Der Kampf für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bringt vergangenen Dienstag in Argentinien eine halbe Million Menschen auf die Straße. Vor allem junge Frauen und Queers sind in Buenos Aires vor dem Kongress versammelt. Sie haben ihr grünes Pañuelo dabei, das Halstuch, das zum Symbol der Kampagne wurde, und sie sind sich sicher: Es gibt kein Zurück mehr, dieses Mal kommt das Gesetz endlich durch – und Präsident Macri muss nach den Wahlen im Oktober gehen.
Die feministische Bewegung in Argentinien kämpft schon lange für ihre reproduktiven Rechte: Zum achten Mal hat die Kampagne für das Recht auf legale, sichere und kostenfreie Abtreibungen einen Gesetzesentwurf im argentinischen Kongress präsentiert. Im Juni 2018 kam es zum ersten Mal zu einer Debatte im Abgeordnetenhaus. Nach 23 Stunden Diskussion stimmten die Abgeordneten mit einer knappen Mehrheit für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Allein in Buenos Aires bejubelten eine Million Menschen das historische Ergebnis draußen vor dem Kongress. Zwei Monate später kam dann die Ernüchterung: Das Nein zum Gesetzesentwurf im Senat.
Jetzt geht der Struggle in die nächste Runde. Supernova hat mit sechs Demonstrierenden gesprochen.
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Chiara (15)

Mit wem bist du hier?
Mit meinen Klassenkameradinnen. Wir waren auch schon letztes Jahr zusammen auf allen Demos, im Juni bei der Abstimmung im Abgeordnetenhaus, im August bei der Entscheidung vom Senat. Und wir kommen fast jeden Dienstag zum Pañuelazo, zu der Kundgebung, bei der wir unsere Pañuelos vor dem Kongress hochhalten und zeigen: Wir sind immer noch da, das Thema ist nicht vom Tisch.
Wie fing das an, dass ihr euch für die Legalisierung von Abtreibung eingesetzt habt?
Ehrlich gesagt hatten wir anfangs total wenig Infos. Aber mit den Mobilisierungen der Kampagne und der Flut von grünen Halstüchern letztes Jahr haben wir angefangen, für Sexualerziehung an unserer Schule zu kämpfen. Eigentlich haben wir seit 2006 per Gesetz ein Recht darauf. Aber das wird oft nicht eingehalten. Alle paar Monate gibt es einen Aufklärungsworkshop und der ist meistens auch noch schlecht. Also haben wir angefangen, Versammlungen abzuhalten und uns gegenseitig zu informieren und zusammen auf die Straße zu gehen. Das Recht auf Sexualerziehung und auf Abtreibungen gehört für uns zusammen.
Im Oktober sind Wahlen. Was forderst du von der neuen Regierung?
Zuerst brauchen wir wieder ein richtiges Gesundheitsministerium. Macri hat das nämlich 2018 abgeschafft. Das ist ein Witz, wir fordern kostenlose Abtreibung und er schafft einfach das Gesundheitsministerium ab. Wenn es dann wieder ein Ministerium gibt, sollen Abtreibungen legalisiert werden und an allen Schulen soll es Sexualkundeunterricht geben. Und der darf nicht von der Kirche beeinflusst werden.
Kommt das Gesetz diesmal durch?
Dieses Jahr nicht, weil immer noch die gleichen Leute im Senat sitzen, die letztes Jahr dagegen gestimmt haben. Aber wenn schon nicht in diesem Jahr, dann klappt es auf jeden Fall im nächsten.
Federico (17)

Foto: Inés Ripari
Warum sollen Abtreibungen legal, sicher und kostenfrei sein?
Es ist ein Grundrecht, selbst über unsere Körper zu bestimmen. Und das ist uns der Staat seit dem Ende der Diktatur in Argentinien noch schuldig. Für uns war die Demokratie nie eine richtige Demokratie, denn unsere Identität, unsere Körper, unsere Lebensweisen werden unterdrückt. Wir wollen selbst über unsere Lebensentwürfe und Familienplanung entscheiden können.
Was hat sich seit den Mobilisierungen letztes Jahr verändert?
Insgesamt wird mehr über das Thema Abtreibung gesprochen. Und es gibt mehr Bewusstsein dafür, dass nicht nur Cis-Frauen abtreiben, sondern auch Menschen mit anderen Genderidentitäten, wir Trans*personen und Nonbinaries.
Im Oktober sind Wahlen. Was forderst du von der neuen Regierung?
Wir brauchen eine Quote für Trans*personen und Travestis bei allen Jobs im öffentlichen Dienst. Und zwar sofort und auf nationaler Ebene. In vier Provinzen von Argentinien gibt es schon ein Gesetz, nach dem 1% der Jobs an Trans*personen gehen. Aber es wird noch nirgends richtig eingehalten. Dann sollen natürlich Abtreibungen legalisiert werden. Wir brauchen mehr Geld für Bildung und Gesundheit. Alles was unter Macri privatisiert wurde, soll wieder staatlich laufen. Es soll Sozialhilfe geben und Sexualkunde an den Schulen.
Kommt das Gesetz diesmal durch?
Auf jeden Fall.
Ache (59)

