„Barbarisch“ war das Wort, das der Genosse gebrauchte, der es in der Sache sehr ernst meint. Was hatte ich verbrochen? Hatte ich die Revolution verraten? Einer Fledermaus den Kopf abgebissen? Nichts von alledem.
Der Ort des Kommentars: Ein Techno-Club um 4 Uhr morgens. Alkohol, Schweiß und treibender Bass. Mein Vergehen: ich hatte den obersten Knopf meines Polohemds geöffnet. Trotz der Hitze offenbar ein unverzeihlicher Vorgang. Klamottentechnisch zeichnet den Freund eine große Ernsthaftigkeit aus. Seine Schuhe stets mit den Shirts abgestimmt und alles frisch gebügelt. Mein Freund ist Kommunist, ein kluger dazu. Wie geht radikale Gesellschaftskritik und ein Fokus auf (Marken)Klamotten zusammen?
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Im Anzug zum Kommunismus
Gerade in postautonomen, anti-nationalen antifaschistischen Zusammenhängen ist dieser scheinbare Widerspruch allgegenwärtig.
Schicke Klamotten wie Sneaker oder Polohemden gehören hierbei vielfach zum must have.
Ebenso finden sich daneben vermehrt auch Jogginghosen, Fanny-Packs oder Fischerhüte. Auch wenn diese Accessoires eher an einen Unterklassen-Style erinnern, handelt es sich bei den Trainingsanzügen der Linken nicht um die Varianten vom Textil-Discounter, sondern um die Markenstücke mit dem Swoosh oder den drei Streifen.
Der Fokus auf bestimmte Klamotten dient der Abgrenzung, andererseits soll damit die Zugehörigkeit zur Szene demonstriert und Anerkennung in der Gruppe erworben werden. Mit Kleidung zeigt man, wer man ist – oder wer man sein möchte. Neben der Wirkung nach innen, transportiert ein einheitlicher Style auch etwas nach außen. Markenkleidung kann zumindest als temporäres Werkzeug dabei helfen, politische Anliegen zu verbreiten. Sieht die Gesellschaft radikale Linke entweder als schlichte Bedrohung in Form des schwarzen Blockes oder als Chaot*innen, die alles kaputt aber nichts produktives wollen, bedient man durch gutes Aussehen eben nicht dieses vorherrschende gesellschaftliche Bild. Wer als Linke*r wirklich daran glaubt, dass es wichtig ist, Mehrheiten zu organisieren und die gesellschaftliche Hegemonie zu erreichen, muss dafür etwas tun. Dies sowohl in den Inhalten, aber auch über das Auftreten. Markenklamotten ermöglichen eine Form der Ordnung und des Schickes, die anschlussfähig ist, ohne sich anzubiedern. Sicherlich mag auch der Style den zum Beispiel die Klimabewegung hat, wahnsinnig nachhaltig, bunt und offen sein – aber er bestätigt genau jene gesellschaftliche Vorurteile und Klischees, die die Mehrheitsgesellschaft so und so hat. Mal ehrlich: Wer nimmt Pluderhosen und Dreadlocks in politischer Auseinandersetzung denn bitte ernst? Und ja: Duschen und Körperpflege sind kein bourgeoiser Mist, sondern einfach notwendig – Glitzer hin, Nagellack her.
Ebenso wird es über einen schicken Style deutlich einfacher, auch neue Leute ansprechen. Das Konzept „Jugend-Antifa“ vor allem im ländlichen Raum versucht dies seit längerem mit gutem Erfolg: „Antifa? Die mit den coolen Schuhen?“ Hiermit kann man Jugendliche abholen und gleichzeitig politisieren.
Viele der Klamotten, die heute von besagten Linken getragen werden, schließen an den Working-Class-Style aus dem angelsächsischen Raum an. Für die Polohemd-Linken sind (bewusst oder unbewusst) zwei Jugendkulten von besonderer Bedeutung: die Mods und die Skinheads.
