Ein städtisches Jugendzentrum in Pinneberg, nördlich von Hamburg, das den Namen zweier antifaschistischer Widerstandskämpfer*innen des Nationalsozialismus trägt, hat in der Vergangenheit noch nicht besonders viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Zumindest, bis vor drei Monaten die Diskussion um das dort ansässige Antifa-Café begann. Die parteilose Bürgermeisterin der Stadt ließ über ihre Mitarbeiter*innen mitteilen, dass das Café seinen Namen ändern solle. Und das in einem Haus, das nach den Geschwistern Scholl benannt wurde.
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Uns geht es darum, dass wir Werte und Haltungen haben, die wir vertreten wollen und gerade bleiben
Seit September dieses Jahres versucht ein loser Zusammenschluss von Jugendlichen und jungen Erwachsenen politische Inhalte nach Pinneberg zu bringen. Antifa-Café nennen sie das Ganze, denn es sei ihnen wichtig, sich in Zeiten des Rechtsrucks zu positionieren. “Eigentlich müsste jede städtische Jugendeinrichtung so ein Café betreiben. Der Kreis Pinneberg hat eine Vergangenheit mit Faschist*innen. Wir sehen uns als Antifaschist*innen und deshalb wollten wir es so im Namen haben”, erzählt Miriam, die von Anfang an dabei ist. Doch ihr Vorhaben brachte schnell Probleme. Noch bevor Anfang September die erste Veranstaltung im Geschwister-Scholl-Haus stattfinden sollte, bekamen die Veranstalter*innen durch das Jugendzentrum die Nachricht übermittelt, dass die Stadt fordere, den Namen des Cafés zu ändern. Und dies, laut der Aktivist*innen, ohne eine Begründung. Für die Gruppe kam das nicht infrage: “Uns geht es darum, dass wir Werte und Haltungen haben, die wir vertreten wollen, und um gerade bleiben. Wir wollen uns nicht von der Bürgermeisterin erzählen lassen, wie wir zu funktionieren haben”, erklärt Miriam. Trotz des sich anbahnenden Konflikts fingen die Jugendlichen an, wöchentlich Veranstaltungen zu organisieren. Bis zu 50 Leute kamen an den Donnerstagen. Eine beachtliche Menge für eine kleine Stadt, in der linke Politik bis dato kaum öffentliche Aufmerksamkeit gefunden hatte. Mit Referent*innen wie Zebra e.V., einer Beratungsstelle für Opfer von rechter Gewalt oder einem Kapitän der NGO Iuventa – Jugend rettet behandeln die Jugendlichen politische Themen. Aber ist das so radikal, dass ihnen mit einem Hausverbot gedroht wird?
Ein Kommunikationschaos, das inzwischen drei Monate andauert: Einzig und allein wegen des Wortes “Antifa”
Schon Mitte Oktober erreichte die Aktivist*innen die Nachricht, dass es bald ein offizielles Verbot gäbe, würde sich der Name des Cafés nicht ändern. Doch die Gruppe blieb standhaft – bis sie Anfang November in einer Pressemitteilung erklärte, sie hätte nun ein Hausverbot erhalten. “Wer in Zeiten des nationalsozialistischen Attentats von Halle, dem nationalsozialistischen Mord an Walter Lübcke, dem weiterhin unaufgeklärten NSU-Netzwerk und der Geschichte dieser Republik mit Millionen von Toten weiterhin daran festhält: ‘Antifa nicht in meiner Stadt’, spielt nur einem Klientel in die Hände: Den Ewiggestrigen, den alten und neuen Nazis – und lässt somit die Menschen im Stich, die täglich von rassistischer Gewalt, von Antisemitismus und Faschismus betroffen sind”, schreiben sie und fanden damit klare Worte.Und die Bürgermeisterin? Urte Steinberg sprach nie persönlich mit den Aktivist*innen. Auch bei Nachfragen ist nur die Pressesprecherin zu erreichen. Laut ihrer Aussage sei es schwierig, den ganzen Konfliktvorgang seit September „aufzudröseln“. Immer wieder betont sie, es seien Kommunikationsschwierigkeiten gewesen, niemand hätte der Gruppe ein Hausverbot erteilen wollen. Es ging lediglich darum, dass der “Antifa”-Begriff negativ belastet sei und ob die Gruppe sich nicht lieber davon distanzieren wolle – und die Veranstaltung beispielsweise besser als “Polit-Café” bewerben wolle. Der übermittelnde Kollege hätte es fehlerhaft so kommuniziert, dass das Café verboten würde. “Stille Post”, betont die Pressesprecherin. Im Nachhinein war die Posse von Seiten der Politik also ein großes Missverständnis. Die Nachricht, dass der Name lediglich hätte überprüft werden sollen, erreicht die Aktivist*innen Anfang November, zwei Monate später, durch einen Vertreter des Geschwister-Scholl-Hauses.Wer hier was überprüfen soll, ist allerdings niemandem klar: Laut Pressesprecherin der Bürgermeisterin wurden die Aktivist*innen dazu aufgerufen, eigenständig zu prüfen, ob sie sich mit dem negativ konnotierten Antifa-Begriff wirklich identifizieren können. Laut Angabe der Aktivist*innen hat so eine Prüfung nie stattgefunden. Ihnen wurde durch das Jugendzentrum vermittelt, die Politik prüfe, ob sie die Begrifflichkeit für bedenklich hielte. Ein Kommunikationschaos, das inzwischen drei Monate andauert: Einzig und allein wegen des Wortes “Antifa”. Antifaschismus sei ja nicht schlecht, sogar etwas positives, offenbart die Pressesprecherin bei nochmaliger Nachfrage. Der Begriff “Antifa” allerdings sei in der Gesellschaft häufig mit Gewalt verbunden.
