In der Coronakrise werden autoritäre Denkmuster offenkundig. Manche freuen sich über den Kampf der Natur gegen das „Virus Mensch“ und „Überbevölkerung“.
Menschen in Italien stehen auf Balkonen und singen gemeinsam gegen die soziale Isolation. Ein Funken solidarischen Verhaltens inmitten einer globalen Ausnahmesituation. Doch in dieser Krise wird nicht nur die Solidarität wiederbelebt. Auch die Natur scheint aufzublühen. In den Kanälen Venedigs ist das Wasser klarer geworden. Die nordostitalienische Stadt ist nahezu menschenleer, seit dem 8. März herrscht eine umfassende Ausgangssperre. Viele Nutzer*innen bejubeln Bilder, wie die Natur in die Stadt kommt. Zurecht, mag man meinen, der Wunsch nach sauberen Städten ist sehr nachvollziehbar. Aber es gerät in den Hintergrund, dass diese Zustände daher rühren, dass Menschen sterben, während Millionen andere in ihren Wohnungen eingepfercht sind.
Manche Internetuser befürworteten das Virus sogar aktiv: „Wow, die Erde erholt sich. Die Luftverschmutzung sinkt. Das Wasser klart auf. Wildtiere kehren heim. Das Coronavirus ist der Impfstoff für die Erde. Wir sind der Virus“, schrieb ein User auf Twitter. Der Post wurde über 70.000 mal geteilt. Dazu muss man auch schreiben, dass die Infos über Delfine und Schwäne, die in Venedig angeblich schwimmen, Fake News waren und vielfach verbreitet wurden.
PETA mal wieder
Im Zusammenhang der Covid-19-Pandemie schaffte es auch die Tierrechtsorganisation PETA wieder einmal in die Schlagzeilen. In einem Tweet behauptete sie, dass tödliche Krankheiten wie Covid-19 ausbrechen würden, solange die Menschen Tiere äßen. Das ist in der aktuellen Lage mindestens zynisch. Denn so werden Menschen in ihrem individuellen Konsumverhalten für die globale Pandemie verantwortlich gemacht.
Dass PETA damit nicht weit vom „Chinese-Virus“-Narrativ eines Donald Trump oder der Behauptung entfernt ist, alle Chines*innen würden ständig Fledermäuse essen und damit die Schuld an Krankheiten tragen, verwundert nicht. Bereits 2003 war die Tierrechtsorganisation mit der „Holocaust auf deinem Teller“-Kampagne aufgefallen, wo der Mord von Tieren mit der Shoa gleichgesetzt wurde.
Beim Berliner Camp von Extinction Rebellion im vergangenen Jahr konnte man einen Workshop zur sogenannten „Deep Ecology“ oder „Tiefenökologie“ besuchen. Der Begriff geht auf den norwegischen Philosophen Arne Næss zurück. Diese Strömung beinhaltet, den Menschen nur als ein besonders invasives Tier unter Vielen anzusehen. Um die Natur zu erhalten sei zudem ein massiver Bevölkerungsrückgang notwendig. Der Tiefenökologie-Vordenker Næss sah Einwanderung in reiche Länder als „ökologischen Stress“, da diese den Konsumstil der dortigen Bevölkerung übernehmen würden.
Und Joanna Macy, eine Vertreterin der Deep Ecology, auf die sich viele Gruppen von Extinction Rebellion (XR) beziehen, relativierte in ihrem 1991 erschienenen Buch „World as Lover, World as Self“ den Holocaust. Vergleichbares finde derzeit durch die Zerstörung von Regenwäldern und in der Kontaminierung des Bodens statt, schrieb sie. Auch XR-Mitgründer Roger Hallam hatte letztes Jahr den Klimawandel mit dem Holocaust verglichen. Von diesem Vergleich distanzierte sich die deutsche XR-Sektion anschließend.
