Helau, Alaaf, es ist soweit. Für viele Menschen befinden wir uns mitten in der fünften Jahreszeit. Karneval, für einige Fastnacht und für mich seit jeher Fasching, lockt die Jecken und Jäckinnen auf die Straßen, ist einigen Bundesländern sogar Feiertage wert und neben dem Oktoberfest einer der wichtigsten Anlässe für ein gepflegtes Daydrinking.
Mit politischer Korrektheit tun sich die Deutschen beim Karneval aber immer noch schwer: Einige Kostüme, die wir als Kinder in unser Herz geschlossen haben, überschreiten die Grenzen der kulturellen Aneignung. Verkleidungen als „Winnetou“, „Reissammler“ oder „Bollywoodstar“ treten Menschen, die sich als Native American, Chinesisch oder Indisch identifizieren, gewaltig auf den Schlips. Du hast es mit deinem Kostüm nicht böse gemeint? Das macht dich noch lange nicht unschuldig.
Bier vor vier ist eigentlich fabelhaft
„Im Süden von der Elbe, da ist das Leben nicht dasselbe“, rappte einst Jan Delay aka „Eisi-Ice“ – und er sollte Recht behalten. In meinem norddeutschen Heimatstädtchen feiert man Segelregatten, ab und zu mal ein Stadtfest. Dem Fasching und dem 11.11. schenkt man wenig bis gar keine Aufmerksamkeit. Für mich bleibt das Thema politisch korrekter Verkleidungen unbehelligt von jeglicher emotionaler Traditionsverbundenheit.
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Schaue ich mir das alljährliche Spektakel genauer an, verstehe ich den Spaß an der Freude nur zu gut: Bier vor vier, in andere Rollen schlüpfen, Straßenumzüge und Kamelle werfen. Fabelhaft! Doch viel zu lange wurden hierbei jedoch Traditionen und Habitus, Gewänder und sogar ganze Ethnien ins Lächerliche gezogen und respektlos imitiert.
Aber warum verkleiden sich Menschen eigentlich als „Reissammler“ oder „afrikanischer Ureinwohner“? Was bedeutet es, wenn ich Kostüme bei Rewe kaufen kann und mich mit Kajalstift und Afroperrücke plötzlich zu jemandem mit einer anderen, kulturellen Identität mache? Und was hat es mit diesem Pocahontas-Mythos wirklich auf sich?
Stereotype Abbilder von realen Menschen
Oft wird vergessen, dass es sich bei den gemimten Personen um stark überzeichnete, stereotype Abbilder von realen Menschen handelt. Und häufig zeigt es einen sehr primitiven Abriss einer Person. Kostüme von „Afrikaner*innen“ sind meist angelehnt an Personen, die wir uns im Dschungel vorstellen könnten. Lederrock mit Federschmuck und Gesichtsbemalung spiegeln die europäische Vorstellung einer sogenannten „indianischen Person“ wider. Auch das sogenannte Blackfacing, der Tanz um den Marterpfahl und ein beherztes „Ching-Chang-Chong“ ist ein Teil einer eurozentrischen Sichtweise, in der sich weiße Westler*innen alles erlauben können – auch zu entscheiden, was gerade ok ist.
Während viele Jecken und Jäckinnen sich zu Karneval verkleiden und am Abend Afro und Gesichtsschwärze wieder in die Schublade packen, bleibt der Rassismus, den Menschen täglich erleben, die Genozide für die Europäer*innen an den Native Americans verantwortlich sind und die Stereotypisierung, unter welcher asiatisch gelesene Personen leiden, reale Lebenswelt für viele Menschen.
Niemand fordert ein Karnevalsboykott
Viele Karnevalist*innen gehen mit anderen Identitäten um, als wären sie nichts wert. Und in der Diskussion um politische Korrektheit versuchen sie krampfhaft, ihre kulturelle Praxis zu bewahren und sich nichts verbieten zu lassen – schon gar nicht den Mund.
