Die Antilopen Gang hat einen Disstrack gegen den TV-Clown Oliver Pocher herausgebracht. Der hatte zuvor vor Publikum eine Influencerin gegen ihren Willen als ehemalige Prostituierte, eine andere als Pornodarstellerin geoutet. „Nicht cool“, fanden die Antilopen ganz zu recht – und setzten Pocher mit Rückgriff auf den guten alten Harald Schmidt einen „besseren“ Männlichkeitsentwurf entgegen. So führen sie das ewige Selbstgespräch von Männern darüber fort, wie man sich „richtig“ gegenüber Frauen verstellen muss, um von ihnen Aufmerksamkeit und Sex zu bekommen. Feminismus wäre jedoch, aus diesem bescheuerten Männlichkeitsspiel endlich auszusteigen.
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Doch der Reihe nach: Via Social Media hat es sich Oliver Pocher zur Aufgabe gemacht, Influencer*innen seiner Fanbase zum Fraß vorzuwerfen. Am 1. Mai hatte er sich etwas ganz besonderes ausgedacht und in der Lebensgeschichte zweier Frauen herumgestochert. Er fand Belege für die Tätigkeit der beiden in der Sexarbeit, die er seinen Zuschauer*innen triumphierend am Tablet-Computer vorführte. Die reagierten, kaum verwunderlich, weit unterhalb jedes zivilisierten Miteinanders und klickten zehntausende Male „Like“. Als die ehemalige Prostituierte und Anti-Prostitutions-Aktivistin Huschke Mau sich in die Scheiße einmischte, Pochers Tätigkeit als Gewalt gegen Frauen und als „ganz nah dran am Revenge Porn“ kennzeichnete und „Lösch dich, Pocher!“ forderte, eskalierten die Pocher-Fans so richtig. Sie wird fortan sexualisiert bedroht und beschimpft. Über Mau wurden die Vorgänge dann auch in linken Kreisen bekannt und diskutiert.
Beim Thema „Fotzensekret“ so klein mit Hut
Vier Tage später veröffentlichten die Antilopen „Kleine miese Type“ und schlossen sich Maus Forderung nach einer Selbstentfernung Pochers aus dem Netz an. Im Video zu sehen sind Auszüge aus dem Auftritt der feministischen Rapperin Lady Bitch Ray und der norwegischen Sängerin Maria Mena bei der Talkshow „Schmidt und Pocher“ aus dem Jahr 2008. Darin überreicht Lady Bitch Ray Oliver Pocher ihr „Fotzensekret“ in einem mitgebrachten Flacon, um ihn auf geschlechtlicher Ebene herauszufordern. Pocher reagierte verunsichert. Dann zeigt das Musikvideo die Szene nach dem Auftritt von Maria Mena. Die beiden stehen mit Schmidt und Pocher zusammen, der sodann Dieter Bohlen bei „Deutschland sucht den Superstar“ imitiert und sagt: „Ich hoffe, die Zuschauer rufen für dich an. Und hier ist noch ein Geschenk für dich“, woraufhin Pocher Mena das Fotzensekret überreichen will, woran ihn Lady Bitch Ray durch Festhalten seines Armes hindert. Harald Schmidt ärgert sich über seinen Talkkollegen Pocher und moderiert die Show ab: „Das ist ja jetzt völlig uncharmant. Für so ’ne kleine, miese Type, die, wenn sie Fotzensekret überreicht kriegt, erst mal so klein ist mit Hut und dann ’nem ausländischen Gast es so rein semmelt, der kein Deutsch versteht. Ist uncool. Oliver Pocher, beim nächsten Mal hat er es begriffen. Bis nächste Woche, Tschüss!“
Sodann beginnen die Antilopen hart gegen Pocher im Stile eines Disstracks auszuteilen. Dabei heißt es unter anderem: „Oli Pocher ist nicht clever, Oli Pocher ist nicht komisch“, „Oli Pocher, er hat keine guten Witze, also mobbt er.“, „Oli is‘ ein echter Mann, ja genau, keine Frage, keine Gnade auch bei schwangeren Frauen, ja“ oder „Oli Pocher, ja das ist nur eine misogyne – Harald hat‘s so schön gesagt – kleine, miese Type“. Im Refrain wird Schmidts Ausspruch „Kleine miese Type“ immer wieder als Sample wiederholt. Außerdem heißt es: „Oli Pocher ist der einzige Fehler von Harald Schmidt – warum, Harry?“
Männergespräche über die „schlimmen“ Männer waren noch nie eine Art, wirklich das Patriarchat anzugreifen
Doch darf Harald Schmidt zurecht als fehlerfreies Gegenteil der Misogynie eines Oliver Pocher gelten? Schmidt genießt als Legende im deutschen Showbusiness absoluten Kultstatus. Als der alte, weiße Mann, der er ist, ist er trotz seiner ständigen, als ganz normal geltenden Zotigkeit gegenüber Frauen, weitgehend unangreifbar. Die frühere Tagesschausprecherin Susan Stahnke etwa ließ „Dirty Harry“ in seiner Show als Schauspielerin einer Sexszene in „Basic Instinct 2“ darstellen, woraufhin diese ihn verklagte. Wie war das noch mal mit dem Racheporno, mit dem Männer Frauen erniedrigen?
