Seit Donald Trump im Zuge der Proteste wegen der Ermordung George Floyds durch die Polizei angekündigt hat, „ANTIFA“ als Terrororganisation einstufen zu wollen, diskutieren wir in Deutschland wieder mal über „Antifa“. Klar, wir sollten nicht auf jeden rechten Unsinn reagieren. Trump ist aber nicht eine rechtsextreme Oppositionspartei im Deutschen Bundestag, der oft zu viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, sondern als Präsident der USA der mächtigste Mann der Welt. Es ist also eine Gefahr für Antifa-Aktivist*innen, wenn er sowas ankündigt. Zu sagen, dass es „die Antifa“ so nicht gibt, hilft da übrigens auch nicht weiter. Was Trump meint, sind organisierte Antifa-Gruppen.
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Antifa ist auch deshalb nicht nur die Abkürzung für Antifaschismus, wie es von Politiker*innen von Grünen bis CDU behauptet wird. Selbst die SPD-Vorsitzende Saskia Esken sagt, sie sei seit 58 Jahren Antifa, was mich leider an einen schlechten Song von Irie Révoltés erinnert. Dass sie dabei nicht lange bleiben würde, war zu erwarten. Denn als Esken einen Shitstorm kassiert, wirft sie antifaschistische Strukturen unter den Bus, als sie sich von der „Besetzung [des Begriffs Antifa] durch Gewalttaten ‚linker‘ Randgruppen“ distanziert und Repressionen für Antifa-Strukturen fordert. Das Hufeisen lässt grüßen und da ist die SPD-Vorsitzende politisch nicht so weit von Trump entfernt, wie sie das gerne hätte. Sie will Antifa-Gruppen vielleicht nicht als Terrororganisation einstufen lassen, begründet aber mit der Extremismus-Theorie deren Ablehnung, setzt Linke mit Rechten gleich. Die für einige traumatisierende Polizeigewalt beim G20-Gipfel und ihr Macher Olaf Scholz sind noch in lebendiger Erinnerung.
Jede*r Liberale, Grüne oder Sozialdemokrat kann bei Twitter schreiben, Antifaschismus sei eine Sache aller Demokrat*innen
Und es gibt qualitative Unterschiede darin, welche Antifaschist*innen denn überhaupt Schutz in Anspruch nehmen können und welche nicht. Wer von einer „Besetzung“ des Begriffes von „linken Randgruppen“ spricht, entzieht Antifa-Gruppen und den Menschen, die dort organisiert sind, die Solidarität. Während Politiker*innen von Landeskriminalämtern oft auch Personenschutz erhalten können, werden Menschen in antifaschistischen Strukturen von den selben Organen mit Repressionen verfolgt.
Jede*r Liberale, Grüne oder Sozialdemokrat kann dann bei Twitter schreiben, Antifaschismus sei eine Sache aller Demokrat*innen. Ob sie das auch in die Wirklichkeit umsetzen, ist eine andere Frage. Bei einigen ist es nichts anderes als Inszenierung und Opportunismus. Nun gibt es viele Menschen, die Antifaschismus organisieren, aus Sicherheitsgründen aber nicht öffentlich darüber sprechen können, weil sie vom Staat oder von Nazis Gewalt befürchten müssen. Ihnen bleibt nur der Selbstschutz. Vor Hausbesuchen, rechter Gewalt im Stadion oder vor dem Durch-die-Straße-gejagt-werden, schützt einen niemand.
Antifa ist täglicher Kampf
Und das betrifft nicht nur die Antifa-Gruppe, die sich ausschließlich dem Abwehrkampf verschrieben hat, sondern auch radikal linke Strukturen, die auf gesellschaftliche Transformation setzen, auf antiautoritären Kommunismus hinarbeiten, auf die befreite Gesellschaft, wie sie es auch immer nennen oder umsetzen wollen. Antifa ist eben nicht nur die Abkürzung für Antifaschismus, nicht nur dieses Graffiti an der Wand, dass man sich anschließend auf den Pulli drucken kann.
Antifa ist ein täglicher Kampf. Und den kämpfen die Menschen, die Donald Trump als „Terrororganisation“ einstufen will, aber eben anders als Politiker*innen, die sich das Label gerne anheften, aber danach mit Hufeisen um sich werfen. Die einen decken rechte Strukturen auf, demonstrieren gegen sie, versuchen, sie zu blockieren, im besten Fall zu zerstören und werden vom Staat daran gehindert. Die anderen praktizieren Antifaschismus als Bratwurst-Essen auf einer 1. Mai-Demo des DGB, während zur selben Zeit Nazis mit antisemitischen Parolen durch die Stadt laufen und dazu aufrufen, Handgranaten in die Parlamente zu werfen.
Wer gegen Nazis kämpft, braucht außerdem oft auch eine Gang. Antifa heißt auch Vertrauen aufzubauen. Das kann bedeuten, von der Polizei verprügelt zu werden oder von einer fünf Meter hohen Mauer runter springen zu müssen, um dem zu entgehen. Das kann heißen, von einem Büro aus Proteste zu koordinieren, Nazi-Routen zu sabotieren, täglich bei Instagram und Facebook Stories von Nazis anzuschauen, Social-Media-Accounts zu betreuen, sich gegenseitig zu schützen. Damit heißt Antifa auch, sich verwundbar zu machen. Und einige haben nicht mal die Wahl. Die bürgerliche Gesellschaft als Rückzugsraum steht nur den Menschen zur Verfügung, die sich weder Sorgen um Geld, Rassismus, Antisemitismus, Nazis, das Patriarchat oder alles zusammen machen müssen.
Wenn wir also darüber reden, wer Antifa ist und was das bedeutet, dann ist die Erklärung komplizierter als bei Twitter zu schreiben, Antifaschismus sei ein Ding aller Demokrat*innen. Es sind eben auch diese Demokrat*innen, die die Positionen der Nazis in den vergangenen Jahrzehnten legitimiert haben, nicht erst seit Trump Präsident ist oder die AfD im Bundestag sitzt. Es waren Demokrat*innen, die das faktische Grundrecht auf Asyl als Reaktion auf rassistische Pogrome abgeschafft haben. Es sind Demokrat*innen, die Menschen im Mittelmeer ertrinken lassen und in Sammelunterkünften der Covid-19-Pandemie aussetzen. Es sind Demokrat*innen, die Antifa-Strukturen von Behörden beobachten und verfolgen lassen. Und es sind Demokrat*innen, die Rassismus und tödliche Polizeigewalt in den USA kritisieren, aber wenn hier PoC in Zellen verbrennen, Untersuchungsausschüsse wie im Fall Oury Jalloh blockieren. Es sind Demokrat*innen, die es unwidersprochen lassen, wenn eine Staatsanwaltschaft einen Fall von tödlicher Polizeigewalt mit „Notwehr“ abschließt, obwohl Adel B. im Juni 2019 durch eine Haustür hindurch erschossen wurde.