Die Fairtrade-Bewegung hat das Schlafzimmer erreicht. Das war nur eine Frage der Zeit: Jeder Discounter bietet inzwischen „faire“ Schokolade an. Bei H&M gibt es nachhaltige Muskelshirts zu kaufen. Kein Wunder, dass nun auch die Sexbranche auf den Trichter kommt. Ethischer Porno heißt der Trend, der die kriselnde Industrie retten soll. Die Idee dahinter: Nur einvernehmliche Szenen, angemessene Bezahlung für alle Beteiligten, keine erniedrigende Praktiken – es sei denn, die Darsteller*innen wollen das ausdrücklich so.
Jahr für Jahr gründen sich neue, hippe Projekte, die Erotika mit Fairness-Bonus versprechen. Im Netz finden Artikel wie „So wirst du ein ethischer Pornokonsument in neun einfachen Schritten“. Und die Berliner SPD will vielfältige, feministische Pornos nun sogar staatlich fördern lassen.
Ohne es wirklich zu wollen, bin ich Teil dieser Bewegung.
Seit fünf Jahren mache ich selbst Schmuddelfilme. Für kommerzielle und unbezahlte Projekte, vor und hinter der Kamera, queer und hetero. Ich habe auf knarzenden Dachböden und in muffigen Kellern gedreht, klammheimlich auf dem Riesenrad und in einer Kirche, bei brütender Sommerhitze und draußen im Schnee bei fünfzehn Grad unter null. Als Teil des Filmkollektivs Meow Meow führe ich auch selbst Regie und verfilme eigene Fantasien. Dann entstehen meist völlig „unwichsbare“ Kunstfilme, die dann zum Beispiel auf dem Pornfilmfestival in Berlin laufen. Das bringt mir zwar Komplimente ein, aber keine Kohle. Meine Miete kann ich so nicht bestreiten. Deswegen sage ich auch ja zu kommerziellen Jobs, die ich eigentlich eher mittelokay finde. It’s called capitalism. Viele der Firmen, für die ich arbeite, bewerben ihre Clips mittlerweile als „ethisch“.
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Dabei gibt es keinerlei feste Kriterien, was das überhaupt bedeuten soll. Bei Fairtrade-Kaffee gibt es – bei aller berechtigten Kritik – immerhin zertifizierte Labels. Im Porno darf sich die Auszeichnung jeder eigenhändig auf die Website packen. Es ist, als würde man sich die Fahrt zum TÜV sparen und die Plakette gleich selbst aufs Auto pinseln.
Letztes Jahr warfen fünf Frauen dem spanischen Produzenten Nico Bertrand missbräuchliches Verhalten am Set vor – auch er hatte seine Pornos zuvor als „ethisch“ beworben.Auch bei Filmemacher*innen, die für ihr Team nur das Beste im Sinn haben, kann es Probleme am Set geben: Zu wenig Zeit, um vor dem Sex die eigenen Wünsche und Tabus abzusprechen. Crewmitglieder, die sich daneben benehmen und blöde Sprüche klopfen. Ganz zu schweigen von kippenden Lichtstativen, viel zu kalten Drehorten oder halbstarken Spannern, die sich heimlich aufs Set gemogelt haben. Alles schon erlebt. Als Darsteller*innen sind wir am Set nackt, exponiert, nicht selten verunsichert. Wir befinden uns in einer verletzlichen Position. Ab und zu gehen Dinge am Set schief, manchmal sogar gewaltig. Wer seine Produktionen „ethisch“ nennt, bedient sich einer hohlen Marketingphrase – und leugnet die realen Probleme, die beim Dreh entstehen können.
Ganz besonders ärgert mich aber die betonte Abgrenzung vom Mainstream.
Ausbeuter sind immer die anderen, lautet die Devise. So macht man es sich allzu leicht. Natürlich läuft im Mainstream-Porno so einiges falsch. Wenn in den Plots mal wieder Frauen „ausgetrickst“ und zum Sex gedrängt werden, wenn schwarze Männer ausschließlich als „big black cocks“ auftauchen, kommt mir das große Kotzen. Im Porno spiegeln sich stets gesellschaftliche Probleme und Machtverhältnisse – das schließt auch Rassismus und Sexismus mit ein. Respekt an alle, die hier starke Gegenbilder schaffen. Und dennoch: Wir dürfen die Bedingungen am Set nicht mit dem fertigen Clip auf unserem Monitor verwechseln. Selbst wenn die Darstellerin beim Deep Throat würgt und röchelt, als würde sie sich gleich auf dem Schwanz ihres Drehpartners erbrechen, heißt das noch lange nicht, dass die Produktion nicht einvernehmlich ablief. Auch nach „roughen“ oder sadomasochistischen Szenen sitzen die Beteiligten oft eine halbe Stunde später vergnügt in der Teeküche und erzählen sich gegenseitig Witze. Porno ist immer Performance, auch dann, wenn er sich als natürlich und authentisch bezeichnet. Ich habe Mainstream-Sets erlebt, an denen ich hervorragend behandelt wurde – und vermeintlich ethische Pornodrehs, bei denen einfach alles schief ging.
Die beiden Welten eint mehr, als sie trennt – von der unterschiedlichen Verpackung mal abgesehen. Anstatt uns selbst von vornherein als moralisch überlegen abzufeiern, sollten wir alternative Pornomacher*innen lieber versuchen, die eigenen Arbeitsbedingungen kritisch zu reflektieren.
Viele reagieren auf Pornografie mit widersprüchlichen Gefühlen.
Einer Mischung aus Kribbeln und Bauchschmerzen. Der ethische Porno setzt genau bei diesem Unbehagen an – und macht es zu seinem besten Verkaufsargument. Das ist typisch Kapitalismus: Jegliche Kritik schlucken und sie kurzerhand als neues Produkt präsentieren. Wie beim Starbucks-Fairtradekaffee und beim Biobaumwollshirt von H&M verspricht der ethische Porno einen schuldfreien Genuss: Du kannst weiterhin pornoskeptisch sein und die Klopapierrolle trotzdem getrost neben der Tastatur stehen lassen, so die Botschaft.
Das Distanzieren vom konventionellen Porno ist auch ein ästhetisches Manöver. Der Sex soll raus aus der viel beschworenen Schmuddelecke. Schluss mit stumpfem Reinraus, Silikontitten und Nonsens-Dialogen. Stattdessen: glückliche Paare in geräumigen Lofts, „natürliche“ Körper, ganz viel Knutschen. Die geschmackvolle Aufmachung spricht ganz neue Kundenkreise an, die Porno bisher immer zu Quietsch-Spritz-Schrei fanden. Er richtet sich an ein gebildetes und zahlkräftiges Publikum, das lieber bei Biocompany als bei Aldi einkaufen geht. Ein moralisch einwandfreies Leben muss man sich erst einmal leisten können.
Und, ganz nebenbei: Die Anti-Schmuddel-Rhetorik wertet die Darstellerinnen oft gleich mit ab.
Sie gelten dann schnell als „Pornobratzen“ oder „Tussis mit aufgespritzten Lippen“, die nicht richtig wissen, was sie wollen. Um es ganz klar zu sagen: This is slutshaming. Es sind meine Kolleginnen. Sie dürfen sich stylen, wie es ihnen passt. Sie dürfen so ficken, wie es ihnen passt. Ihr müsst das nicht heiß finden. Aber wertet sie nicht ab, nur weil ihr euch nicht vorstellen könnt, so zu sein wie sie. Wenn ich darüber nachdenke: Ich will überhaupt nicht raus aus der Schmuddelecke. Es ist ganz nett hier.