Im deutschen Rap wird Ghettoromantik in der Hoffnung auf gute Verkaufszahlen auf den Markt geworfen. Mit der Realität der Protagonisten hat das oft nicht viel zu tun. Viele Rapper wachsen in wohlbehüteten Verhältnissen auf. Der Hamburger Disarstar kennt beide Welten. Sein Vater war selbstständig, hat gut verdient, bis er zwölf war. Dann ging das Geschäft krachend pleite: »Ich kenne es, mit der Familie spontan nach Ibiza zu fliegen und ich kenne es, kein Geld für neue Schuhe zu haben, obwohl die alten durchlöchert sind«, erzählt mir der 25-jährige bei unserem Treffen in den Hallen des Musiklabels Warner Music. An den Wänden hängen Bilder von denen, die »Platin gegangen sind«: Udo Lindenberg, Ed Sheeran, Madonna. Aus den großen Fenstern führt der Blick auf die Kanäle und Backsteinhäuser der Speicherstadt. Es sei immer noch „ungewohnt, wie gut es gerade läuft“, erzählt der Junge aus St. Pauli, der sich als Gerrit vorstellt.
Optisch entspricht der Rapper den Klischees seines Berufsstandes. Er geht nicht zufällig dreimal die Woche ins Fitnessstudio (schätze ich) und viel zu oft zum Friseur (erzählt er mir), um sich die Kante in seinen Haaren nachschneiden zu lassen. Seine Texte aber sind anders. Er teilt sich mit, nicht aus, rappt über das Elend des Kapitalismus, über Depression und Klassenkampf.
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Rappen mit Fisher-Price Mikrofon
»Ich bin den meisten weit voraus im Dreck fressen« heißt es auf dem Intro seines am Freitag erschienenen Albums. Nach der Pleite der väterlichen Firma gab es Stress in der Familie, die angespannte Situation führte schließlich zum Auszug des damals 15-Jährigen. Was folgte: Vom Jugendamt betreutes Wohnen. In dieser Zeit fing er an zu rappen, machte »Mucke gegen die Depression meines Alltags«. Mit einem Fisher-Price Mikrofon nimmt er seine ersten Lieder auf. »Es ist nicht notwendig, depressiv zu sein, um krasse Kunst zu machen. Aber es tut bestimmt nicht schlecht«, sagt er. Mit der Zeit erwarb Disarstar sich einen Ruf in der Szene, mit Tracks die eine Brücke schlagen zwischen roughem Straßenleben und introvertierter Traurigkeit.
Kurz darauf kam die erste eigene Wohnung. Das Geld reichte nicht. Von der schmalen Unterstützung vom Amt könne niemand leben. Leute, die das behaupten, waren nie selber dort unten, meint Disarstar. Deshalb musste der Lebensunterhalt auf andere Art bestritten werden: Drogen, Kleinkriminalität, auch eine Bewährungsstrafe für gefährliche Körperverletzung. Klassische Rap-Biografie eben. Aufgehört hat er, als er merkt, dass es auch die falschen Leute trifft.
Linksradikale Inhalte auf Major-Label
Manche Menschen machen Kunst, weil sie sich sonst schlecht ausdrücken können. Bei Disarstar ist das nicht so. Der Rapper spricht, wie er textet: Metaphorisch und sprachgewaltig. Wenn er über vergangene Zeiten spricht, über Kneipen in seiner Nachbarschaft, die Depressionen nach dem Rausch oder wie er es sich damals vorgestellt hat, bei einem Major-Label zu unterschreiben („Ich dachte, du wirst dort täglich mit einem Peitschenriemen geknechtet«), dann steckt man direkt in der Geschichte.
Und der Hamburger rappt linksradikale Inhalte auf einem der größten Musiklabels Deutschlands: »Ist doch geil, sich die Propaganda vom Major finanzieren zu lassen«. Linken Rap machen auch andere, »aber meistens erzählen da Leute anderen Leuten, was die sowieso schon wissen und was sie hören wollen.« Zusammengefasst: Zeckenrap ist zu oft Rap nur für Zecken. Disastar erreicht mit seinen Botschaften ein breiteres Publikum, strahlt weit in die Musikszene hinein.
»Vieles was im Rap passiert ist reaktionär«, findet er. Eine neoliberale Erzählung wir dort bedient. »Jeder ist seines Glückes Schmied«, »Vom Bordstein zur Skyline« – Zeilen die suggerieren, man müsse nur fleißig buckeln, dann könne man es weit bringen. Eine Illusion. »Von tausend ist nur einer Gewinner«: wer es wird, das hat mehr mit Glück als mit Können zu tun. Seine Musik ist Widerstand gegen solche leere Versprechen.
In seinem Video »Riot + Robocop« marschiert Disarstar vor einer Meute schwarz gekleideter Menschen und gehüllt in roten bengalischen Rauch. Fandest du das Video mackerig?, fragt Disarstar. Schon ein wenig martialisch. Die Inszenierung bedient einige klassische Rapklischees, demonstriert Härte und Stärke. Auch wenn in seinen Videos Frauen mindestens paritätisch der Kamera drohen.
Keine Heldengeschichten
Aber da ist auch mehr. In einem Track auf dem neuen Album geht es um Polizeigewalt während des G20-Gipfels in Hamburg. Wenn er über die Welcome-to-Hell-Demo spricht, bekomme er immer noch Gänsehaut. Die „Robocops“, die grundlos gewaltsam gegen die Demonstration vorgehen, die Enge, die Panik, das Gefühl weg von der Polizei zu müssen, weil sie schlagen und brutal agieren und doch nicht zu können, weil man dann hinter sich die Leute noch mehr an die Wand drängt. Nach den Ereignissen schläft der Rapper schlecht, spricht später von posttraumatischer Belastung. In solchen Momenten überrascht er mich. Ich habe selber viele Freunde, die sich als «Antifas» verstehen und nicht so emotional über das Erlebte reden würden. Trotz aller Reflexion: Auseinandersetzungen mit „den Bullen“ gibt es bei ihnen nur als Heldengeschichten. Wenn jemand nicht mit der Härte klarkommt, gibt es oft wenig Verständnis. Disarstar redet offen über seine Verletzungen. Aber auch über die Wut, die daraus erwachsen ist.
Disarstar will aber auch nicht der Künstler sein, den immer alle cool finden, an dem sich niemand reibt. Er will aus seinem Leben erzählen. Dabei aber immer gut dosieren, real sein. Authentizität ist der Goldstandard im Hip-Hop. Was damit gemeint ist, weiß so genau niemand. Aber: Sie hat Konjunktur. Und man hat sie oder eben nicht. Es heißt: »Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen.« Bei dem Rapper Disarstar merkt man, dass er es fühlt.