Vor knapp einem Jahr hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die bisher gültige Regelung der Geschlechtseinträge in offiziellen Dokumenten verfassungswidrig ist und hat dem Gesetzgeber ein Ultimatum gestellt: Bis zum 31. Dezember 2018 soll es entweder eine dritte Kategorie neben „weiblich“ und „männlich“ geben, oder das Geschlecht habe komplett zu verschwinden.
Der Bundesregierung blieb keine Wahl, als dem Urteil der republikanischen Rotröcke Folge zu leisten. Der von ihr präferierte Gesetzesentwurf, der das Personenstandsrecht klären soll, und noch vor der Winterpause fristgerecht durchs Parlament gepeitscht werden müsste, stammt allerdings aus dem Hause Seehofer. Demnach soll nur ärztlich verifizierten Inter*-Personen die Möglichkeit einer dritten Option offen stehen, das »Grundrecht auf den Schutz der geschlechtlichen Identität als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes« von (nicht-binären, nicht-inter) Trans*-Personen spielt im Entwurf keine Rolle.
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Das wiederum will sich die „Aktion Standesamt 2018“, die an die Arbeit der Kampagne „Dritte Option“ anknüpft, nicht gefallen lassen und fordert ein emanzipatorisches Personenstandsrecht. Jede*r soll für sich selbst entscheiden können, ob und welche Geschlechtsoption dokumentiert sein soll, egal ob zum Beispiel ein „x“, „divers“, oder „nicht-binär“. Für dieses Ziel wollen Aktivist*innen mit einer derzeit stattfindenden, bundesweiten Aktionswoche nicht länger auf die (schwammige) Reform warten, sondern in zahllose Antragsschlachten mit deutschen Standesämtern treten.
Die Erfolgschancen der individuellen Anträge bleiben ungewiss, im Hintergrund laufen bereits die Vorbereitungen einer Jura-Gruppe für etwaige Prozesse, die man im Falle von abgelehnten Anträgen unbedingt führen möchte. Doch wer sind eigentlich die Menschen, die hinter den Anträgen stehen? Wir haben drei Antragsteller*innen gefragt, warum sie eine dritte Option beantragt haben:
Jasper *, Berlin, 19 Jahre, Auszubildender zum Hörakustiker, hat sich entschieden als dritte Option „nicht-binär“ zu beantragen:
Bei meiner Geburt wurde ich einem binären Geschlecht zugewiesen, mit dem ich mich nie identifizieren konnte. Ich habe mich als Kind oft sehr unwohl gefühlt, wenn andere versuchten, mich in eine Rolle zu drängen. Ich war viel in der Natur unterwegs, trug kurze Haare und Jungsklamotten. Viele Leute wussten auf den ersten Blick nicht, ob ich ein Junge oder Mädchen war. In der Pubertät versuchte ich dann, besonders feminin zu sein. Damals fehlte mir ja jedes Bewusstsein dafür, dass es noch etwas anderes als Frauen und Männer gibt. Eben weil ich dachte, es sein mir vorgeschrieben, als Erwachsener eine Frau zu sein, ob ich wollte oder nicht. Erst später lernte ich zum Beispiel durch das Internet, dass es „Nicht-Binarität“ gibt und somit auch, dass es mein Geschlecht (wirklich) gibt. Ein sehr befreiender Moment!
Allerdings gibt es in dieser Gesellschaft nur wenige Orte, in denen sich Menschen abseits der binären Norm frei ausleben können. Ob nun auf Toiletten, in Schulen und Vereinen. Oder auch die deutsche Sprache, fast überall habe ich das Gefühl, nicht zu existieren, nicht existieren zu dürfen, unsichtbar gemacht zu werden. Deshalb ist es mir so wichtig, dass in Zukunft in meinen Dokumenten auch mein Geschlecht steht. Bisher gibt es für Menschen wie mich keine Regelungen, einen passenden Eintrag zu bekommen. Um das zu ändern, habe ich einen Antrag gestellt, denn ich möchte die Anerkennung meines Geschlechts durch den Staat, damit ich in meinem Alltag jedes Recht dazu habe, so zu sein, wie ich bin – Eben genau so, wie es für Cis-Menschen schon immer selbstverständlich ist.