Von feinen Anzügen und derben Hemden
Erstere entstanden in den 60er Jahren in Großbritannien. Ziel war es, sich von der Masse der Gesellschaft abzuheben. Doch ging es beim Mod-Sein nicht in erster Linie um Individualität, sondern darum, Teil einer breiten Bewegung zu sein. Die Mods redeten gerne und viel über Klamotten und gaben wohl einen Großteil ihrer Gehälter für maßgeschneiderte Anzüge, Hemden mit Button-Down-Kragen und teure Schuhe aus. Da viele der Mods aus der unteren Mittel- bzw. der Arbeiter*innenklasse kamen, war der Fokus auf die Klamotten auch eine Form der Abgrenzung zu ihrer Herkunft und deren Werten: Hedonismus in Form von Drogen, Klamotten und Alkohol gegenüber der Sparmentalität ihrer Eltern der Nachkriegsgeneration.
Waren die Mods überwiegend eine weiße Jugendkultur, entwickelte sich aus schwarzen Rude Boys und weißen Mods die Skinheadbewegung. Die frühen Skinheads trugen zunächst noch smarte Anzüge. Diese wurden nach und nach durch das heute bekannte derbe, an Arbeiter*innenkleidung orientierte Outfit ersetzt. Seitdem zelebrieren Skinheads eine Ästhetik des Proletarischen. Damit einher ging auch ein stärkerer Fokus auf Aggressivität und körperliche Gewalt und klassische Geschlechterrollen.
Sowohl bei den Mods als auch bei den Skinheads waren Polohemden von Anfang an Teil der Kleidung.
Besonderer Beliebtheit erfreuten sich die Shirts des englischen Tennisprofi Fred Perry. Er war nämlich der erste Wimbledon-Sieger, der aus dem Proletariat stammte und wurde so zu einer Ikone der Skinheads. Nach seiner Tenniskarriere designte Perry seine Hemden, die es in dieser Form seit 1952 mit dem charakteristischen Lorbeer-Kranz gibt. Daneben haben es vor allem die Button-down-Hemden von Ben Sherman in den Klamotten-Kanon geschafft, auf den sich die heutigen modebewussten Linken noch stützen.
Als in den 1970er Jahren vermehrt Rechtsextreme in die Skinhead-Szene kamen, übernahmen diese auch den Kleidungsstil. Doch behielten die Linken vielfach die Hoheit über ‚ihre‘ Klamotten. Firmen wie Lonsdale und Fred Perry grenzten sich verstärkt von rechtem Gedankengut ab und unterstützen linke Projekte wie die Fußballclubs SV Babelsberg 03 und Roter Stern Leipzig – Linke bejubelten dies und tragen die Marken gerade deshalb mit Überzeugung.
Weitermachen – mit oder ohne Hemd
Und doch tun sich Widersprüche auf. Die horrenden Preise, der eigentlich in der Linken kritisiere (Marken-)Konsum, die krassen Ausbeutungsverhältnisse in der globalen Textilindustrie. Selbst wenn man den Fokus auf Klamotten kritisch sieht, bedeutet dies jedoch nicht das Ende des Aktivismus oder gar, das jeder Aktivismus, der sich in Polohemden kleidet, sinnlos wäre, weil damit immer die Gefahr bestünde, warenförmig verwertbar zu werden. Diese Dynamik lässt sich im Kapitalismus sowieso nie aufhalten. Man sollte das gesellschaftliche Potenzial gut gekleideten Protestes der Lorbeer-Fraktion auch nicht überschätzen. Soziale Bewegungen und modische, popkulturelle Trends bedingen einander und verändern sich dauernd. Sicher ist nur: Es ist besser, Menschen sind aktiv gegen Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und versuchen, die gegenwärtige Gesellschaft grundlegend zu ändern, als wenn sie es nicht tun. Selbst wenn ihr Verhalten widersprüchlich bleibt, selbst wenn das Engagement da aufhört, wo es wirklich wehtut, also dort, wo es um das eigene Verhalten geht. Aber all diese Fragen sollten auf einem höheren Niveau diskutiert werden und nicht bei individualisierenden Schuldzuweisung à la ‚Wie kannst du nur Kommunist sein und Coca-Cola trinken?‘ enden. Ernsthafte Gesellschaftskritik ist mehr als dies. Und unbedingt nötig – mit oder ohne Polohemd. Aber ganz ehrlich: Schlecht gekleidet Politik zu machen, ist auch keine Lösung.
Josef Bauer ist in postautonomen und antifaschistischen Zusammenhängen aktiv. Er ist organisiert im kommunistischen „umsGanze“-Bündnis.

Markenklamotten? Poloshirt? Alles Quatsch, wenn man Bagger besetzen will, meint eine Aktivistin von Ende Gelände: Der klimagerechten Styleguide.