Der FC St. Pauli hat Duschgel, Seife und Creme mit dem Namen „Anti-Fa“ und dem Slogan „Die wilde Frische von der Straße“ auf den Markt gebracht. „In Zeiten, in denen Nazis auf ihren Demos ungehindert und unbehelligt rechtsextreme Parolen schreien dürfen und in denen geflüchtete Menschen bedroht und gejagt werden, ist es wichtiger denn je, Haltung zu zeigen“, heißt es im virtuellen Beipackzettel. „Für uns ist Antifaschismus gesellschaftlicher Konsens und nicht diskutierbar.“ Henkel, Hersteller des „Fa“-Duschgels, meckert und auch die AfD muss ihren Senf dazu geben. Der Verein solidarisiere sich mit einer „linksextremistischen Gruppierung“, jammerte der Bundestagsabgeordnete Martin Hess.
Anstatt sich darüber zu belustigen – oder aber der Angelegenheit nicht weitere Beachtung zu schenken –, ist das Anti-Fa-Duschgel nun offenbar auch ein Problem für Linke geworden. Und es dient als Vorlage für einen Rundumschlag gegen den – wer hätte das geahnt – doch nicht so antikapitalistischen Kiezklub. Dabei sollte es doch Anlass zur Freude sein, dass einer der bekanntesten deutschen Fußballvereine in seinem Fanshop-Sortiment Produkte führt, die mit linken Begrifflichkeiten und Werten spielen – wenn diese auch in einer eher peinlichen Aufmachung daherkommen. In der Regel betonen solche Fanartikel schließlich eher Heimat, Identität und andere Versatzstücke reaktionärer Ideologien. Mein Herzensklub etwa bietet einen Schal in schwarz-rot-gold an und empfiehlt Frauen die vereinseigene rosarote Blümchen-Kollektion.
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Politisierung funktioniert nicht nur auf der inhaltlichen Ebene
Ich bin kein Fan des FC St. Pauli. Auch habe ich nicht sonderlich viele Berührungspunkte mit dem Verein. Zwar habe ich einige Freunde, die Fans sind, aber im Grunde ist der „etwas andere Verein“ immer durch mein persönliches Off gerauscht. Anfang September war ich dann doch einmal wieder am Millerntor, dem Stadion des Klubs. In den Räumen des FC St. Pauli-Museums wurde die Ausstellung „fan.tastic females“ eröffnet, die in beeindruckender Weise die Geschichten weiblicher Fußballfans erzählt – und an der auch einige St. Pauli-Anhängerinnen mitgewirkt haben. Einige Jahre nachdem ich das letzte Mal vor Ort war und einige Jahre, in denen ich viele andere Fußballstadien gesehen habe, später, geriet ich – zu meiner eigenen Überraschung – ins Staunen. Tausende linke Sticker allerorts, antirassistische und antisexistische Graffiti an den Wänden des Stadions, die dort offensichtlich mit Erlaubnis des Vereins gemalt wurden, und viele Genoss_innen, die ganz selbstverständlich ihren Nachmittag vor Ort verbrachten: Auf den ersten Blick mehr Ausdruck linker Kultur als in so mancher Szene-Hochburg.
Man muss ja nicht gleich St. Pauli-Fan werden, geschweige denn, die Fanartikel des Vereins kaufen. Aber wenn junge (und alte) Anhänger von der Produktpalette ihres Lieblingsvereins unterstützt, einen positiven Bezug zu antifaschistischer Kritik und Praxis entwickeln, wäre damit doch einiges gewonnen. Machen wir uns nichts vor: Genauso funktioniert häufig Politisierung. Ob Musikgruppe oder Fußballverein: Sie schaffen ein Identifikationsangebot, das die Leute nicht nur auf einer inhaltlichen, sondern auch auf einer affektiven Ebene abholt.
Dabei kann es selbstverständlich nicht bleiben. Das alberne Duschgel steht schließlich nicht für sich, sondern ist Symbol linker Politik beim FC St. Pauli. Wie wohl bei kaum einem anderen Klub sind die Fans dort seit Jahrzehnten antifaschistisch engagiert. In der Südkurve finden sich bei fast jedem Spiel politische Botschaften, manchmal in Form von eindrucksvollen Choreographien mit dezidiert linken Inhalten. Hin und wieder organisieren die Ultras Demonstrationen, die direkt nach Spielende am Stadion losgehen.
Wo gibt es sonst ein „Kein Fußball den Faschisten“-Graffiti?
Klar, der FC St. Pauli ist ein globales Unternehmen, das sehr gut weiß, wie sich internationale Bekanntheit in bare Münze umwandeln lässt. Der Verein macht einiges falsch, windige Werbepartner und ein Trump-Anhänger als Trikot-Ausrüster sind nur zwei Beispiele unter vielen. Aber der Verein macht auch vergleichsweise viel richtig. In welchem Stadion gibt es sonst ein riesiges „Kein Fußball den Faschisten“-Graffiti? Wo gibt es die Möglichkeit, in den Räumen eines Bundesliga-Teams während der G20-Proteste ein alternatives Medienzentrum und Schlafplätze für linke Gipfelgegner_innen einzurichten?
Ein Dankeschön muss es nicht gleich sein. Aber dem Klub gebührt Anerkennung dafür, dass er sich in politische Auseinandersetzungen einmischt und seine Anhänger_innen nicht alleine lässt. Kürzlich wurden hunderte St. Pauli-Fans beim Auswärtsspiel in Bielefeld aus fadenscheinigen Gründen von der Polizei stundenlang eingekesselt. Anstelle einer Pauschalentlastung der Polizeikräfte, wie sie bei anderen Vereine oft gang und gäbe ist, kritisierte der FC St. Pauli diese mit deutlichen Worten. Und auch das eigene Handeln wird reflektiert. Ein Beispiel: Anfang des Jahres veröffentlichte der Klub eine Broschüre, in der Regeln gegen sexistische Werbung im Stadion verfasst sind.
Ein durchweg antikapitalistischer Fußballverein wird sich im bezahlten Fußball nicht finden lassen. Aber man kann sich dennoch entscheiden, welches Image man vermarkten möchte. Wenn das linke Image des FC St. Pauli auch eine linke Praxis ermöglicht – umso besser. Das immunisiert den Verein natürlich nicht gegen Kritik, aber die muss ja nicht gleich spöttisch werden. Dass ein Duschgel nicht den Protest gegen Nazis ersetzt, ist doch keine Frage – aber wer behauptet denn so einen Unsinn?