Arbeiter*innenkinder haben es extra schwer an der Hochschule. Deshalb hilft ihnen in Münster „fikuS“ weiter, das Referat für finanziell und kulturell benachteiligte Studierende des Allgemeinen Studierendenausschusses. Das „fikuS“ gibt es als erstes Antiklassismusreferat an einer deutschen Universität zwar schon seit 2003. Aber erst langsam kommt auch anderswo an, wie sehr sich Klassismus auch noch auf jene auswirkt, die es bereits an die Uni geschafft haben. Supernova hat mit Richard Dietrich vom „fikuS“ darüber gesprochen, mit welchen Anliegen studierende Arbeiter*innenkinder zu ihnen kommen und ob sich im Laufe der Jahre etwas verbessert hat.
Ihr seid die Anlaufstelle für Arbeiter*innenkinder an der Universität in Münster. Mit welchen Anliegen kommen Studierende zu euch?
Oft geht es erst einmal um akute finanzielle Probleme, wie die Studienfinanzierung oder existenzielle Sorgen. Es kommen auch Studierende, die Erfahrungen austauschen, sich vernetzen und sich mehr in der Richtung engagieren wollen. Das sind meistens Studierende, die schon länger an der Universität sind und es trotzdem geschafft haben, durch all diese Diskriminierungserfahrungen mit Erfolg durchzukommen.
Es geht also mehr um finanzielle Probleme als darum, sich mit anderen zu vernetzen, weil man sich als Arbeiter*innenkind an der Uni beispielsweise fremd fühlt?
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In erster Linie geht es um akute finanzielle Nöte. Diejenigen, die sich fremd fühlen und Probleme mit dem Studium haben, passen sich entweder an oder brechen ab. Selten geht es Arbeiter*innenkindern um Aktivismus und die Durchsetzung der eigenen Rechte an der Uni. Sie sind zu sehr mit den eigenen existenziellen Hürden beschäftigt, als dass sie die strukturelle Diskriminierung erkennen. Das Scheitern wird dann als individuelles Versagen aufgefasst.

Mit eurer Gründung 2003 wart ihr das erste Arbeiter*innenkinderreferat an einer deutschen Hochschule. Müsst ihr noch oft erklären, warum eure Arbeit notwendig ist?
Aktuell sind das Thema Klassismus und die Legitimität der Anliegen von studierenden Arbeiter*innenkindern viel akzeptierter. Ich war allerdings schon einmal 2012 Referent und da wurde die Existenzberechtigung von liberaler und linker Seite torpediert. Viele Diskriminierungsebenen wurden auch von Linken gar nicht gesehen. Bei Arbeiter*innenkindern spielt neben beschränkten finanziellen Möglichkeiten auch der soziale Hintergrund eine entscheidende Rolle. Zu Hause wird man oft nicht mit den Problemen gehört und so zweifelt man an sich selbst. Ist man an der Uni angekommen, hat man natürlich viele Diskriminierungshürden überstanden. Aber das heißt noch lange nicht, dass man abgesicherte*r Akademiker*in ist. Die Zeit hat einfach gezeigt, dass sich viel mehr studierende Arbeiter*innenkinder organisiert haben, der antiklassistische Druck viel größer geworden ist und der Diskurs dadurch verschoben wurde.
Dass das Thema jetzt präsenter ist, zeigt sich auch daran, dass es nun weitere Antiklassismusreferate gibt. Seit 2019 haben sich an den Unis in Marburg, Köln und München welche gegründet. In einem Artikel habt ihr das als Wendepunkt bezeichnet. Was hat dazu beigetragen?
In den letzten drei bis fünf Jahren ist unglaublich viel passiert. Mit Didier Eribons Buch „Rückkehr nach Reims“, in dem der französische Soziologe seinen Werdegang als schwules Arbeiter*innenkind erzählt, ist der Diskurs in der breiten linksliberalen Gesellschaft angekommen. Außerdem hat die langfristige Arbeit von Leuten wie Francis Seeck, Andreas Kemper und des fikuS für eine Diskursverschiebung gesorgt und zu dieser antiklassistischen Trendwende beigetragen. Francis Seeck ist Antidiskriminierungstrainer*in und Dozent*in zu Klassismus und Gender. Andreas Kemper hat das Referat in Münster mitgegründet und versuchte, den Klassismus-Begriff in der Wissenschaft durchzusetzen. Hinzu kommt die Intersektionalität: Die Genderfrage wurde neu aufgerollt und die Black-Lives-Matter-Bewegung hat die Rassismusproblematik skandalisiert. Das sind alles Faktoren, die die Gesellschaft aufmerksamer und hellhöriger für Diskriminierungserfahrungen werden lassen. Fast täglich erscheinen Artikel in linken Tageszeitungen zum Thema Klassismus. Wir sind sehr glücklich über diese Entwicklung.
Sollte es also an jeder Hochschule so ein Referat geben?
Ja, überall wo sich dafür betroffene Leute finden, sollte es so ein Referat geben. Aber natürlich mussten wir gegen Widerstände kämpfen. Wir bräuchten eine aktiv strukturelle Förderung von oben. Das ist was ganz anderes als „nur” offen dafür zu sein, wenn sich Leute finden, die neben dem Studium da sehr viel Energie investieren können oder wollen.
Mit eurem Referat habt ihr „Dishwasher“ ins Leben gerufen. Ein Magazin von und für Arbeiter*innenkindern. Was hat es damit auf sich?
Der „Dishwasher“ ist ein Magazin von unten, das von Studierenden aus der Arbeiter*innen- bzw. Armutsklasse veröffentlicht wird. Viele Leute, die sich nicht unbedingt hochschulpolitisch engagieren wollen, sind trotzdem daran interessiert, Erfahrungsberichte auszutauschen oder eine Plattform für ihre Erfahrungen und lang angestaute Wut zu haben. Da wir im „Dishwasher“ als Redaktion kaum selektieren, ist das ein absolut empowerndes Medium. Ich glaube, dass dieses Magazin der antiklassistischen Bewegung ganz andere Möglichkeiten anbietet, als nur Hochschulreferate, deren Einflusssphäre begrenzt ist.
Kommen die Artikel eher von Arbeiter*innen oder doch mehr von studierenden oder studierten Arbeiter*innenkindern?
Ja, ich glaube schon, dass sich eher die aufgestiegenen oder die akademisierten Arbeiter*innenkinder überhaupt für linke Politik und Literatur interessieren, beziehungsweise die Zeit dazu haben. Diese Lücke ist groß und die würden wir gerne schließen. Dishwasher, das relativ formlos und nicht vor Fremdwörtern triefend wie manches linke Pamphlet gehalten ist, ist auf jeden Fall ein Schritt dahin. Im Kampf für eine klassenlose Gesellschaft können Wort und Schrift Instrumente gegen Ungleichheit und Unterdrückung sein. Diese Werkzeuge sollten wir nicht den Privilegierten und Rechten überlassen.