Das bürgerliche, urbane Pärchen von heute steckt in der Krise. Soziale Zwänge des linksliberalen Milieus wirken sich auf persönliche Beziehungen aus und setzen all diejenigen, die traditionelle und konservative Formen des Zusammenlebens pflegen, unter Zugzwang. Ein Ausweg, um die beengende Normativität herauszufordern und das eigene, edgy Selbstbild zu bewahren, ist das Öffnen der Beziehung. Aber – Achtung, Spoiler – offene Beziehungen sind in den meisten Fällen für die außenstehende Person eher lauchig.
Im Gegensatz zur Beziehungsanarchie, also dem möglichst hierarchiearmen Zusammenleben, haben die meisten offenen Beziehungen eine Dyade zum Kern. Das heißt: Zwei Partner*innen, die sich aus dem bunten Süßwarenladen der Discos bedienen und Bumble für ihre persönliche Fleischtheke halten.
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Die Krux des Ganzen: Wer nicht Teil der Zweierbeziehung ist, ist in den meisten Fällen Teil des menschlichen Abenteuerlandes. Und dieses hat Abgründe, die Pärchen von ihrem hohen Ross aus nicht sehen. Singles gelten ab einem gewissen Alter als unvermittelbare Überreste der Gesellschaft. Für Paare sind sie das sexuelle Ausflugsziel. Aber wehe, Singles entwickeln Gefühle! Dann ist das Pärchen dort, wo Pärchen sind, nämlich zu zweit auf der Couch, kuschelnd mit Pizza, nach dem Versöhnungssex, dem ein Streit voranging, der die Beziehungsprobleme und Eifersucht zugrunde hatte, wegen derer die Beziehung in the first place geöffnet wurde. Hängengebliebenheit in Reinform, die die Gesellschaft „romantischen Pärchenabend“ nennt. Die Selbstbedienungsmentalität von Pärchen auf dem polyamoren Spielplatz des Lebens hat sogar einen Namen, wie ein*e Freund*in mich jüngst aufklärte: Unicorn, das Einhorn. Dieses ist in polyamoren Verhältnissen eine Person, die das Pärchen im Kern nicht gefährdet, aber als sexuelle Spielpartnerin zur Verfügung steht.
Das Recht auf Hühnersuppe
Die Bibel der Polyamorie, das Buch „The ethical slut“, widmet Singles nur ein einziges, eigenes Kapitel . Darin steht zum Beispiel, dass Single Sluts, also diejenigen, die einen sexpositiven Lebensstil ohne feste*n Partner*in pflegen, auch ein Anrecht darauf haben, von denjenigen, mit denen sie sich involvieren, Hühnersuppe gekocht zu bekommen, wenn sie krank sind. Klingt banal und nach grundlegendem Respekt. Allerdings wird es in der Praxis in den seltensten Fällen umgesetzt, wenn man sich als außenstehende Person mit bereits verpartnerten Personen einlässt. Weil sie halt gerade auf Pärchenurlaub sind. Pärchen winken und fahren nach Rügen. Oder weil die Außenpolitik des Pärchens versagt, weil ihre Innenpolitik leider doch nicht ganz geklärt war, sodass die außenpolitische Entscheidung, sich auf andere einzulassen, revidiert wird. Anders ausgedrückt: Emotionale Verantwortung wird nur innerhalb der Beziehung ernst genommen. Alle, die sich außerhalb dieser bewegen, dürfen stellenweise reinkommen, um mitzuspielen.
Kann ich ja nix dafür, wenn die Alte sich mit Gefühlen infiziert, nur weil ich einmal in sie reingelachst habe! Gott bewahre, dass die dritte Person nicht nur Objekt, sondern Subjekt wird, mit Unsicherheiten, Kotzerities oder verlorener Wohnung. Dann prallt das in Fahrt gesetzte Auto der neuen Beziehung – denn, guess what, auch die Involvierung mit einer dritten Partei ist eine neue Beziehung – gegen die Wand der Sackgasse „Offene Beziehung“. Das Konstrukt geht nicht auf, da es emotionale Verantwortung außerhalb der Stadtmauern nicht vorsieht. Die Mauer muss weg!
Singles werden eure Probleme nicht lösen
Kernprobleme dieses Konstruktes sind: Oft öffnen sich Beziehungen nach Jahren, weil das ganze gemeinsame Sesselfurzen am Samstagabend fucking boring geworden ist, Sex nur noch einmal alle paar Monate stattfindet und dann eher einem Reifenwechsel mit Körperflüssigkeiten als Schmieröl ähnelt als leidenschaftlichen Fleischbegehrens. Aber passt gut auf, Pärchen: Singles werden eure Probleme nicht lösen und sind auch nicht dafür da.
Häufig liegen der Öffnung der Beziehung auch ungelöste Probleme innerhalb dieser zugrunde. Eigentlich hat man keinen Bock mehr aufeinander, aber man ist darauf konditioniert, zusammen zu sein, weil diese Gesellschaft gepaarte Personen gegenüber autonomen Individuen strukturell bevorteilt: Freund*innen dürfen einander zum Beispiel nicht heiraten, ohne die große Liebe vorzutäuschen, und auch dann nur zu zweit. Für polyamore Konstellationen winkt kein Steuervorteil.
Wieso geht ihr nicht zu Sexarbeiter*innen?
Zurück zur Problematik von offenen Beziehungen im Umgang mit poly Singles: Vielmals kalkulieren Pärchen nicht ein, dass sie sich mit Menschen einlassen, die Gefühle, Krankheiten, Traumata und Existenzängste mitbringen. Dieses Verhalten ist im besten Falle ignorant, im schlimmsten arrogant und neoliberal, da es der ungebundenen Person einen singulären Zweck zuweist, als wäre sie sexuelle Dienstleisterin. Gewiss: Singles sind nicht per se Heilige, die nach Liebe lechzen, und regelmäßig ihr Herz von Menschen in offenen Beziehungen zerbrochen bekommen. Es gibt unethische Singles, die nicht zurückschreiben und willentlich Herzen brechen – oder aber welche wie eine meiner Freundinnen, die es immer sehr entspannt findet, keine Verantwortung für diejenigen in offenen Beziehungen übernehmen zu müssen, mit denen sie sich einlässt.
Wie wäre es, wenn emotional abgeschottete Problempärchen zu Sexarbeiter*innen gehen, anstatt die Nerven von Singles mit Herz zu strapazieren? Dann hätte die externe Partei wenigstens einen monetären Gewinn davon. Es wäre oft schöner, wenn Pärchen ihre Außenpolitik ganzheitlicher, ehrlicher und für alle involvierten Parteien offener praktizieren würden, wenn polyamores Leben schon nicht infrage kommt, weil irgendwann will man dann ja doch ein Eigenheim mit Carport. Oder man macht einfach mal Schluss mit dem lauchigen Partner. Das ist oft entlastend, gerade Frauen gewinnen an Freizeit. Die Arbeitsteilung in heterosexuellen Beziehungen ist schließlich eine Illusion. Oder aber: man gesteht sich seinen Wertkonservatismus einfach ein. Denn was gibt es befreienderes, als ehrlich zu sich selbst zu sein?