Bisexuelle Menschen existieren nicht. Selbst in der Schwulen- und Lesbenbewegung gibt es kaum Vorbilder für sie. Sehen sie dann eher wie unsere Autorin normativ weiblich aus, werden sie in der LGBTQ-Community als Heteros gelabelt. Wenn sie sich outen, wird ihnen vorgeworfen, noch in der Findungsphase ihrer sexuellen Orientierung zu stecken. Bi-feindliche beschimpfen sie sogar als Verräter*innen, weil sie unentschlossen bleiben, um weiterhin die Privilegien von Heteros zu genießen.
„Nur als Info für dich: Die Party heute ist für die LGBTQ-Community. Hätten die Veranstalterinnen vielleicht besser kommunizieren müssen”, sagt mir die Frau, die ich wenige Sekunden vorher noch freundlich angelächelt hatte. Es war Mitternacht, eine der schwülsten Nächte des Jahres. Sie tanzte auf einem Bolzplatz, der zum Dancefloor eines (illegalen) Raves wurde. Drumherum hingen bunte Tücher an Wäscheleinen, die zwischen die Bäume gespannt waren. Mein Bier war lauwarm. Durch ihre Leuchtarmbänder wurde ich auf sie aufmerksam: Größer als ich, dunkle Kurzhaarfrisur und ein Shirt mit der Aufschrift “busy destroying the patriarchy”. Ich fand sie spannend!
Unsere Blicke kreuzten sich und blieben aneinander kleben. Als sie auf mich zulief, stellte ich mich auf einen interessanten Flirt und nicht etwa auf eine Veranstaltungsbeschreibung ein. „Schau doch nicht so verdutzt. Ich wollte dir nur mitteilen, dass du heute wahrscheinlich wenige Hetero-Männer kennenlernst. Und dein Outfit sieht ein bisschen so aus als wolltest du das”, ergänzte sie und lachte gehässig. Ich war sprachlos. Mein Kopf raste: „Hetero-Männer aufreißen? Mit meinem Outfit? Was ist denn mit ihr los?” Und plötzlich fühlte sich das, was erst ziemlich aufregend war, fast bedrohlich an. Ich bemerkte, wie sie mich noch ablehnend musterte, bis sie sich abwendete. Eine Chance, mich zu wehren, bekam ich nicht. Stattdessen sah ich dabei zu, wie sie von ihren Freundinnen für die Konfrontation bewundert wurde. Indem sie ihr zu nickten und mir ebenfalls abwertende Blicke zuwarfen.
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Ich fühlte mich auch in der LGBTQ-Community wie eine Außenseiterin
Wie festgeklebt blieb ich noch eine ganze Weile dort stehen und schaut an mir herunter. Bis zu dieser Begegnung fühlte ich mich selbstbewusst und sicher in meinem geblümten Minikleid, den offenen langen Haaren und dem Rot auf Lippen und Fingernägeln. Schließlich besuchte ich extra eine Veranstaltung für LGBTQ, weshalb ich keine Angst davor hatte, sexualisiert zu werden und anzügliche oder böse Kommentare über mein Aussehen zu ernten. Die fremde Frau machte mich zwar nicht gegen meinen Willen zum Objekt ihrer Begierde, aber sie sprach mir einen wichtigen Teil meiner Identität ab, womit sie mich verletze. Und das nur, weil ich ein klischeehaft weibliches Erscheinungsbild hatte. Mein Selbstbewusstsein war verschwunden. Ich fühlte mich wie eine Außenseiterin, die nicht nur in der Mehrheitsgesellschaft, sondern auch in der LGBTQ-Community abseits steht.
Muss ich vermeintliche Männlichkeit imitieren?
Die Begegnung mit der fremden Frau brachte mich zum Nachdenken: „Musste ich erst meine vermeintliche Weiblichkeit negieren und männliches Aussehen imitieren, meine Haare abschneiden und mir weite Klamotten anziehen, um auch von Frauen wahrgenommen zu werden?” Obwohl das Ganze inzwischen eine ganze Weile zurückliegt, begegnet mir das Phänomen, unsichtbar zu sein bis heute.
In geschützten Räumen, wie zum Beispiel auf LGBTQ-Partys, trage ich deswegen mittlerweile Symbole wie einen Regenbogen, die meine sexuelle Orientierung enttarnen. Abgeschlossen ist der Kampf um meine Identität dadurch trotzdem nicht. Denn sichtbar zu werden, ist nur ein erster Schritt. Dafür akzeptiert zu werden, dass man sich zu beiden Geschlechtern hingezogen fühlt, der nächste. Wenn ich mich oute, höre ich immer wieder, insbesondere von Menschen aus der LGBTQ-Community, dass ich nur verwirrt sei. Eine sehr langwierige und anstrengende Findungsphase durchleben würde. Was kein Wunder ist, denn bisexuelle Menschen wie ich existieren nicht. Weder in der Geschichtsschreibung, Politik, den Medien, und auch nicht in der Schwulen- oder Lesbenbewegung. Wir haben keine Vorbilder.
Frau plus Frau gleich Lesben
Wie man uns labelt, hängt davon ab, wie wir uns in der Öffentlichkeit zeigen – und vor allem mit wem. Die Formel dafür ist sehr einfach: Zeige ich mich mit einer Frau intim, stehe ich auf Frauen. Zeige ich mich mit einem Mann intim, stehe ich auf Männer. Selbst meine eher progressiven Eltern musste ich mit einer Studien der University of Utah von meiner bisexuellen Identität überzeugen. „Dass sich 92 Prozent der befragten Frauen von ihrer Jugend bis ins Erwachsenenalter permanent zu beiden Geschlechtern hingezogen fühlen, hätte ich jetzt nicht erwartet”, war dann sozusagen die Kapitulation meiner Mutter nach meiner monatelangen kostenlosen – und wirklich sehr mühsamen – Bildungsarbeit.
Viel bedrohlicher ist hingegen die Bi-feindlichkeit (auch Biphobie genannt) in der Szene. So warf mir mal ein lesbisches Paar auf einer WG-Party vor, ich würde meine Bisexualität nur vortäuschen, um weiterhin Privilegien von Heteros genießen zu können. Wodurch ich mich außerdem der Verantwortung entziehen würde und ihnen letztlich ihre Alltagskämpfe mit Ausgrenzung, Anfeindung, Diskriminierung und auch gewalttätigen Ausschreitungen erschweren würde. Natürlich kann ich ihre hilflose Verletztheit und Wut nachvollziehen. Trotzdem ärgere ich mich darüber, wie engstirnig sie sind. Denn sobald ich meine Partnerin in der Öffentlichkeit an die Hand nehme oder küsse, werde auch ich zur Zielscheibe für angeekelte Blicke, Beleidigungen und sogar körperliche Angriffe. Nicht selten haben meine Exfreunde meine Zuneigung zu Frauen sexualisiert und auf Gruppensex oder einen Dreier angespielt.
Dass ich mich in den Menschen verliebe, scheint bei all den Vorwürfen überhaupt keine Rolle zu spielen. Und dass diese Person sich nicht mal dem binären Code zuordnen wollen muss, bleibt selbst in der Community ungeachtet. Frauen im Alltag kennenzulernen, bleibt schwer für mich. Der Bi-feindlichkeit in der Szene bin ich heute gewachsen. Heute würde ich vermutlich auf die Frauengruppe zugehen und sie fragen, ob die Stereotype, nach denen sie sich gerade richten, ihr eigenes Leben nicht massiv erschweren.
*Die Autorin möchte anonym bleiben.