* Name auf Wunsch von der Redaktion geändert.
Noël, Berlin, 20 Jahre, angehender Programmierer, in seinem Antrag findet sich nicht nur die dritte Option „nicht-binär/divers“, sondern auch eine Namensänderung:
Mit dem Namen auf meiner Geburtsurkunde war ich nie glücklich. Seit ich zehn Jahre alt bin, stelle ich mich mit einem Spitznamen vor. Nach einem über Jahre hinweg antrainierten, genervten Augenrollen und einem eisigen „Ja, das ist mein richtiger Name“ fragen die meisten neuen Bekanntschaften zum Glück nicht weiter nach. Mit dieser Taktik fuhr ich ganz gut, bis mein Studium begann. Im Seminar zu Theoretischer Informatik habe ich mich die Hälfte des Semesters nicht beteiligt, um nicht nach meinem Namen gefragt zu werden. Erst nach viel Zuspruch von Kommiliton*innen hob ich die Hand, stellte mich mit meinem Spitznamen vor und wehrte die übliche Frage „Was ist das denn für ein Name?“ mit einem einstudierten Konter ab. Der Dozent akzeptierte es zwar, da aber im Onlinesystem der Uni und auf allen Kurslisten mein alter Name steht, kommt es häufig zu Verwirrung und Lehrpersonen sprechen mich vor dem ganzen Kurs mit dem falschen Namen an. Ich muss das entweder akzeptieren oder mich vor fremden Menschen outen. Für Hochschulgremien kann ich mich so auch nicht aufstellen lassen. Wenn ich mal aufs Klo muss, muss ich zur Rolli-Toilette im Mensagebäude laufen, weil das die einzige ohne Geschlechtszuweisung ist. Das Sekretariat will meinen Namen nicht intern ändern, deswegen brauche ich eine neue Geburtsurkunde mit meinem vor kurzem neu gewählten, offiziellen Namen und meinem richtigen Geschlecht.
Noel, Leipzig, 22 Jahre, Student*in der Humanmedizin, möchte im Personalausweis die Option „divers“ und ebenfalls einen neuen Namen:
Vor fünf Jahren entdeckte ich die Bezeichnung „nicht-binär“ für Menschen, die weder männlich noch weiblich sind. Das war für mich vor allem ein Moment der Bestätigung: Es gibt eine Bezeichnung für meine Identität. Ich musste mich nicht mehr gezwungen fühlen, einem bestimmten Bild von „männlich“ oder „weiblich“ zu entsprechen. Ich konnte einfach ich selbst sein. Das gab mir auch die Motivation, mich gegenüber Freund*innen und Bekannten zu outen und über meine Identität aufzuklären. Leider hielt das nur für kurze Zeit. Ich stellte fest, dass es keine Möglichkeit gab, meine Identität offiziell anerkennen zu lassen oder medizinische Unterstützung zu erhalten. Das TSG ist nur auf den „Wechsel“ zwischen binären Geschlechtern ausgelegt, den ich für mich selbst ja implizit nicht möchte, also legte ich Namensänderung und Therapie auf Eis. Ich dachte, das hätte keinen Sinn. Meine Einstellung änderte sich dieses Jahr wieder dank der Kampagne „Dritte Option“ und der „Aktion Standesamt“. Die Möglichkeit, doch anerkannt werden zu können, gab mir wieder Energie, die nötigen rechtlichen Schritte zu gehen und die Suche nach einem Therapieplatz in Angriff zu nehmen. Für mich war es ein wichtiges Signal den Weg zu einer „Normalität“, der noch vor mir und vielen anderen Trans*-Personen liegt, weiter zu gehen und ich hoffe, dass das Ergebnis der Aktionswoche diesen Weg weiter ebnet und wir eine selbstbestimmte dritte Option in Anspruch nehmen können.
