hinterher, dass die Nazis mich vergessen hätten. »Ihr gehört ins Arbeitslager«, das war ein gängiger Spruch. Wir haben den ganzen Nazischeiß zu hören gekriegt, den es ja angeblich nicht mehr gab in unserem antifaschistischen Staat. Wir forderten, dass sich dieser damit auseinandersetzt, dass es Rassismus in der Gesellschaft und prügelnde Neonazibanden auf den Straßen gab.
Bis zum Ende der DDR hat eure Gruppe dann aber vor allem Diskussionen und Vorträge organisiert.
Ein paar Mal haben wir auch auf dem jüdischen Friedhof in Potsdam gearbeitet. Wir hatten einen guten Draht zu einem der Überlebenden der jüdischen Gemeinde in Potsdam und einigen Schriftstellern. Und im Juli 1989 haben wir in Potsdam ein DDR-weites Treffen veranstaltet – den Antifa-Tag. Da kamen Leute aus vielen Städten und wir haben gemeinsam diskutiert und gestritten – aber auch gefeiert. Viele der Menschen haben sich verkleidet, um unbemerkt von den Sicherheitsorganen mitmachen zu können. Viele wurden aber an der Anreise gehindert.
Was für Konsequenzen hatte dieser Aktivismus für dich persönlich?
In unserer Gruppe gab es Spitzel. Ich glaube aber, dass Volkspolizei und Stasi verunsichert waren, wie sie mit uns umgehen sollten. Schließlich beriefen wir uns ja auf den verfassungsmäßig verankerten Antifaschismus und forderten lediglich, diesen umzusetzen. Einige von uns hatten aber Probleme im Betrieb und bei der Arbeitssuche, weil sie Punks waren. Ich selbst habe damals in einer Gärtnerei gearbeitet. Ich konnte dort für unseren Antifa-Tag einige Texte drucken. Da kam dann nach und nach die halbe Brigade rein und hat sich die Texte durchgelesen. Die haben große Augen gemacht: »Det is ja alles jut, aber ick weeß von nischt«, haben die gesagt und mich machen lassen.

Dann kam 1989 die Wende. Auf welcher Seite standet ihr?
Die Monate vor dem Mauerfall verliefen wie im Zeitraffer. Wir sind den Ereignissen kaum hinterhergekommen. Wir haben versucht, im Kontakt mit anderen Oppositionsgruppen politisch zu intervenieren. Viele von den Themen der »friedlichen Revolution« waren uns wichtig. Reise- und Meinungsfreiheit zum Beispiel. Aber es gab auch Differenzen, viele sprachen nicht unsere Sprache, manche der besonders lauten Aktiven des »Neuen Forums »hatten bisher gar keine Geschichte in den oppositionellen Gruppen wie unserer, die es teilweise schon viel länger gab. Am 7. Oktober 1989 hielt die SED an ihrem Ritual fest, den Jahrestag der DDR zu feiern. Trotz der massiven Fluchtwelle, trotz der Wahlfälschungen. Da protestieren dann zehntausende in ganz verschiedenen Städten – auch in Potsdam war zu einer Demo aufgerufen worden.
Was passierte dann an diesem Tag?
Als die Volkspolizei die Straßen abriegelten, sind viele verständlicherweise wieder gegangen. Das Gros der Leute, die noch da blieben, stammte aus der Punkszene. Wir waren unsicher: Was passiert jetzt? Schießen die jetzt auf uns? Es gab dann »nur« Prügel und viele Leute wurden inhaftiert. In den folgenden Wochen kippte irgendwann die Stimmung, denn es ging nicht mehr um eine Veränderung durch uns selbst, sondern bloß um die Wiedervereinigung. Im Dezember habe ich bei einer Demo in Potsdam das erste Mal »Deutschland-Deutschland«, »Wir sind ein Volk« und »Wiedervereinigung jetzt«-Rufe gehört. Wir haben auf diesen Demonstrationen unseren eigenen Block gemacht, mit dem Slogan »Nie wieder Deutschland« und »Für eine andere Gesellschaft – Alternativen«.