Und dabei hat nie jemand von Verboten gesprochen. Von Eingrenzungen und Alternativen vielleicht. Und von einem Umdenken. Um respektvoll miteinander zu feiern, braucht es Verständnis für die Schicksale von marginalisierten Menschen – gerade wenn man selbst privilegiert ist und rassistische Übergriffe sowie eine zerstörte kulturhistorische Vergangenheit nicht nachfühlen kann. Und vor allem dann, wenn man Achtung und Respekt vor den eigenen Traditionen einfordert und sich nichts nehmen lassen will. Niemand fordert ein Karnevalsboykott. Keine Feierpause und keine Verbote. Nur ein Umdenken und ein Hinterfragen von Traditionen, die ausschließlich auf Kosten anderer funktionieren.
Zelebrierung der deutschen Kolonialgeschichte
Vor einigen Jahren sorgte ein Fuldaer Karnevalsverein für Schlagzeilen. Während einige Mitglieder sich als Kolonialherren verkleideten, mimten andere „Afrikaner“ und wurden im Blackface, behangen mit Leopardenstoff und Knochen im Haar, durch die Innenstadt getrieben. Die Interview erklärten Teilnehmer*innen, dass ihnen ihre Tradition sehr wichtig sei und sie sich nicht nehmen lassen wollen.
In Fulda wurde auch klar, wie sich Stereotype über *Schwarze Menschen in einer westlich weiß-dominierten Welt ausdrücken. Schwarze als Diener und Gefolgsleute weißer Herren sind jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Außerdem: Warum muss man überhaupt die deutsche Kolonialgeschichte zelebrieren? Deutsche Imperialist*Innen haben mindestens 65.000 Herero und Nama aus ehemaligen Deutsch-Südwestafrika ermordet. Zu Feiern gibt es gar nichts. Vor allem, weil Deutschland sich bis heute nicht offiziell entschuldigt hat.
Lasst das Geisha-Kostüm zu Hause
Da ist er, der bittere Beigeschmack. Die Themen Karneval und Verkleiden, Political Correctness und diesbezügliche Regelbrüche, sind emotional extrem aufgeladen. Zum einen, weil sich niemand etwas vorschreiben lassen will. Zum anderen, weil es viele weiße Menschen mit Debatten um rassistische Stereotypisierung und Grenzüberschreitungen nicht sehr eng sehen. „Es ist nicht so gemeint“, hört man dann oft, oder auch: „Satire darf alles“. Aber nein, das darf sie nicht! Nicht dann, wenn der Genozid von ganzen Völkern belacht wird. Nicht dann, wenn sie eine gesamte Nation in einem Geisha Kostüm zusammenfasst. Nicht, solange sie auch nur eine Person verletzt. Weil letztendlich doch alle das Recht haben, einen schönen Karneval zu verbringen – ob in Köln oder Rio de Janeiro.
Ethnizität, also die Hautfarbe oder andere Merkmale wie die Augenform oder Haarpracht, ist kein Kostüm. Das bedeutet, dass wir Verkleidungen als Mexikaner, „Indianer“, Scheich, Geisha oder Ägypter dieses Jahr zu Hause lassen sollten. Denn auch wenn die eigene Absicht unschuldig und friedfertig ist, kann es sehr gut sein, dass das gewählte Kostüm sich über jemanden lustig macht, eine weiße Vorherrschaft symbolisiert und respektlos mit den kulturellen Schöpfungen anderer Nationen umgeht. Lasst uns doch lieber auf das wirkliche Wichtige konzentrieren: Kamelle, Kölsch und Karnevalsumzug.
*Schwarz: Der Begriff beschreibt in diesem Fall nicht die Hautfarbe als Farbe, sondern ist als gesellschaftlich-soziales Konstrukt zu verstehen, in welchem Schwarze und Indigene People of Color Rassismus und Diskriminierung ausgesetzt sind.