„Müssen Ihre Schwestern auch ein Kopftuch tragen?“, fragte ihn die Psychologin bei der MPU-Prüfung als letzte Frage.
Das war das erste mal, dass Mohammed bemerkte, dass es ein erhöhtes Interesse an seiner Religion und seiner Kultur gibt. Früher in der Schule hatte man ihn immer über angenehme Dinge in seiner Kultur gefragt. Mitschüler wollten wissen, wie das Ramadan-Fest zelebriert wird. Sie nannten es türkische Weihnachten. Man lachte gemeinsam über diese Wortneuschöpfung, die die Kinder geschaffen hatten. Und dann kamen diese Arschlöcher und fliegen mit einem Flugzeug in die New Yoker Twin Towers.
Ab da ging es los. Der Islam ist nicht mehr eine Religion, die man über seinen Gemüsehändler oder den freundlichen Dönermann kennt. Plötzlich ist die Rede von Morgen- und Abendland.
Burkas, die es eher selten in Deutschland gibt, der Koran und Mohammed-Karikaturen finden ihren Weg auf die Titelseiten der Medien. Eine Religionsgemeinschaft von 1,5 Milliarden Menschen bekommt ein negatives Stigma aufgesetzt.
Thilo Sarrazin verfasst ein Pamphlet des Hasses gegen seine muslimischen Mitbürger. Der rbb, der lokale Fernsehsender in Berlin, nimmt die Fährte dieses Rassisten auf und macht einen Dokumentarfilm mit dem reißerischen Titel „Die Clans – Arabische Großfamilien in Deutschland“. Die sind ja meistens auch Muslime.
___STEADY_PAYWALL___
In jeder Redaktion findet sich fortan ein/e “Sachverständige/r“ für arabische Großfamilien.
In den Talkshows tauchen Opportunisten auf, die alles vor der Kamera gesagt hätten, was man sich für den Ganoven-Porno am Abend gewünscht hätte. Einer von ihnen schreibt ein Buch mit dem Titel „Mohamed – Eine Abrechnung“ über einen Mann, der 1, 5 Milliarden Menschen auf der Erde heilig ist. Anstatt dieses Buch zu verbieten, nimmt die Gesellschaft an, sammelt sich auf den Straßen und macht ihre Wut über ihr eigenes Versagen salonfähig. Die Moslems sind Schuld. Immer wieder Araber im Fernsehen. Hass auf den Flüchtling. Neid auf Bushido. Wut auf den Bart, den beide tragen.
2015 kam die vielen Flüchtlinge aus dem Morgenland nach Europa. Alle wollen nach Deutschland. Alle wollen in Rudi Völlers Land. Jeder will in dem Land von Porsche und Mercedes und Bosch leben. Dort, wo man das Wasser aus dem Wasserhahn trinken kann.
Dieses Land war aber auch mal das Land von Adolf Hitler. Daran muss man momentan immer öfter denken, wenn sich rechte Gruppierungen auf der Straße treffen und ihre wertlose Meinung skandieren. Asylheime brennen. Geflüchtete werden durch die Straßen gejagt. Ansammlungen von Asozialen erinnern an die längst vergessen geglaubte SA der Nazis. Die waren vorerst auch nur zum Stören der Gesellschaft zusammengeworfen worden. Wieder gibt es Fälle von rechter Autonomie auf deutschen Straßen.
Den Araber zu bashen ist stark in Mode geraten.
Meistens sind Araber Moslems, patriarchisch und Sexisten.
Viele ihrer Herkunftsländer sind mit Israel in einem Kriegszustand (gewesen). Dafür kann man sie leicht zu Antisemiten erklären. Man muss nur schnell einen Praktikanten nach Neukölln schicken, der irgendwelche dummen Jugendlichen arabischer Herkunft nach Israel befragt.
