Der Besuch des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan und die Einweihung der DITIB-Moschee in Köln frustrierte viele. Ihre Unzufriedenheit über das Verhalten der deutschen Bundesregierung und der allgemeinen politischen Lage in der Türkei brachten Demonstranten bei “Erdoğan not Welcome” zum Ausdruck. „Supernova“ hat sieben Menschen getroffen und gefragt, was sie bewegt.
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Sezen, 23, Essen (DIDIF, Föderation Demokratischer Arbeitervereine e.V.)
Es war erschreckend, dass Erdoğan in Köln und Berlin ungestört auftreten, eine Rede halten und eine Moschee eröffnen konnte. Im selben Moment sitzen in der Türkei tausend Andersdenkende in Gefängnissen. Fast nirgendwo auf der Welt gibt es so viele inhaftierte Journalisten wie in der Türkei. Sie werden verhaftet oder ihre Presseausweise annulliert. Sobald sie ein kritisches Wort veröffentlichen, selbst, wenn es nur ein Scherz ist, stehen sie unter Generalverdacht. Akkreditierungen und Einreisen werden verweigert. Einige der Gründe, weshalb die Übrigen in ständiger Angst arbeiten. Allein durch die nicht vorhandene Pressefreiheit kann das Land schon nicht mehr als Demokratie gelten. Auch das Sterben in den kurdischen Gebieten muss gestoppt werden!”

Dilay, 19, Köln (DIDIF)
Ich habe Familie in der Türkei, die ich dort oft besucht habe. Istanbul ist meine Lieblingsstadt, weshalb es ein bisschen wie ein Ritual geworden ist, einmal im Jahr dort hinzureisen. Mit meinem kurdischen Hintergrund, als Alevitin und Aktivistin ist das inzwischen nicht mehr möglich. Schließlich bin ich Mitglied bei der Föderation Demokratischer Arbeitervereine e.V., kurz DIDIF, und übe auf sozialen Medien Kritik an Erdoğan. Alles, was die Regierung gegen Andersdenkende unternimmt, schüchtert mich trotzdem nicht ein, weil wir uns laut gegen Erdoğans Politik wehren müssen. Es ist aber nicht nur die Angst, weshalb ich nicht mehr in die Türkei reise. Es sind auch die Gespräche, die ich dort führen muss. Manchmal habe ich das Gefühl, dass Einheimische komplett auf Durchzug schalten. Ich meine, die Türkei steckt mitten in einer Wirtschaftskrise und trotzdem verehren die Menschen weiterhin ihren Staatspräsidenten. Was nicht daran liegt, dass sie nicht frustriert oder verzweifelt sind. Sie schieben die Schuld dann Dritten in die Schuhe. Was mich wütend und traurig macht, für sie aber vielleicht die einfachste Lösung ist.

Ezgi Güyildar, 29, Essen, LINKE-Politikerin
Ich bin nicht mit Erdoğans Politik einverstanden, weder mit seiner Kriegs-, Innen- oder Außenpolitik. Ich bekomme die Ungerechtigkeiten durch meine Familie in der Türkei mit, die dort unter katastrophalen Bedingungen leben muss. Erdoğan ist gerade dabei eine Diktatur ins Land zu führen. Schon viel zu lange übt er Repressalien gegen seine Kritiker aus und nutzt dafür staatliche Gewalt. Dass er in Deutschland in den vergangenen Tagen diese Unterstützung erhalten hat, ist unfassbar. Die Bundesregierung konzentriert sich nur auf ihn, ganz Köln wurde abgesperrt. Im Grunde genommen wurde ihm das ermöglicht, was er auch in der Türkei macht. Selbst staatliche Behörden unternehmen nichts dagegen, dass Menschen hier bespitzelt werden. Außerdem sind Imame in DITIP-Moscheen der verlängerte Arm von Erdoğan. Wenn man diese Propaganda zulässt, darf man sich nicht über die Spaltung der türkischstämmigen Gesellschaft wundern. Dadurch schafft man es jedenfalls nicht, Migranten zusammenzuführen. Einerseits haben wir die Nazis und AfDler, andererseits Nationalisten, Fundamentalisten und rückwärtsgewandte Kräfte, die uns auseinanderreißen. Erdoğan gehörte nie auf den roten Teppich, sondern vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag, damit er für seine Verbrechen verurteilt werden kann.

