Ihr Wohnzimmer müsse sauber bleiben, sagt Maja. Nazis hätten hier nichts zu suchen. Mit »Wohnzimmer« meint sie das Stadion der Freundschaft – die Heimstätte des Viertligisten Energie Cottbus. Schon lange plagt sich der Fußballklub mit rechten Fans. Doch es tut sich etwas.
Im Oktober 2018 gründete Maja zusammen mit ein paar anderen die Gruppe »Energie-Fans gegen Nazis«. Das Ziel: eine Diskussion über Rechtsextremismus im Stadion anregen. Nicht-rechten Fans eine Stimme geben. Aber auch gegen pauschale Verurteilungen aller Cottbuser Fans vorgehen.
Auslöser für die Gründung waren die Vorfälle beim Auswärtsspiel in Babelsberg im April 2017. Die Bilder aus dem Cottbuser Block brannten sich tief ein. Hitlergrüße, antisemitische Gesänge, Platzsturm. Eine der schwärzesten Stunden des ehemaligen Erstligisten.
Maja meint, viele Medien hätten sich nach den Vorfällen auf den Verein gestürzt. »Reißerisch« sei die Berichterstattung gewesen. Das habe Energie Cottbus geschadet. Klar, der Verein habe ein Problem mit rechten Fans. Schönreden dürfe man nichts. Das passiere zu häufig. »Aber dass wir pauschal als Naziverein bezeichnet wurden, war schmerzhaft.«
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Wir haben einen Nerv getroffen
Maja und ihre Mitstreiter*innen traten im vergangenen Mai zum ersten Mal in Erscheinung und ließen eine Zaunfahne mit dem Spruch »Schon immer die Mehrheit! Energiefans gegen Nazis« und einem zerspringenden Hakenkreuz drucken. Die Resonanz sei groß gewesen, berichtet die gebürtige Cottbuserin. »Viele Energie-Fans haben sich bedankt, dass wir Stellung beziehen.« Sogar Applaus habe es gegeben, als sie das Banner aufhängten. Ihre neu gründete Facebook-Seite hatte in nur einer Woche 700 Abonnenten. Auch die offizielle Vereinsseite machte Werbung für die neue Fangruppe. Maja meint: »Wir haben einen Nerv getroffen.«
Doch wer steht eigentlich dahinter? »Ganz normale Fans«, sagt Maja. Vom Schönwetterfan bis zum Auswärtsfahrer mit Dauerkarte sei alles dabei. Zu Letzteren gehört Maja: »Energie ist mein zweites Zuhause.« Keine fünf Minuten vom Stadion der Freundschaft entfernt ist sie aufgewachsen und schon als Kind mit ihrem Vater zu Energie gegangen. »Die Liebe zu einem Verein sucht man sich nicht aus. Das passiert einfach.«
Rechte dominieren die Kurve
Früher, erinnert sich Maja, seien rassistische Affenlaute gegen schwarze Spieler normal gewesen. Mit der Zeit habe das jedoch abgenommen – auch weil immer mehr Fans den Mund aufgemacht und es unterbunden haben.
Dennoch hat Energie Cottbus immer noch ein großes Problem mit Nazis in der Kurve. Der Name einer Gruppe taucht immer wieder auf: Inferno Cottbus (IC). Die stramm rechte Ultragruppe hat enge Verbindungen zur kriminellen Szene der Stadt und der Region, soll in den Drogenhandel verstrickt sein, Modelabels, Securityfirmen und Kampfsportstudios betreiben. Eine braune Melange aus Nazis, Rockern und Türstehern. Im April durchsuchte die Polizei Wohnungen und Geschäfte in Cottbus und Brandenburg – auch von IC-Mitgliedern.
Nach dem Babelsberg-Spiel stand die Gruppe immer mehr im Fokus. IC kam einem Verbot zuvor und löste sich im Sommer 2017 selbst auf – offiziell jedenfalls. Doch die Nazi-Ultras sollen immer noch den Ton im Stadion der Freundschaft angeben. Selbst der Verfassungsschutz spricht von einer »Scheinauflösung«. Auch Maja meint: »Ihre Strukturen sind wahnsinnig krass.«
Plötzlich knallt es
Das bekamen auch die »Energie-Fans gegen Nazis« zu spüren. Als Antwort auf ihre Facebook-Seite gründeten rechte Fans die Seite »Energie-Fans gegen Zecken«. Die Seite ist mittlerweile gelöscht, doch die Message war klar: Das ist unser Verein.
