Ein Blick auf den Kalender: bald müsste die nächste Monatsblutung kommen. Viele Menstruierende wissen, was das bedeutet: Fiese Beschwerden wie Unterleibsschmerzen und Krämpfe, Kopfschmerzen oder Schwindel. Doch bei Einigen steckt mehr dahinter, eine chronische Krankheit, die sich Endometriose nennt. Dabei treten Entzündungen und Zysten – sogenannte Endometrioseherde – auf, die sich an inneren Organen, meist an Eierstöcken, Eileitern, Darm oder Bauchfell ansiedeln. In Deutschland leiden zwischen 5 und 15 Prozent aller Frauen und Transmänner im fruchtbaren Alter daran. Für alle an Endometriose-Erkrankten, die keine Cis-Frauen sind, kann der Umgang mit der Krankheit besonders schwer sein, da sie oft als „Frauenleiden“ verstanden wird.
Drei Betroffene sprechen über ihre Erfahrungen mit der Krankheit.
Ellie lebt mit ihrem Partner in London und arbeite als wissenschaftliche Mitarbeiterin für die NGO „Girl Effect“ und mag Mooncups und Feminismus.

Vladislav ist 22 Jahre alt und kommt aus der Nähe von Wolfsburg. Er bezeichnet sich selbst als Mann mit transsexuellem Hintergrund, aber die Beschreibung Transmann ist für ihn auch in Ordnung.

Vanessa lebt seit Kurzem wieder in ihrer Heimatstadt Würzburg. Sie schreibt auf ihrem Blog endopowerment.com über ihre Erkrankung. Ihr Wunsch ist es, damit ein neues Mindset und ein positiveres Verständnis für Betroffene über Endometriose zu schaffen.

