Was tun, wenn ein Partner Rassismus erfährt und der andere nicht? Wenn sich die Großeltern des einen beim gemeinsamen Essen über Geflüchtete auslassen und die Freunde antimuslimische „Witze“ machen? Oder wenn sich ein Partner dem anderen gegenüber selbst mal rassistisch verhält? Aref* und Jonas* lieben sich – doch rassistische Vorkommnisse fordern ihre Beziehung immer wieder heraus. Wie geht man als Paar damit um?
Aref, 30 Jahre alt
Rassismus ist allgegenwärtig und war schon immer Teil meiner Lebensrealität. Wir alle sind in irgendeiner Form von davon beeinflusst, sei es als Ausübender oder Betroffener. Als Muslim ist mir in Deutschland immer schon antimuslimischer Rassismus begegnet.
In meiner vorherigen Beziehung, in der auch mein Partner von Rassismus betroffen war, haben wir uns gegenseitig in solchen Situationen unterstützt. Mit einer weißen Person zusammen zu sein heißt, dass das Thema weiterhin eine Rolle spielt, aber anders. Jonas ist nicht dazu gezwungen, sich damit auseinanderzusetzen. Eine von Rassismus betroffene Person kann das nicht selbst entscheiden. Menschen, die Rassismus ausüben entscheiden darüber.
Weiße Freunde in unserem Umfeld denken, dass sie „Scherze“ über meine Kultur machen können
Der größte Unterschied zwischen Rassismus in einer Liebesbeziehung und Rassismus anderswo ist, dass ich die Zeit und Energie in meinen Partner investiere, um darüber reden zu können, um ihn zum bestmöglichen Verbündeten zu machen, der er sein kann. Diese Zeit und Energie kann ich nicht jedem willkürlichen Erlebnis auf der Straße oder in den Medien widmen.
Weiße Freunde in unserem Umfeld haben, denke ich, das Gefühl, dass sie vor mir „Scherze“ machen können, zum Beispiel über meine Kultur oder meine Sprechweise und dass ich es ihnen nicht übelnehme. Ich kenne sie ja schließlich. Ich versuche über solche Situationen immer mit Jonas zu sprechen. Warum muss ich das Thema ständig ansprechen und eventuell verantwortlich dafür gemacht werden, die Stimmung zu verderben? Als Alternative bleibt mir nur zu schlucken und mitzulachen.
Jonas behauptete, den Rassismus nicht mitbekommen zu haben
Einmal waren wir bei seiner Familie und mir ist da sehr viel Rassismus begegnet, unter anderem gegen Geflüchtete. Als der Besuch bei ihnen vorbei war, ist mir aufgefallen, dass Jonas es ignoriert hat und nicht wusste, wie er damit umgehen sollte. Die Verantwortung lag ganz bei mir. Als ich ihn darauf ansprach war zunächst Widerstand da. Er behauptete, den Rassismus nicht mitgekommen zu haben. Das hat zu einem Konflikt geführt, weil er sich nach meiner Auffassung damit aus der Verantwortung ziehen wollte. Die richtigen Schlüsse konnten wir erst nach diesem Konflikt ziehen. Daher würde ich auch sagen, dass Konflikte erst mal nichts Negatives sind, solange beide Seiten einen wohlwollenden und lösungsorientierten Ansatz verfolgen.
Bei seinem Vater hat Jonas einen längeren Prozess angestoßen, um den Rassismus zu thematisieren und diesen zu reflektieren, denn sein Vater ist uns beiden wichtig. Er setzt sich nun auch sehr viel kritisch mit dem Thema auseinander, auch, weil es ihm wichtig ist, was ich mache und wie es mir in einer von Rassismus geprägten Gesellschaft geht. Bei anderen Menschen in unserem Umfeld, wie zum Beispiel seinen Großeltern, ist es mir zu anstrengend und ihm und mir auch nicht wichtig genug, um so einen Prozess zu durchlaufen. Daher besuche ich sie auch kaum.
Ich will ihm nicht das Gefühl geben, dass er ein schlechter Mensch ist
Ich habe das Gefühl, dass Jonas sich mehr und mehr mit dem Thema auseinandersetzten möchte. Zum Beispiel habe ich ihm von dem antikolonialen Autor Frantz Fanon erzählt und warum er so eine wichtige Figur für mich ist. Er kannte ihn nicht. Einige Tage später hat er sich Bücher von ihm bestellt, um mehr über ihn und seine Theorien zu lesen. Dann hat er immer mehr Texte von Schwarzen Schriftsteller*innen und Autor*innen of Color gelesen.