Das Wort “Antifa”, was in seiner eigentlichen Bedeutung sowohl umgangssprachlich als auch häufig in öffentlichen Debatten als Akronym für “Antifaschistische Aktion” her hält, ist immer wieder ein polarisierendes Wort im politischen Diskurs. Vor allem Extremismus und Gewalt sind das, was die bürgerliche Mitte mit „Antifa“ assoziiert. Keine achtzig Jahre nach der Befreiung vom Faschismus wird mit dem Begriff Antifaschismus umgegangen, als wäre es fragwürdig, sich hinter diesem zu positionieren. Während “Antifa” in linken Zusammenhängen zeitweise als Selbstbezeichnung oder Beschreibung für verschiedene Gruppierungen und Kontexte genutzt wird, um politische Standpunkte klar zu machen, besprechen Presse und Politik „ die Antifa” meist so, als handle es sich um eine homogene, feste Gruppierung oder einen Verein, dem man ganz selbstverständlich einen bestimmten Artikel vorsetzen kann.
Dem Ganzen den Namen zu nehmen heißt auch, sich nicht positionieren zu wollen
Kann sich die gesellschaftliche Konnotation der Begrifflichkeit überhaupt ändern, wenn die Politik jungen Menschen davon abrät, sich diesen Begriff anzueignen, aus Angst, das städtische Jugendzentrum könnte dadurch unter einem schlechten Image leiden? Antifaschismus als Bewegung, als Aktion und Haltung, der sich gegen den Faschismus und gegen das Vergessen richtet, ist und bleibt notwendig. Dem Ganzen den Namen zu nehmen heißt auch, sich nicht positionieren zu wollen. In einer Zeit, in der das mehr als nötig ist – insbesondere in der schleswig-holsteinischen Provinz, in der sich Gruppen wie der “Aryan Circle” wieder offen neonazistisch positionieren.
Die Gruppe wünscht sich eine offene Besprechung der Thematik. Das Angebot der Bürgermeisterin, Delegierte für ein Gespräch in ihr Büro zu schicken, reicht ihnen nicht: “Das hat viel mit Vertrauen zu tun, welches wir gerade nicht mehr haben”, sagt Miriam. Es sei ein öffentliches Thema, es ginge um einen öffentlichen Raum und solle öffentlich diskutiert werden. Das Angebot der Gruppe, donnerstags zum Café zu kommen, nahm Urte Steinberg bis heute nicht wahr. Drei Monate und viel Kraft wegen des Wörtchens Antifa. Ob in Zukunft politische Veranstaltungen in dem nach Sophie und Hans Scholl benannten Haus stattfinden können, ist unklar. Das Antifa-Café lädt noch immer unter seinem Namen ein. Als nächstes mit einer Expert*innen-Runde, die aus einer wissenschaftlichen Perspektive einen Blick auf Antifa-Arbeit aufzeigen soll. Die Bürgermeisterin sei wie immer eingeladen. Einige Jugendliche überlegen nun, in Elmshorn, unweit von Pinneberg, ein zweites Café zu gründen. Nicht nur wegen der Situation im Geschwister-Scholl-Haus, erklärt Miriam. Sondern vor allem, weil es wichtig ist, dass es abseits von Großstädten antifaschistische Anlaufstellen und Projekte gibt. Je mehr, desto besser.