Wäre sexuelle Belästigung im Internet nicht so ein ernstes und düsteres Thema, so wäre die Geschichte von Kim und Caro, beide 23 Jahre alt, eine Bilderbuchgeschichte des Erfolgs. Sie würde sich so schreiben: Im August 2019 eröffnen zwei Studentinnen, die sich selbst über Instagram kennengelernt haben, den Account „Antiflirting“. Der damals erste deutschprachige Instagramkanal mit solch einem Konzept hat ein Jahr später mehr als 80.000 Follower. Unzählige Medien und Plattformen interviewten Kim und Caro, unter anderem das Lifestylemagazin Vice, die Spaßmoderatoren Joko&Klaas sowie die Boulevardsendung „Taff“ bei Pro Sieben.
Das Konzept ist einfach: Wer im Internet ein unerwünschtes Bild von einem Schwanz geschickt bekommt, wer bedroht, beleidigt oder einfach nur widerlich angemacht wird, soll fortan nicht mehr alleine gelassen werden mit den schmutzigen Schattenseiten des Internets auf seinem Bildschirm. Stattdessen kann man es Kim und Caro schicken. Die beiden anonymisieren es dann und laden es hoch. Darunter steht meist ein kurzer Kommentar und von welcher Plattform es stammt. Dating-Apps wie Tinder sind dabei extrem häufig vertreten.
Kim und Caro haben beschlossen, die Ungerechtigkeit, die sie fast täglich erfahren, nicht mehr tatenlos zu ertragen. Und mehr als das: Durch „Antiflirting“ soll diese Ungerechtigkeit als kleinster gemeinsamer Nenner dienen – zwischen ihnen und allen anderen Frauen, ja allen anderen Menschen, die sexualisierte Gewalt im Internet erfahren müssen.
Die Grenzen der Witzigkeit
„Das war doch nur Spaß; das war doch nur lustig gemeint – mit dieser Ausrede rechtfertigen viele Menschen ihre Gewalt im Internet“, sagt Kim zu Supernova. Deshalb tun beide alles dafür, dass ihr Instagramprofil bloß nicht humoristisch rüberkommt. Auch nicht in dem Sinne, dass man sich dort über die Peinlichkeiten anderer amüsieren kann. „Wenn dir jemand ungewollt ein Dickpic schickt, kannst du diese Person anzeigen“, erklärt Kim. „Das ist etwas, was viele nicht wissen, und was man auf unserer Seite als Nebeneffekt etwa lernen kann.“ Außerdem will Antiflirting eine ernsthafte Auseinandersetzung schaffen, damit mehr Aufklärung stattfindet und im besten Fall sogar Einzelne ihr Verhalten ändern. Doch nach nur kurzer Zeit sperrte Instagram plötzlich ihren Account. Der Grund: Verstoß gegen die Nutzungsrichtlinien. „Normalerweise bekommt man erstmal eine Warnung ausgesprochen – eine gelbe Karte quasi. Bei uns nicht, Antiflirting war auf einmal weg“, erzählt Kim. Doch sie machten weiter. Deshalb heißt die Seite heute Antiflirting 2. Die Beiträge werden anonymisiert. Auch gibt es sogenannte Triggerwarnungen, wenn der Inhalt eine gewisse Grenze überschreitet.
Und viele gepostete Chats laufen dann so ab: Zwei Menschen haben bei Apps wie Tinder oder OkCupid ein Match. Das heißt, sie mögen die gegenseitigen Bilder und können einander schreiben.
In diesem Fall wird es nach einem unverfänglichen Gesprächsbeginn gleich ausfallend. „Läufts?“, fragt der wahrscheinlich männliche Schreiber. -„Tiptop und bei dir?“ -„Jep“, „Ficken?“ geht es weiter.
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Gegen guten Humor haben die Betreiberinnen von Antiflirting 2 nichts, auch nicht auf dem eigenen Instagramkanal. „Natürlich ist auch nicht alles, was wir hochladen, gleich zu bewerten“, sagt Caro. Es gebe selbstverständlich unter Tabus auch Gradwanderungen, und auch bei Brutalität gebe es Unterschiede. „Humor funktioniert ja manchmal gut als Zugang zu einem gewissen Thema. Und bei manchen Sachen müssen wir auch schmunzeln. Aber nicht weil es lustig ist, sondern eher so unglaublich, dass jemand vielleicht wirklich glaubt, mit so einer Anmache jemandem nahekommen zu können.“
Ein Beispiel dazu, von OkCupid: Er schreibt sofort übel sexistisch, sie antwortet mit einem kurzen „Wuff“ und scheint ihn aus dem Konzept zu bringen. Das ist dem Mann dann „zu krank“.
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Widersprüchlicher Erfolg
Trotz des steilen Erfolgs wollen Kim und Caro mit ihrer Plattform noch viel erreichen. Noch immer senden ihnen vor allem Frauen im Alter zwischen 25 und 34 Jahren Beiträge. „Zukünftig wäre es schön, wenn wir uns da etwas breiter aufstellen können“, sagt Caro. „Weil das auch heißen würde, dass wir mehr Menschen aus unterschiedlichen Schichten und Backgrounds erreichen können.“
Auch, dass sie an Sendungsformaten wie Taff teilnahmen, hat für die beiden in Wien lebenden Studentinnen zwei Seiten. „Man muss ja nicht mal 15 Jahre zurückgehen, sondern es langt, wenn man bei Taff fünf Minuten weiterschaut. Nach einem Beitrag über sexuelle Gewalt und Feminismus kommt direkt danach wieder ein extrem sexistischer Content.“ Darüber, dass solche Sender über das Thema Frauenrechte berichten, weil sich im 21. Jahrhundert damit Geld verdienen lässt, sind sich beide bewusst. Gleichzeitig finden sie es gut, wenn ihre Inhalte so breit wie möglich verteilt werden. „Nachdem wir bei Joko&Klaas waren, hatten wir auf einmal Tausende Follower mehr“, fügt Caro hinzu.
Aber für die Zukunft haben die beiden auch konkrete politische Ziele. Dazu sagt Kim: „In Österreich ist es eben noch immer so, dass bei sexueller Gewalt nur der entstandene körperliche Schaden bestraft wird, anders als etwa in Deutschland, wo auch der psychische Schaden eine Rolle spielt. Das ist etwas, wo wir akuten Handlungsbedarf sehen.“