Warum sollen Abtreibungen legal, sicher und kostenfrei sein?
Wir Frauen müssen die Freiheit haben, selbst zu entscheiden, wie wir leben wollen. Das Recht auf Abtreibung bedeutet ja nicht, dass alle abtreiben müssen. Es bedeutet lediglich, dass es die Möglichkeit gibt, sich zu entscheiden. Man kann ungewollt schwanger werden. Aber Mutter zu werden, dafür muss man sich entscheiden dürfen. Jede Mutterschaft muss gewollt sein.
Mit wem bist du hier?
Ich bin in einem Kunstprojekt aktiv, das „Urna Verde“ (Übersetzung: „Grüne Urne“) heißt. Wir arbeiten mit der Kampagne für das Recht auf legale, sichere und kostenfreie Abtreibung zusammen. Bei der Demo letztes Jahr im August haben Menschen ihre Erfahrungen mit klandestinen Abtreibungen aufgeschrieben. Und diese Geschichten haben wir in einer grünen Urne gesammelt. Daraus ist eine Ausstellung entstanden.
Was hat sich seit den Mobilisierungen letztes Jahr verändert?
Alles. Das Thema Abtreibungen wurde zum ersten Mal sichtbar gemacht. Und wenn eine Person ausspricht, was ihr passiert ist, dann trauen sich viele andere, das auch zu tun. Abtreibungen finden momentan in der Klandestinität statt. Und das macht Angst, viele Frauen schämen sich und es kostet Kraft, mit diesen Gefühlen auf die Straße zu gehen. Aber dass wir hier alle zusammen sind, macht Mut. Wir sind eine grüne Flut, die nicht mehr zu stoppen ist.
Kommt das Gesetz diesmal durch?
Auf jeden Fall. Nicht heute, aber dieses Jahr noch.
Diego (33)

Du als cis-Mann, warum bist du heute hier bei der Demo zur Legalisierung von Abtreibungen?
Ich bin hier, weil ich finde, dass Frauen das Recht haben müssen, selbst über ihren Körper zu bestimmen. Ich bin auch Teil einer Minderheit. Ich bin schwul. Darum identifiziere ich mich mit der Forderung nach sexueller Freiheit und Selbstbestimmung. Auch wenn es meinen eigenen Körper nicht betrifft, es betrifft Menschen in meiner Familie, meine Schwester, vielleicht meine zukünftigen Töchter.
Seit wann unterstützt du die Kampgagne?
Erst seit letztem Jahr. Ich war schon immer für die Entkriminalisierung von Abtreibungen, aber durch die Kampagne habe ich meine Einstellung von der Entkriminalisierung hin zur Legalisierung geändert. Vor allem die Debatten im Kongress letztes Jahr haben mich viel zum Nachdenken gebracht.
Was hat sich seit den Mobilisierungen vom letzten Jahr verändert?
Alles hat sich verändert. Das Thema Abtreibung wurde in der Gesellschaft enttabuisiert.
Kommt das Gesetz diesmal durch?
Es wird auf jeden Fall durchkommen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wie bei allen Kämpfen um Freiheit.
Renata (19)

Warum sollen Abtreibungen legal, sicher und kostenfrei sein?
Hier geht es um ein Grundrecht für alle Menschen, die gebären können. Sie müssen die Möglichkeit haben, sich für eine Abtreibung zu entscheiden, ohne sich rechtfertigen zu müssen.
Wie fing das an, dass du dich für die Legalisierung von Abtreibung eingesetzt hast?
Mit der ersten Demo von Ni Una Menos vor fünf Jahren ist die feministische Bewegung in Argentinien viel größer geworden. Ich war bei der Demo und danach wurde plötzlich überall über feministische Themen geredet, auch über das Thema Abtreibung.
Im Oktober sind Wahlen. Was forderst du von der neuen Regierung?
Es gibt einen Haufen Sachen, die sich verändern müssen. Eine der Wichtigsten ist, dass die Regierung endlich anfängt, die feministische Bewegung ernst zu nehmen und unsere Forderungen umzusetzen.
Kommt das Gesetz zur Legalisierung von Abtreibung diesmal durch?
Ich glaube schon. Dieses Jahr vielleicht nicht mehr, aber danach. Hoffentlich!
Eva (55)

Mit wem bist du hier?
Ich bin heute aus Rosario angereist und bin in einer Gruppe von Angehörigen organisiert, die einen Feminizid in der Familie erlebt haben. Wir sind Teil der Kampagne für das Recht auf legale, sichere und kostenfreie Abtreibung.
Wird in Rosario heute auch demonstriert?
Ja, an verschiedenen Orten in der Stadt wird es Pañuelazos geben.
Spürst du Unterschiede zwischen Buenos Aires und den anderen Provinzen von Argentinien?
Auf jeden Fall. Man muss nicht mal bis in die Provinzen fahren. Schon in den Vorstadtvierteln von Buenos Aires ist die Situation eine ganz andere als im Zentrum. Dort werden Frauen und Mädchen dafür bestraft, abzutreiben. Juristisch und im sozialen Umfeld. Sie bekommen nicht die notwendigen Informationen über ihre Rechte.
Welche Rechte meinst du?
Abtreibungen sind auch jetzt schon in drei Fällen legal: Nach einer Vergewaltigung oder wenn die Gesundheit beziehungsweise das Leben der schwangeren Person bedroht ist. Rosario ist die Hauptstadt von der Provinz Santa Fe und dort wird dieses Recht auf Abtreibung in bestimmten Fällen bislang am besten umgesetzt.
Und glaubst du, das Gesetz zur bedingungslosen Legalisierung von Abtreibung bis zur 14. Schwangerschaftswoche kommt durch?
Ja klar, seit letztem Jahr reden alle über die Legalisierung. Vor allem die Jugendlichen. Das ist nicht mehr zu stoppen.