Ein offensichtlich seniler alter Mann erscheint in dem rbb-Dokumentarfilm. Er wird nach der Rechtsprechung in seine Kultur befragt. Es interessiert niemanden in der Redaktion, dass dieser Mann im Interview behauptet hatte, sein Bruder sei 146 Jahre alt geworden und auch, was er auf arabisch sagt, entspricht nicht dem, was im Beitrag übersetzt wird. Das einzige was zählt, ist, ihn als Rechtssprecher, als Friedensrichter zu deklarieren. Ein Mann, der sich über das deutsche Recht stellt.
Wieder entsteht ein Neologismus. Diesmal jedoch nicht von Kindern auf einem Spielplatz, sondern in einer renommierten Redaktion des Öffentlich Rechtlichen Fernsehens. Es ist die Rede von einem “Clanchef“. Ein Mann, der die Polizei nicht braucht, sondern andersrum, einer, zu dem die Polizei kommt und ihn um Hilfe bittet. Wow, Ganovenporno. Die Bärte sind wieder im Fernsehen.
Der Film erscheint. Ein Redakteur sitzt bei „ Markus Lanz“ und bekommt Beifall. Doch niemand fragt wofür. Dass er den Rassisten der AFD und der NPD mit diesem Film Wähler in die Arme gespielt hat, will in der Talkshow niemand fragen. Am Folgetag erscheint ein Ausschnitt seines Films auf einem Plakat der AFD.
Mohammed hat 13 Geschwister. Er hat eine kriminelle Vergangenheit. Sein kleiner Bruder ist auch kein unbeschriebenes Blatt. Der Rest seiner Familie jedoch besteht aus anständigen deutschen Frauen und Männern. Rechnet man dies in Zahlen um, passt das zu der Aussage des SPD-Politikers Tom Schreiber. In einem Interview mit der „WELT“ hatte er Statistiken zitiert. 90 bis 97 Prozent der Araber in Deutschland sind nicht kriminell.
Mohammed kam als Sohn libanesischer Kriegsflüchtlinge in die BRD. Als Pass hatte er ein Reisedokument. Das dies nicht normal ist, erfuhr er das erste Mal an einer Diskotür als er dem Türsteher diesen dicken grauen Pass zeigen musste, während seine Freunde einen Personalausweis besaßen. Mohammed kam meistens nicht rein, wenn er seinen Pass gezeigt hat. Warum soll man auch jemanden in die Disko lassen, der nicht arbeiten darf. Dies steht in seinem Pass auf einer gesonderten Seite. Duldung oder Aussetzung der Abschiebung steht da im Pass eines in Deutschland geborenen 19-Jährigen. Was soll jemand denken, der dies liest? Sei es ein Türsteher oder ein Richter. Wer nicht arbeiten darf, wird auch nicht arbeiten. Folglich hat diese Person auch kein Geld, das er oder sie in der Disko ausgeben kann. Warum sollte man ihn dann in die Disko lassen?
Mohammed sucht sich einen neues Umfeld. Anstelle der Bibliothek sitzt er nun in Cafés mit türkischen Jungen. Die haben auch einen anderen Pass. Es ist zwar auch ein folierter Personalausweis, wie der Deutsche. Doch auf dem Pass der Türken ist ein Hilal, ein Halbmond aufgedruckt. Die Leute mit dem Halbmond kommen auch nicht in die Disko zu den Deutschen rein.
Bei den Türken schaut niemand schief auf Mohammeds Krankenschein, wenn er den von der Krankenkasse holen muss, um zum Arzt zu gehen. Den Türken ist es auch egal, dass Mohammeds Familie von Sozialhilfe leben muss, weil sie nicht arbeiten dürfen. Das einzige, was zählt, ist dass er ein Bruder ist. Eine Parallelgesellschaft entsteht.
Auf der Straße bekommen Araber eine eigene Behandlung. Ein Haltung von Misstrauen wirft einen dunklen Schleier auf die bürgerlichen Beziehungen in Deutschland.
Wieder taucht der Gelähmte mit einem Buch auf. Diesmal steht darin, dass in arabischen Ländern Frauen beschnitten würden. Wieder wird eine Verallgemeinerung zum Instrument des Hasses und der Wut. Wieder fragt niemand, ob das stimmt. Und niemand kennt eine beschnittene Frau. Auch ich nicht.