Dilan Akdogan, 26, Saarbrücken
Menschenrechte sind universell. Wir dürfen uns nicht davor scheuen, sie überall geltend zu machen. Die Bundesregierung konzentriert sich stark auf die Freiheit der deutschen Staatsangehörigen in der Türkei. Dabei sollte man diese Freiheit für alle fordern. Universelle Menschenrechte sind nicht verhandelbar. Weshalb ein Land, das die europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet hat, einen Diktator wie Erdoğan nicht zum Bankett ausführen darf. Ganz egal, ob man wirtschaftliche Interessen verfolgt. Was Deutschland allein wegen des Flüchtlingsabkommens tut. Ich bezweifle stark, dass man Erdoğan in dieser Angelegenheit überhaupt vertrauen kann. Allein, weil er ja auch Fluchtverursacher ist, wenn er völkerrechtswidrige Angriffe gegen Afrin umsetzt oder den sogenannten Islamischen Staat logistisch und finanziell im Krieg gegen die Kurden unterstützt, Stichwort Kobane. Die eigene Bevölkerung bei lebendigem Leibe verbrennt. Vor diesem Hintergrund hat sein Besuch hier in mir Emotionen geweckt, die man kaum beschreiben kann. Sowas wie eine ohnmächtige Wut.

Felix Banaszak, Landesvorsitzender der Grünen, 28, Duisburg
Ich bin gegen die Normalisierung von Diktatur und Despotie in der Türkei. Von deutscher Seite aus kann man darauf ein Auge haben. Gerade ist nicht die Zeit für Deals oder wirtschaftliche Geschäfte, sondern für klare Aussagen zu Menschenrechten, Freiheit, Meinungsfreiheit und zu den ganzen Menschen, die in der Türkei eingeknastet sind, weil sie eine andere Position als Erdoğan vertreten. Ich glaube, dass die türkische Regierung Religion an vielen Stellen instrumentalisiert, um knallharte Machtinteressen durchzusetzen. Das mehrheitlich-religiöse Publikum, das er anspricht, wählt ihn aber auch, weil sie ihn für den starken Mann halten, der sich gegen Europa durchgesetzt hat. Der politische Islam spielt dabei also eine wichtige Rolle, man sollte das Ganze aber nicht darauf verkürzen. Erdoğan hat vor ein paar Tagen noch gesagt, dass die türkische Religionsbehörde so eine schöne Moschee gebaut hat, die man jetzt mal eröffnen muss. Das zeigt sehr deutlich, dass die Behauptung, DITIP hätte mit der Türkei nichts zu tun, falsch ist. Ganz im Gegenteil. Deswegen sollte sich DITIP entweder von Ankara oder NRW von DITIP lösen.

Schmalle, 32, Blogger, Oberhausen
Erdoğan ist ein Faschist, der über die türkische Religionsbehörde Diyanet Einfluss auf Moscheen in Deutschland hat. Da die Gemeinden sich nicht nur als ein religiöser oder spiritueller Ort verstehen, sondern auch sozial und sogar politische Interessen vertreten, fließt Propaganda aus Ankara in die Community. Wodurch Orte, die eigentlich zur Ruhe da sind, mit Politik aus Ankara gefüttert werden. Dass deutsche Regierungen mit Faschisten wie Erdoğan kuscheln, überrascht mich leider nicht mehr. Das ist inzwischen eher der Standard. Wir haben ja auch gesehen, dass deutsche Leopard Panzer ans türkische Militär ausgeliefert werden, wodurch kurdische Gebiete durch völkerrechtswidrige Angriffe erobert wurden.

Matheus, 32, Leipzig
Erdoğan ist ein Diktator, weshalb es ein ziemlicher Skandal ist, dass die Bundesregierung ihn so hofiert hat. Außerdem war von Anfang an klar, dass DITIB die Außenstelle des Islamismus in Deutschland ist. Für mich ist die Moschee-Eröffnung in Köln keine kulturelle Öffnung, sondern eine Machtdemonstration des politischen Islams gewesen. Und ein Zeichen dafür, wie unfähig die Regierung ist, darauf angemessen zu reagieren. Außerdem ist es ein Schlag ins Gesicht für die Opposition in der Türkei und auch für die Opposition, die hier im Exil lebt. Gegenüber der nationalistischen Politik Erdoğans besteht hierzulande eine völlige Naivität.