Ali Schwarzer kam in Leipzig auf die Welt und lebte eine Weile in Südafrika. Als er in die Heimat zurückkehrte, traf ihn der Schock: Er spürte noch viel mehr, wie unerwünscht Schwarze Menschen in Leipzig sind und welche Last er schon sein ganzes Leben schultern musste. Ihm wurde klar: Er muss weg. Seit 2015 lebt er in Mannheim – und es war, als würde ein neues Leben beginnen.
Fangen wir mit einem alten Witz an: Warum braucht der Wessi länger bis zum Abitur? Weil er noch ein Jahr Schauspielunterricht nimmt. Was als ostdeutscher Witz über das als Makel empfundene überhöhte Selbstbewusstsein des westdeutschen Mitbürgers gelten soll, hat für mich noch eine ganz andere Dimension. Ich habe nämlich die Erfahrung gemacht, dass Wessis es sich normalerweise nicht sofort anmerken lassen, wenn sie rassistisch sind – eben wie ein Schauspieler, der seine Rolle spielt.
Ich wohne seit fast vier Jahren in meiner neuen Heimat Mannheim. Verglichen mit Leipzig erlebe ich hier und anderenorts sehr viel weniger direkten Rassismus. Das heißt: Wenn ein Ossi mich ablehnt, dann rutscht ihm das viel öfters raus, als man glauben mag. Dann kriegst du eine Stelle nicht, weil man der Kundschaft „so was nicht antun“ könne. Im Westen habe ich das noch nie gehört. Hier sind Stellen entweder schon vergeben oder man habe sich leider, leider für einen anderen Kandidaten entschieden. Ich habe hier auch noch nie erlebt, dass eine Mitarbeiterin aus dem Personalbüro zu zittern anfängt, wenn sie bemerkt, dass die Person, mit der sie zuvor telefoniert hat, Schwarz ist. Im Westen wurde ich auch noch nie angespuckt. Im Osten schon oft.
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Sowieso passieren Dinge, die für mich im Osten fast schon normal waren, in Mannheim nicht. Als Indikator kann mein Blog trollbar.de gelten, auf dem ich viel über Rassismus schreibe. Oder besser: schrieb. Offener Rassismus ist in Mannheim so selten, dass ich, gefragt nach meinen Erfahrungen, oft lange überlegen muss: War da was? Meine Empfindungen decken sich mit vielen Gesprächen, die ich mit nichtweißen Menschen führe. Wenn Menschen hier rassistisch sind, dann passiert das im Verborgenen oder für privilegierte Menschen unterbewusst. Der Griff zur Handtasche (Frauen) oder das Zuhalten der Hosentaschen (Männer), wenn sie einen Schwarzen sehen, sind klassische Beispiele. Selbst die oft sehr lästige Frage, wo ich denn wirklich herkäme, höre ich hier nur sehr, sehr selten.
In Leipzig muss ich damit rechnen, zusammengeschlagen zu werden.
Rassisten in Westdeutschland muss man normalerweise lange kennen, bevor sie einem ihren Rassismus direkt ins Gesicht rülpsen. Ein Beispiel: Nachdem ich bereits zwei Jahre an meiner letzten Arbeitsstelle angestellt war, erzählte mir ein Prodekan und Studiengangsleiter der Lehranstalt: «Also ich würde ja auch schlucken, wenn jemand aus meiner Familie einen Schwarzen anschleppen würde.» Es ist eine der größten Ängste des weißen Mannes, dass ein Schwarzer Mann eine weiße Frau aus seiner Familie entführt. Ost- und westdeutsche Rassisten nehmen sich da nicht viel. Der Unterschied entsteht durch die Art, wann und wie sie ihren Herrschaftsanspruch bekunden. In Mannheim bekomme ich das während des Mittagessens zu spüren. In Leipzig muss ich damit rechnen, dass ich zusammengeschlagen werde.
Ich war aus meiner alten Heimat Leipzig geflohen, weil ich die Anfeindungen der Menschen dort nicht mehr ausgehalten habe. Das war vor dem Zuzug der Geflüchteten, die im Jahr 2015 vor allem aus Syrien in die Stadt kamen. Selbst wenn man wollte, kann man es also nicht auf «schlechte Erfahrungen» mit Geflüchteten zurückführen. Zivilisation ist eine sehr dünne Schicht. In Leipzig pflegt sie im Umgang mit nichtweißen Menschen besonders schnell aufzuplatzen.
Im Jahr 2012 kippte die Stimmung in der als sich als weltoffen verstehende Messestadt wieder einmal. Als sich die Stadtverwaltung nämlich darauf verständigte, eine in die Jahre gekommene Asylunterkunft zu schließen und Geflüchtete dezentral auf mehrere Standorte zu verteilen, rumorte es in der Bevölkerung. Der hässliche Deutsche hatte etwas zu sagen – notfalls brüllte er. Für mich bedeutete die geplante Integration von Ausländern in die Stadtgesellschaft, dass Menschen in der Öffentlichkeit wieder vermehrt meine Existenz in Frage stellten, ich wieder der Ausländer wurde, schlimmer noch: der Afrikaner. Und aus Afrika kommt nie etwas Gutes. Bananen vielleicht. Damit ist die Weltoffenheit des Ossis allerdings recht schnell erschöpft.