Wollte die Antifa Potsdam die DDR abschaffen?
Nein, wir wollten die DDR nicht abschaffen, sondern sie von Grund auf ändern. Wir waren der Ansicht, dass dieser Staat mit Sozialismus und Kommunismus nichts zu tun hat. Die Bonzen hockten auf ihren Parteistühlen und die Arbeiterinnen und Arbeiter bekamen einen Appel und ein Ei für ihre Schufterei. Das Versprechen einer freien oder befreiten Gesellschaft war nie eingelöst worden. Für uns war klar: Das kann so nicht bleiben. Aber bei den Montagsdemos haben wir auch sofort gesagt, dass wir keine Wiedervereinigung wollen. Es ging uns zu schnell, dass aus »Wir sind das Volk« »Wir sind ein Volk« geworden ist. Wir riefen dann: „Ihr seid aus Holz“.
Was habt ihr an dem Tag gemacht, als die Mauer fiel?
Wir haben eine große Gedenkveranstaltung und eine anschließende Podiumsdiskussion mit rund 600 Teilnehmern zur Erinnerung an die Pogrome 1938 in einem der größten Jugendclubs Potsdams organisiert. Wir saßen unter anderem mit einem Überlebenden der jüdischen Gemeinde, einem Jugenddiakon und dem Bezirksparteisekretär der SED zusammen und haben auf offener Bühne diskutiert. Über Antisemitismus und Faschismus und die aktuelle Situation. Nach der Veranstaltung kamen wir nach Hause und haben gesehen, was passiert ist – bumm, Mauer auf. In dem Moment wurde mir klar: das war’s jetzt. Die historische Chance, noch was anderes zu entwickeln, war vorbei. Danach ging es nur noch darum, dass die Menschen genau das haben wollen, was sie über 40 Jahre in der Westwerbung gesehen hatten.
Wie ging es mit der Antifa Potsdam weiter?
Nachdem die Mauer gefallen war, sprangen viele kopfüber in die Selbstverwirklichung. Es war für uns auch eine Befreiung, nicht dadurch, dass wir plötzlich reisen konnten. Wir fingen an, Häuser zu besetzen und Projekte zu entwickeln. Gleichzeitig kam es zu Angriffen von Neonazis auf linke Projekte und Flüchtlingsheime, später Rostock und Hoyerswerda. Das hat viel Kraft gekostet, sich dem mit oft viel zu wenigen entgegenzustellen. Unsere persönlichen Schwerpunkte haben sich mit der Zeit auch verlagert und andere Menschen haben das dann fortgesetzt.
Nach der Wende traft ihr auf die westdeutsche Antifa, die ganz andere Traditionslinien pflegte.
Ja, und es war dann ein längerer Prozess, miteinander klarzukommen. Es waren unterschiedliche Sprachen, die wir sprachen. Die Menschen aus dem Westen hatten andere Diskussionen geführt. Manchmal wirkte das abgehoben auf uns. Wenn dann Leute aus dem Osten nach Berlin zur Demo gefahren sind und sich völlig naiv in den Frauen- und Lesbenblock einreihen wollten, sind sie aus der Demo geflogen. Die Frauen haben sie ordentlich vermöbelt. Die ostdeutschen Gruppen waren oft von Männern dominiert. Und es hat gedauert, bis wir die unterschiedlichen Gruppen aus dem Westen einordnen konnten. Das alles, während gleichzeitig die Nazis anfingen, immer massiver und gewalttätiger aufzutreten und Menschen sowie linke Zentren zu überfallen. Wir hatten gar keine Zeit, uns lange aneinander heranzutasten, sondern mussten reagieren und das möglichst gemeinsam.

