Manchmal möchte ich meinen Laptop aus dem Fenster schmeißen und alles kurz und klein treten. Der 7. Januar war einer dieser Tage, als das funk-Format „strg_f“ eine Doku veröffentlichte, in der es unter anderem darum ging, wie auf dem Festival „Monis Rache“ in den Jahren 2016 und 2018 Festival-Besucherinnen auf einer Dixie-Toilette gefilmt und diese Aufnahmen mindestens auf einer Pornoseite hochgeladen wurden. Anders formuliert, erfuhr ich noch vor dem Frühstück, dass ich möglicherweise beim Pissen, Kacken und Tampon wechseln gefilmt wurde und sich nun irgendwelche Arschlöcher auf diese Aufnahmen einen runterholen. Und der Täter? Nun, der ist Teil der Organisationsstruktur des Festivals, ein „linker“ Mann. Das Verhalten der Festival-Organisator_innen, die im Vorfeld der Veröffentlichung der Doku bereits Bescheid wussten, ist ein Paradebeispiel, wie in linken Strukturen immer wieder Täter geschützt und Betroffene unter den Bus geworfen werden.
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Die Verantwortlichen seien außerdem überfordert und bäten um Geduld, obwohl sie vier Monate Zeit hatten, eine ausführliche Strategie und Stellungnahme zu erarbeiten.
Patrizia Schlosser, die hauptverantwortlich für die Recherche hinter der Doku ist, trat bereits im September 2019 an einzelne Organisator_innen des Festivals heran und informierte diese, dass auf den Festivaltoiletten gefilmt worden war und der Täter vermutlich auf dem Festival gearbeitet hatte. Mithilfe ihrer Recherche identifizierte ein Teil der Festival-Organisator_innen den Täter und „konfrontierten“ ihn mit seinen Taten. So schildern sie es in einer von zwei mittlerweile erschienenen, sehr knappen Stellungnahmen. Die Verantwortlichen seien außerdem überfordert und bäten um Geduld, obwohl sie vier Monate Zeit hatten, eine ausführliche Strategie und Stellungnahme zu erarbeiten. Insgesamt hätten nur sechs oder sieben Personen bis zur Veröffentlichung der Doku von den Aufnahmen gewusst, heißt es intern. Diese kleine Gruppe habe mit dem Täter basierend auf dem Transformative-Justice-Konzept arbeiten wollen, anstatt die Betroffenen zu informieren und den Täter anzuzeigen. Das ist ein Argument, was öfter in linken Gruppen zu hören ist: Wir wollen mit dem Täter arbeiten.
Transformative Justice ist ein Konzept aus den USA, in dem es darum geht als Gruppe sexualisierte und sexuelle Gewalttaten gemeinsam mit dem Täter aufzuarbeiten, anstatt Taten anzuzeigen und den Staat als strafende Instanz hinzuzuziehen. Ziel ist es, die Einsicht beim Täter zu fördern und auf Lernen statt auf Abschrecken durch Strafe zu setzen. Ein Grundpfeiler von Transformative Justice ist, dass die Betroffenen einem solchen Prozess zustimmen, Unterstützung erhalten und, sofern sie das wünschen, aktiv am Transformative-Justice-Prozess teilnehmen. Anstatt Betroffene und Dritte zu informieren, wurde in diesem Fall der Täter durch Drohung in einen Prozess gezwungen, über den überhaupt keine Transparenz nach außen bestand und besteht. Wer sich ein bisschen mit der Arbeit mit Gewalttätern auskennt, weiß, dass das keine vielversprechende Strategie ist, um zukünftige Taten zu verhindern und echte Reue beim Täter zu erreichen. Ganz im Gegenteil, ein solches Vorgehen führt dazu, dass Taten eben nicht in der Gruppe als Ganzes behandelt werden, wie es der Transformative-Justice-Ansatz vorsieht. Der Täter bleibt anonym, Betroffene werden nicht informiert und sobald der Täter beispielweise umzieht, kann er fröhlich von neuem anfangen.
Mal im Ernst, was würde es diesen Typen wohl kosten, dem ins Auge zu blicken, was er unter seinem Hoodie mit ACAB-Aufnäher eigentlich ist?
Mal im Ernst, was würde es diesen Typen wohl kosten, dem ins Auge zu blicken, was er unter seinem Hoodie mit ACAB-Aufnäher eigentlich ist? Was müsste dieser Mensch für einen Knacks in seinem Selbstwertgefühl ertragen, um einzusehen: Ich bin ein sexueller Gewalttäter, der einen Scheiß auf Frauen gibt? Und wie sehr wird er sich wohl sträuben, das voll und ganz anzuerkennen und zu bereuen? Der Täter ist offensichtlich sehr weit von den Werten entfernt, nach denen er vorgeblich handelt: Dem Typen ist Latte, was es mit Feminismus und „links sein“ auf sich hat, trotzdem ist er Teil einer unserer Gruppen. Diesen Menschen in einem Prozess zur Einsicht zu bewegen, braucht stabiles Wissen, therapeutisches Geschick und eine eindeutige Haltung zu sexueller und sexualisierter Gewalt. Vor allem braucht es die Erfahrung, wann Transformative-Justice-Arbeit gescheitert ist und Täter ausgeschlossen werden müssen. Wie soll eine Gruppe, die in ihren Interessen und persönlichen Beziehungen so mit dem Täter verstrickt ist und nach eigenen Angaben nicht viel Plan vom Umgang mit Tätern und Betroffenen hat, das leisten? Die Antwort ist: Gar nicht. Das kann diese Gruppe natürlich nicht leisten und deshalb hätte sie mindestens eine externe Gruppe zur Unterstützung hinzuziehen und die Betroffenen informieren müssen. Das findet man übrigens alles eingermaßen schnell raus, wenn man sich die Mühe macht „transformative justice“ zu googeln.
Die Eingeweihten in den „Monis-Rache“-Reihen müssen sich vor diesem Hintergrund die Frage stellen lassen, ob sie nicht einfach die Buxe voll hatten, sich den Konsequenzen einer Veröffentlichung zu stellen und lieber ihren Arschloch-Freund schützen. Es ist zu einfach, darauf zu hoffen, dass niemand rauskriegt, um welches Festival es sich handelt. Anstatt den Fall gleich anzugehen, wurden erst am 4. Januar dieses Jahres in einer Vollversammlung andere Mitglieder der Festivalorganisation über die Taten informiert. Den Namen des Täters hielten die Organisator_innen auch intern weiter geheim und setzten damit auch Betroffene in ihrer Gruppe weiterem Täterkontakt aus. Die Verbindung zum Täter wird außerdem heruntergespielt, er sei nur irgendein Typ, der Technik macht. Eine Bekannte des Täters berichtete mir hingegen, dass der Täter seit Jahren in die Planung des Festivals involviert ist. Das, was da nun als Transformative-Justice-Prozess verkauft werden soll, ist vieles, aber eins mit Sicherheit nicht: sinnvolle Täterarbeit, die garantiert, dass sich so etwas nicht wiederholt. Es ist Täterschutz in einem linken feministischen Zusammenhang und nicht weniger.