Unter den Anhänger*innen der Tiefenökologie findet sich auch die radikale Gruppe „Earth First!“. Deren Magazin publizierte 1987 einen Artikel, der spekulierte, ob die AIDS-Krise nicht ein wünschenswertes Instrument zur Bevölkerungskontrolle sei. Der Öko-Anarchist Murray Bookchin kritisierte die Tiefenökologie und vermutete hinter dem Artikel den „Earth First!“-Mitgründer David Foreman. Foreman verließ „Earth First!“ 1990 wegen seiner Anti-Immigrationshaltung, die er in einem Artikel für das „Earth Island Magazine“ auf den Punkt brachte: „More immigration = more americans = less wilderness“. Foreman bewegt sich bis heute in Umweltschutzkreisen und nährt den Mythos der Überbevölkerung als Grund der Klimakatastrophe.
Abseits vermeintlich progressiver Kreise werden Aussagen zu Umwelt- und Klimaschutz ganz offen mit Menschenhass und Rassismus verknüpft. Erst vergangenes Jahr sagte der Wurstfabrikant Clemens Tönnies, er wolle lieber Kraftwerke in Afrika finanzieren, statt Klimasteuern zu zahlen: „Dann würden die Afrikaner aufhören, Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn’s dunkel ist, Kinder zu produzieren.“ Neben der Behauptung, dass vor allem das Bevölkerungswachstum im Globalen Süden für den Klimawandel verantwortlich sei, klang auch hier der Mythos der Überbevölkerung an. Zusammen mit dem vermeintlichen Willen zum Klimaschutz mischt sich das zu Menschenfeindlichkeit.
Auch etwa beim britischen Prinz Philip, der lange Zeit Präsident des World Wildlife Fund for Nature (WWF) war. Schon vor über 30 Jahren bezeichnete er die Überbevölkerung als größtes Problem für das menschliche Überleben: „Falls ich wiedergeboren werden sollte, wünsche ich mir, als Killervirus auf die Erde zurückzukommen, um das Bevölkerungslevel zu senken“.
Menschenverachtung im Umwelt-Gewand
Diese Idee der Überbevölkerung wurde durch den englischen Ökonomen Thomas Malthus populär. Malthus stellte schon im Jahr 1798 in seinem „Essay On the Principle of Population“ die These auf, dass die Bevölkerung exponentiell wachse, die Nahrungsmittelproduktion jedoch nur linear. Wenn man nicht gegensteuern würde, drohten Verelendung, Hungersnöte und Seuchen.
Daher sprach er sich für sexuelle Enthaltsamkeit und die Abschaffung von Fürsorgeleistungen für Arme aus. Es sei „ein ewiges Naturgesetz, dass ein Teil der Menschen Not leiden muss”. Malthus‘ Thesen wurden später unter anderem für eugenische Bevölkerungspolitik aufgegriffen. Auch wurden sie mit rassistischen Überlegungen zum vermeintlich schädlichen Bevölkerungswachstum in den Ländern des Globalen Südens verbunden, etwa im 1968 erschienenen Buch „The Population Bomb“ des US-Biologen Paul Ehrlich.
Gerade jetzt scheint der Malthusianismus eine Renaissance zu feiern, und der Coronavirus ist der ideale Aufhänger für diese Leute. Dass es vor allem Verteilungsfragen sind, die eine steigende Weltbevölkerung überhaupt erst als Problem erscheinen lassen, wird dabei ausgeblendet. Obwohl etwa der aktuelle Weltagrarbericht schätzt, dass bereits mit der letzten Ernte über zwölf Milliarden Menschen ernährt werden könnten. Sich auf Naturgesetze zu berufen, immunisiert dabei doppelt. Es entzieht die politischen und ökonomischen Verhältnisse dem menschlichen Zugriff. Und es ermöglicht Menschenverachtung im umweltbewussten Gewand.
Es ist zynisch, wenn derzeit aus dem deutschen Home office heraus die „Rache der Natur“ beschworen wird, von Orten aus, an denen man sicher sein kann, dass es andere zuerst erwischt. Diejenigen nämlich, die am meisten unter den ungleichen Bedingungen auf der Welt leiden und nun auch noch als Schuldige der Misere herhalten müssen.
Statt sich zu entsolidarisieren und die vermeintliche Regeneration der Natur auf Kosten von Menschenleben abzufeiern, sollte es derzeit darum gehen, Menschenhass unter dem Deckmantel der Ökologie entgegenzutreten. Wir sind nicht das Virus.