Wo seid ihr, wenn ich in der Straßenbahn angegriffen oder beschimpft werde?
Da hilft es auch nicht, wenn Menschen unter dem Hashtag #DerAndereOsten beteuern, «wie wunderbar es sich hier leben lässt.» Es stimmt halt nicht, wenn du Schwarz bist. Der Initiator der Kampagne, Stefan Krabbes, sagte gegenüber dem MDR: «Wir haben ein Problem mit Rechtsextremisten, aber sie bilden im Osten nicht die Mehrheit. Sie sind vielleicht lauter, aber sie halten diesen Laden nicht am Laufen. Das sind wir.» Und wo seid ihr, wenn ich in der Straßenbahn angegriffen oder beschimpft werde? Ihr seid anscheinend so sehr damit beschäftigt, den Laden am Laufen zu halten, dass ihr nicht sehen könnt oder wollt, wie es Menschen wie mir im Osten geht. Der andere Osten kriegt erstaunlich selten das Maul auf. Seid ihr vielleicht gar nicht in der Mehrheit? Geht es vielleicht eher um Rassisten im Allgemeinen als Rechtsextremisten im Speziellen? Wer schweigt, stimmt zu.
Und Mannheim? Hier wurde ich auch nach fast vier Jahren kein einziges Mal angespuckt. Kein. Einziges. Mal. In Leipzig passierte das 2014 gleich dreimal. Jedenfalls dreimal, an die mich noch erinnern kann. Für mich ist es mittlerweile so normal, mit EC-Karte zu zahlen ohne andauernd meinen Ausweis zeigen zu müssen – Zufallskontrolle, Sie verstehen schon –, dass ich kaum mehr Bargeld mit mir führe. In einem Land wie Deutschland ist man da überraschend oft aufgeschmissen.
Ich werde so selten angestarrt, dass es mir mittlerweile so vorkommt, als wäre ich Rassismus gar nicht mehr gewöhnt. Wenn doch mal eine Oma gafft, dann bin ich so dermaßen überrascht, dass ich gar nicht weiß, was ich sagen soll. Normalerweise ist das nicht der Fall. Denn in Mannheim habe ich durch den weniger direkt erlebten Rassismus mehr Energie und ich kann mich öfter entscheiden, welche Konflikte ich austragen möchte und welche nicht. In Mannheim erlaubt man mir, mehr am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Anfangs wusste ich gar nicht, wie ich damit umgehen sollte, wenn die Bäckerei-Verkäuferin mit mir Smalltalk führte. Meint die wirklich mich? Oder steht hinter mir jemand, den sie ansprach und mich dabei ignorierte? In Leipzig passierte so was ständig. Als würde der Schwarze sich in Luft auflösen, wenn man ihn nur kräftig ignorierte.
Nach Leipzig fahre ich nur, wenn es unbedingt sein muss.
Aus meiner Heimat wegzuziehen, sollte für mich aber auch Einschränkungen mit sich bringen. Gute Freunde sehe ich nicht mehr so oft, wie ich es gern möchte. Wollen wir uns treffen, dann müssen sie nach Mannheim kommen. Das tun sie freilich sehr gern, aber für sie wäre es auch schön, wenn wir uns da treffen würden, wo wir uns kennengelernt haben, wo wir Freunde wurden. Neulich schrieb mir mein Freund, den ich schon seit über 20 Jahren kenne, dass ich ihn doch mal wieder in Leipzig besuchen könnte. Meine Antwort? Ein Ausschnitt aus der Serie «Hör mal wer da hämmert», in dem der Assistent Al Borland sagt: «Das glaube ich nicht, Tim.» Nach Leipzig fahre ich nur, wenn es unbedingt sein muss.
Dennoch: Einiges an Leipzig vermisse ich. Etwa die vielen Parks, die schönen und günstigen Altbauten sowie die Möglichkeit, mit dem Fahrrad schnell von A nach B zu kommen. In Mannheim ist das alles noch sehr ausbaufähig. Aber ich bin bereit, den Preis zu zahlen. Meinetwegen dürfen auch die Schokinag und all die anderen Fabriken in Mannheim ab und zu stinken, wenn, ja wenn ich nicht mehr angespuckt werde.
Disclaimer: Nur weil ich jetzt viel weniger Rassismus erlebe als in Leipzig, heißt das noch lange nicht, dass Menschen nicht auch im Westen angespuckt werden. Der Artikel soll nicht als Silencing-Instrument verstanden werden, mit dem man nicht-weiße Menschen im Westen zum Schweigen bringt.