Wir haben noch nicht den idealen Weg gefunden, aber ein Großteil der Arbeit ist schon damit getan, dass ich das Thema überhaupt offen und konstruktiv ansprechen kann, ohne dass er gleich zumacht und es weit von sich weist. Das Wort und das Thema Rassismus bereitet Menschen immer Bauchschmerzen. Ich will kein schlechtes Gewissen haben zu müssen, wenn ich es anspreche und ihm auch nicht das Gefühl geben, dass er ein schlechter Mensch ist. Es geht darum, gemeinsam in der Beziehung zu wachsen.
Jonas, 24 Jahre alt
Wir haben uns vor vier Jahren in London über eine Datingapp kennen gelernt. Ich bin nicht von Rassismus betroffen, weil ich weiß bin. Es ist meine erste Beziehung und sie ist auch ein Anstoß, mich mit dem Thema zu beschäftigen, weil ich durch Aref näher dran bin.
Wenn wir beide weiß wären und uns solidarisch gegenüber von Rassismus betroffenen Menschen zeigen würden, könnten wir das Thema trotzdem immer vor der Haustür ablegen und würden es nicht, bildlich gesprochen, mit ins Schlafzimmer tragen müssen. Das ist bei uns anders.
Das Gespräch hat mir geholfen zu verstehen, wieso meine Reaktion verletzend war.
Ich kann mich erinnern, dass Aref mir zu Beginn unserer Beziehung von einer rassistischen Erfahrung erzählt hat, in der eine Frau ihn und eine Freundin angeschrien hat. Meine erste Reaktion war zu fragen, ob sie psychisch krank war. Das hat Aref wütend gemacht. Für ihn war das eine Form von Verharmlosung. Auch ohne eine psychische Erkrankung kann man rassistische Sachen sagen und nicht jeder psychisch Erkrankte äußert sich rassistisch. Dieses Gespräch hat mir geholfen zu verstehen, wieso meine Reaktion verletzend war.
Einmal hat mein Vater einen dummen Kommentar über Arefs Namen gemacht und dann habe ich ihm gesagt, wie sehr es mich ärgert, so was zu hören. Ich habe Aref erst mal nicht davon erzählt, weil ich nicht wollte, dass er sich wegen so was aufregt. Mein Vater hat es angenommen und reflektiert. Es ist Arbeit aber meine Eltern haben ein offenes Ohr, das hilft.
Er wünschte sich, dass ich eine solidarische Unterstützung für ihn bin
Mein Vater hat auch einmal einen Tweet meines Partners gelesen und sich angegriffen gefühlt, weil von ‚weißen‘ Menschen die Rede war. Ich habe dann ein Gespräch mit ihm geführt und Aref angeboten, meinem Vater eine Liste von Büchern zu schicken, die sich mit Rassismus beschäftigen.
Ein anderes Mal waren wir bei meinen Großeltern zu Besuch und es wurden rassistische Sachen gesagt, mein Partner wurde einer Art ‚Deutschtest‘ unterzogen. ‚Kennst du das?‘ fragten sie ihn ständig. Als wir zuhause in London angekommen sind, hat mein Partner dann mit mir darüber gesprochen, wie die Situation für ihn war. Er sagte, er wünsche sich in solchen Momenten, dass ich eine deeskalierende und solidarische Unterstützung für ihn bin. Die Situation mit meinen Großeltern ist besonders herausfordernd, da es schwierig ist, alte Menschen zu ändern. Dann ist eben die Frage: Was sind die Grenzen, die man in dem Kontext setzt und wo soll ich als Verbündeter einschreiten, wo kann und will die betroffene Person selbst dagegen halten?
Ich habe gelernt, wie wichtig zuhören ist
Ich bin in verschiedenen Ländern aufgewachsen, hatte mit unterschiedlichen Leuten Kontakt, daher war ich, glaube ich, nicht blind gegenüber Rassismen in weißen Communities. Aber in der Schule lernt man nichts über strukturellen Rassismus oder den Einfluss, den Kolonialismus heutzutage noch hat, das Thema wird totgeschwiegen oder geleugnet.
Es braucht Zeit um Strategien zu entwickeln und Kritik anzunehmen. Ich habe in erster Linie gelernt, wie wichtig zuhören ist. Das Gespräch kann nur stattfinden, wenn Raum dafür gemacht wird – defensive Haltungen helfen nicht und verhindern nur den Dialog. Für mich war es eine Lernkurve, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und zu sehen, wie sehr es in der Gesellschaft und auch in meinem eigenen Denken verankert ist. Es ist quasi unmöglich, in einer rassistischen Gesellschaft komplett rassismusfrei zu denken.
Rassismuskritik annehmen zu lernen war für mich auch Teil davon, das erste Mal in einer Beziehung zu sein, beides ist gleichzeitig passiert und schwer voneinander zu trennen. Natürlich bringe ich die Erfahrungen jetzt aber auch in andere Kontexte hinein.
* Aref und Jonas sind Pseudonyme. Beide möchten anonym bleiben, unter anderem weil sie sich nicht vor Arbeitgebern und Familie outen möchten.