Radikalisierten sich die Nazis, weil die DDR-Wirtschaft abgebaut worden ist?
Ich glaube eher, dass das zusätzliches Futter gegeben hat. Die autoritären und rassistischen Wunschträume waren unabhängig davon schon da. Die Leute verloren reihenweise ihre Jobs und die Versprechen von blühenden Landschaften stellten sich als Luftschlösser heraus. Das verschärfte die Stimmung. Es gab aber schon in der DDR einen weit verbreiteten rassistischen Grundkonsens, der unter dem Teppich gehalten wurde.
Hast du Beispiele?
Unsere sowjetischen Freunde waren eben nicht unsere Freunde – das waren „die Russen“, der „Iwan“. Und wenn etwas geklaut wurde, dann waren es „die Polen“. Und die „Fijis“ – eine gängige Abwertung für Vietnamesen– waren eben nur gut dazu, den Leuten Jeans zu nähen. Ansonsten hatten sie schön die Klappe zu halten. Und als nach der Wende die Landschaften nicht zu blühen anfingen, wer bekam es ab? Zuerst die wenigen Ausländer, die es in der DDR gab. Dazu kam: Die westdeutschen Nazifunktionäre waren sofort im Osten präsent. Die waren auch schon während der DDR viel besser vernetzt als wir Linken. Die vermeintliche „Mitte der Gesellschaft“ gab es nicht oder hat sich irgendwohin verkrochen. Die enttäuschten Hoffnungen vieler Ostdeutscher auf D-Mark und Westprodukte kamen nur noch obendrauf. Wir haben uns da immer an den Kopf gefasst, für uns war ja von Anfang an klar, dass die Transformation des Wirtschaftssystems nur bedeuten kann, dass die Arbeitsplätze massenhaft wegfallen.
Ihr hattet also Recht und habt euch zurückgelehnt?
Nein, wir haben auch versucht, an diese Entwicklungen anzuknüpfen in unserer politischen Arbeit. Wir sind zum Beispiel nach Bischofferode gefahren, um dort unsere Solidarität mit den Arbeitern zu zeigen. Das war natürlich auch nicht einfach: Ein paar bunte Punker suchen Kontakt zu den Streikenden. Eine Wirkungsmacht hatten wir natürlich nicht. Aber die Kumpels haben sich immer gefreut, wenn wir ihnen Brötchen mitgebracht haben.
Reichen die rassistischen Kontinuitäten, die du beschrieben hast, bis zu den Wahlerfolgen der AfD im Osten?
Sicherlich. Ein Grundproblem, das sich nicht nur in Ostdeutschland immer wieder zeigt: Nach rassistischen Angriffen greifen sofort die Entschuldigungsmuster und Abwehrreflexe. Im Kern dasselbe wie 1945: Nein wir sind nicht verantwortlich, der Hitler ist es gewesen. Da gibt es schon Bezüge zum DDR-Antifaschismus und der „Entnazifizierung“ durch Partei- und Staatsdoktrin. Die AfD bezieht sich ja auch in ihrem Wahlkampf auf 1989, sie sprechen von einer »Wende 2.0«. Genau die Menschen, die jetzt jammern und »vollendet die Wende« krakeelen, sind die letzten, die damals aufgestanden wären oder in der DDR-Opposition etwas riskiert hätten. Die AfD will die Zeit auf 1933 zurückdrehen. Jetzt kommt es auch auf die jungen Leute an. Sie müssen ihren alten Verwandten klarmachen: »Wenn ihr die wählt, unterstützt ihr ein System, was dafür sorgen könnte, dass ich in einigen Jahren an irgendeiner Kriegsfront verrecken könnte.«
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Dieses Interview ist Teil unserer Serie „Linker Osten“. In den kommenden Tagen werden wir bei Supernova über Menschen und Strukturen berichten, die sich in Sachsen und Brandenburg rechten Strukturen entgegenstellen.