Schmidt übernimmt in der von den Antilopen gefeatureten Szene die Rolle des erfahrenen Good Guy, der dem unerfahrenen, jungen Pocher die falsche Männlichkeit vorhält. Damit können sich die Antilopen offenbar identifizieren. Doch das Männergespräch über die „schlimmen“ Männer war noch nie eine Art, wirklich das Patriarchat anzugreifen. Vielmehr ist der ständige Streit unter verschiedenen Männlichkeiten über den richtigen Zugang zu Frauen ein Grundrauschen des Patriarchats. Diese „Debatte“ geht prinzipiell davon aus, dass Männer Frauen mit ihrer Männlichkeit gewinnen müssen, um von ihnen Sex und Aufmerksamkeit zu bekommen und sie zu kontrollieren. Männlichkeit ist also nichts natürliches, das ein Mann einfach hat. Sie ist immer eine Inszenierung aus Herrschaftsinteresse.
Die soziologische Männerforschung geht von einem Konzept aufgespaltener Männlichkeiten aus, die untereinander Konkurrenzkämpfe führen. Dazu gehören etwa die hegemoniale Männlichkeit, für die hier Harald Schmidt steht, und eine marginalisierte, krawalligere Männlichkeit, als deren Sprachrohr Oliver Pocher gelten kann. Die hegemoniale Männlichkeit punktet durch Leistung im Job und bindet Frauen via echtem Reichtum und angeblich „stilvoll“ oder eben „charmant“ an sich. Sie hält marginalisierteren Männlichkeitsformen beständig vor, zu wenig Klasse zu haben, zu plump sexistisch zu sein. Gemein ist allen Männlichkeitsformen allerdings, dass sie Frauen nicht wirklich als Gesprächspartnerinnen darüber anerkennen, wie ein Mann sein sollte. Wenn stets die anderen Männer die eigentlichen Schweine sind, findet wirklich jeder noch einen Mann „unter“ sich. So sind alle Männer kollektiv entlastet. Der eigene, problematische Umgang mit Frauen tritt dadurch in den Hintergrund.
Ganz schön idiotisch, diese Männlichkeit.
Eines der beliebtesten Mittel, über Gewalt gegen Frauen zu sprechen, ist die Rassifizierung sexueller Gewalt (wobei wieder nicht über die Gewalt an Frauen gesprochen wird). Besonders ohrenbetäubend wurde dieses Grundrauschen im Diskurs nach der Kölner Silvesternacht, als die ganze Debattennation zugewanderten Männern aus Nordafrika, so fassten es Feministinnen zusammen, entgegen brüllte, dass man die eigenen Frauen gefälligst noch selber belästigen wolle. Prinzipiell hat damals nicht sexuelle Gewalt die Deutschen erzürnt, sondern dass sie von den falschen Männern mit der falschen Hautfarbe und falschen Manieren ausgeübt wurde.
Am Ende zeigt der Disstrack der Antilopen einen Ausschnitt mit Moritz Bleibtreu und Pocher, in dem der Geschmacklosigkeiten über Mütter erzählt, die nach dem Stillen „so hässlich“ seien, „dass Papa gar kein Bock mehr hat, sein Glied in die…“. Bleibtreu dreht sich genervt zu Pocher um und sagt: „Oliver, du musst wissen: Provokation alleine, ja? Ohne Hintergrund, ja? Ist nichts wert, ja? Das ist vielleicht ein gutes Mittel, um MAL ein paar Idioten zu beeindrucken“. Wieder ist es also der „bessere“ Mann, Bleibtreu, der den Mann mit der zu „primitiven“ Herangehensweise an Frauen disst. Das Problem ist aber auch hier nicht der Frauenhass, sondern, dass man damit nur „Idioten“ beeindrucken könne. Auf die sollte man gefälligst, so sagt es die hegemoniale Männlichkeit, herabblicken, statt sich mit ihnen gemein zu machen. Außer manchmal. Ganz schön idiotisch, diese Männlichkeit.