Ein Heimspiel in Cottbus. Maja hängt die Fahne mit dem zerspringenden Hakenkreuz an einen Zaun. So wie viele Male zuvor. Zuerst wird sie angepöbelt. Nazis wollen die Zaunfahne abreißen. Dann wird Maja körperlich attackiert. »Wenn sich plötzlich 50 Stiernacken aufbauen, ist es schwer, Zivilcourage zu zeigen. Trotzdem ist sie wichtig und kann sich schon in kleinen Gesten und Zustimmung äußern«, meint Maja. Bei Auswärtsspielen verzichten sie meistens darauf, die Zaunfahne aufzuhängen. »Wir haben keine Lust auf gefährliche Konfrontationen.«
Rechte bedrohen andere Fangruppen und üben offen Gewalt aus. Das Stadion und die Stadt sind klein. Man kennt sich. Sich offen zu positionieren, traut sich kaum jemand. Und so schweigt die Mehrheit, wenn es mal wieder zu rassistischen Ausfällen kommt. Auch die Mitglieder der Anti-Nazi-Gruppe machen sich Sorgen. Sie wollen aus Angst nicht mit ihren echten Namen in der Zeitung stehen. »Hausbesuche« von Rechten, wie Maja sagt, seien ein realistisches Szenario.
Babelsberg-Fans haben leicht reden
Frühling 2018, Landespokalendspiel. Wieder gegen Babelsberg. Tausende Cottbuser Fans machen sich auf den Weg nach Potsdam. Hochsicherheitsspiel, überall Polizei und Kameras. Auch Maja und ihre Gruppe sind dabei. Ihre Fahne hängen sie an einen Zaun. Nach nur wenigen Minuten ist sie jedoch weg. Abgerissen von Nazis. Die Strafanzeige bei der Polizei ist trotz durchgehender Videoüberwachung nicht erfolgreich. »In solchen Momenten verliert man das Vertrauen in den Rechtsstaat«, sagt Maja.
Neben Inferno stehen noch zwei weitere Ultragruppen in der Cottbuser Kurve: das Collettivo Bianco Rosso (CBR’02) und Ultima Raka (UR’02). Letztere tritt unpolitisch auf. Also immerhin nicht rechts. Genervt sei Maja von Fans anderer Vereine, die nicht verständen, dass Veränderungen nicht von einem auf den anderen Tag passieren. »Babelsberg-Fans haben leicht reden. Aber es ist komplizierter, sich in Cottbus gegen Nazis zu positionieren als im Karli.« Und Maja ist sich sicher: Die Mehrheit sei gegen die Rechten.
Allerdings gilt Cottbus schon lange als rechter Hotspot in Brandenburg. Bei der Bundestagswahl wurde die AfD stärkste Kraft. Und die Partei hat in der brandenburgischen Stadt klare inhaltliche und personelle Verbindungen zur rechten Szene. Auch im Stadion sehe man Politiker der Partei, sagt Maja. Beim Pokalspiel gegen den FC Bayern am vergangenen Montag hingen fast ausschließlich AfD-Plakate rund ums Stadion.
Rassismus ist wieder en vogue
Eine klare Ansage gegen die AfD – so wie bei anderen Vereinen – ist bisher ausgeblieben. »Das ist schade«, meint Maja. »Denn so etwas hat eine unfassbar große Wirkung.« Der allgemeine Rechtstrend mache sich auch im Stadion bemerkbar: »Rassismus ist wieder en vogue.« Gerade deshalb will sie mit ihrer Gruppe weiter gegen Rassismus kämpfen. Neben der Präsenz im Stadion und im Internet nimmt die Gruppe an Diskussionsveranstaltungen teil und betreibt Aufklärungsarbeit – auch zusammen mit dem FC Energie Cottbus.
Mit dem mittlerweile ausgeschiedenen Präsidenten Michael Wahlich habe sich einiges im Verein getan. Von einer »Zäsur« spricht Maja. Nach dem Babelsberg-Spiel hat der Verein hart durchgegriffen, arbeitete fortan mit Anti-Nazi-Organisationen zusammen. Ein hauptamtliche Stelle mit dem Titel »Beauftragter für Vielfalt und Toleranz« sollte geschaffen werden, was aber letztlich scheiterte. »Vergebene Chance«, meint Maja. Und auch das gehört zur Geschichte von Energie Cottbus: Ein Inferno-Mitglied wurde nach der Auflösung der Nazi-Ultras zu einem von drei Fansprechern gewählt. In den letzten Tagen ging ein Video viral, das Cottbuser Fans zeigt, die Macarena tanzen und den Hitlergruß zeigen.
In der neuen Saison gab es noch keine Vorfälle im Stadion. Beim DFB-Pokalspiel gegen den Rekordmeister FC Bayern hing die Anti-Nazi-Fahne 90 Minuten am Zaun – ohne Zwischenfälle. Und wie geht es nun weiter? »Unsere Zaunfahne hängen wir gerne nicht mehr auf«, meint Maja. »Aber erst, wenn kein Nazi mehr in unserer Kurve steht.«