Ihr alle seid an Endometriose erkrankt. Wie hat sich euer Krankheitsverlauf entwickelt?
ELLIE: Seit ich zwölf bin habe ich starke Regelblutungen. Jetzt bin ich 25 und noch immer sind sie lang, schmerzhaft und anstrengend. Mir wurde einmal von einem Arzt – der einen externen Ultraschall durchführte – mitgeteilt, dass ich definitiv keine Endometriose habe. Ich habe inzwischen erfahren, dass das auf diese Weise gar nicht diagnostiziert werden kann. Im Dezember 2019 wurde bei mir dann eine operative diagnostische Bauchspiegelung durchgeführt, durch die Endometriose festgestellt wurde.
VLADISLAV: Die erste, die den Verdacht auf Endometriose geäußert hat, war meine Cousine. Sie ist selbst auch betroffen und kannte deshalb die Symptome. Das war Silvester 2017. Mein Gynäkologe hat die Diagnose dann anhand von Symptomen gestellt. Operationen hatte ich noch keine. Im Moment ist das bei mir auch nicht nötig. Seit ungefähr einem Jahr nehme ich Leuprolelinacetat als Hormonblocker. Offiziell verschreibt meine Endokrinologin mir das wegen meiner Endometriose. Eigentlich nehme ich es aber „off-label“ wegen meiner Transidentität. Denn da mache ich seit September 2018 eine Hormonersatztherapie mit Testosteron. Seit ich Testosteron nehme, habe ich kaum noch Probleme mit der Endometriose.
VANESSA: Die ersten Symptome wie Durchfälle und starken Schwindel hatte ich direkt mit dem Eintreten meiner ersten Periode. Doch die Schmerzen waren irgendwann auf einem unerträglichen Level. Selbst starke Schmerzmittel halfen nicht mehr, intravenöse Injektionen waren die einzige Option, um mal vier bis fünf Stunde Ruhe zu haben. Während meiner Abizeit hat meine damalige Gynäkologin direkt auf Endometriose getippt. Mir war damals natürlich noch nicht die Schwere und die Tragweite dieser Erkrankung bewusst. Meine Frauenärztin hat mich auch nicht darüber aufgeklärt, es gab nicht mal eine Infobroschüre darüber. 2018 stellte sich heraus, dass mein linker Harnleiter mit Endometriose zugewachsen war, was die Niere zerstört hat. Deshalb musste meine linke Niere rausgenommen werden. Die Endo habe ich bis heute nicht weg machen lassen. Eine Entfernung meiner Herde an Darm und Blase könnten einen künstlichen Darmausgang und einen Harnverhalt (Red.: die Unfähigkeit, die Blase willentlich leeren zu können) zur Folge haben, weshalb ich mich gemeinsam mit meinem Arzt dazu entschieden habe, sie dort zu lassen wo sie ist. Ich habe meine Schmerzen auf andere Weise in den Griff bekommen. Ich habe mich mit meiner Krankheit ausgesöhnt, meinen Stress reduziert und an meinem Mindset gearbeitet. So geht es mir aktuell am besten.
Im Durchschnitt werden Betroffene erst nach zehn Jahren zutreffend diagnostiziert. Woran kann das liegen? Steht das im Zusammenhang damit, dass Frauen und Transmännern oft nicht geglaubt wird, wenn sie schwere Schmerzen beklagen?
ELLIE: Ich denke, dass eine richtige Diagnose meist solange dauert, da diese Art von Schmerz gesellschaftlich normalisiert wurde. Das weist auf ein zugrunde liegendes Problem hin: Der Diskurs über den weiblichen Körper und Geschlecht wird traditionell als unangemessen eingestuft, weil es sich um eine Andere als die „neutrale“, männliche Erfahrung handelt.
Wenn man sich vorstellt, dass es eine Krankheit gäbe, die die Cis-Männer ähnlich betrifft. Es würde doch plötzlich fiebrig nach einer Heilung gesucht werden und öffentlich viel mehr darüber gesprochen werden. Es würde sich so schnell etwas ändern! Für Endometriose gibt es noch heute kein Heilmittel und außer einer Operation keine Möglichkeit, es zu behandeln.
VLADISLAV: Ich denke schon, dass es an Frauen- und Transfeindlichkeit liegen könnte. Cis-Frauen werden schon weniger ernstgenommen als Cis-Männer. Sprichwörtlich können sie manchmal auf dem Zahnfleisch gehen und man schickt sie dann mit Ibuprofen nach Hause. Das ist mir leider auch schon passiert.
VANESSA: Dadurch, dass bei vielen Frauen die Schmerzen zusammen mit ihrer Periode auftreten und diese ja auch unter normalen Umständen nicht als angenehm empfunden werden, misst man diesen Schmerzen einfach keine Bedeutung bei. Sie werden unter dem Deckmantel der Periode als normal zu verkraftende Schmerzen definiert. Hinzu kommt die Tabuisierung der Menstruation, weshalb viele ein Problem haben, bei anderen Frauen den Austausch zu suchen.
Frauen müssen sich in so vielen Themen in der Männerwelt behaupten, da hat Schwäche keinen Platz. Bei Transmännern ist es genauso. Hinzu kommt, dass selbst viele Frauenärzte die Endometriose nicht auf dem Schirm haben. Da Endometriose den ganzen Körper betrifft, müsste eigentlich auch jeder Hausarzt, Urologe, Gastroenterologe usw. davon gehört haben.
Vladislav, stehen ausreichend Informationen über die Krankheit und gesundheitliche Unterstützung zur Verfügung für Menschen die keine Cis-Frauen sind?
VLADISLAV: Bei Endometriose mangelt es leider allgemein an Informationen und Aufklärung. Viele wissen gar nicht, wie häufig diese Krankheit ist oder dass auch Menschen, die nie eine Gebärmutter hatten, Endometriose haben können. Das betrifft dann natürlich auch Cis-Frauen. Aber wenn Du keine Cis-Frau bist, gibt es fast überhaupt keine Informationen. Vor allem im deutschen Sprachraum beziehen sich fast alle Artikel nur auf weibliche Betroffene. Alle anderen finden nicht viel. Deswegen möchte ich dem Thema auch meine Stimme geben.
Begegnet dir als an Endometriose erkrankter Transmann Diskriminierung in diesem Kontext? Wenn ja, was würdest du dir im Umgang mit der Krankheit und Betroffenen in der Zukunft wünschen?
VLADISLAV: Ja, mir begegnet da leider Diskriminierung. Viele Gruppen lassen gar keine Personen rein, die keine Frauen sind. Oder sie erwarten von uns, dass wir uns in jedem Beitrag aufs Neue outen und erklären – sonst könnte das ja die anderen Gruppenmitglieder verunsichern. Außerdem weigern sich einige auch, davon abzusehen, Menschen wie mich als „Endo Sisters“ zu bezeichnen. Dabei gibt es geschlechtsneutrale Alternativen, zum Beispiel „Endo Warriors“. Und dann gibt es noch eine Sorte, die einem auch überall anders begegnet: Diejenigen, die trans, non-binär, divers etc. gar nicht für real halten. Sie glauben, wir seien psychisch kranke Frauen. Oder wir hätten Frauenfeindlichkeit so verinnerlicht, dass wir selbst gar keine Frauen mehr sein wollen – dabei hat das mit „wollen“ überhaupt nichts zu tun. Ich wünsche mir, dass es einfach mehr Informationen und weniger Trans- und Frauenfeindlichkeit gibt.