Die Feiertage sind vorüber, das Festmahl überstanden. Für die meisten, die nicht arbeiten mussten und christlich sozialisiert sind, heißt Weihnachten drei Tage lang durchfressen. Kartoffelsalat mit Würstchen, Raclette mit doppelt Käse im Pfännchen, zwischendurch Vanillekipferl und Kaffee, abends Feuerzangenbowle in den Schlund hineinkippen und Schokoweihnachtsmänner köpfen wie Guillotines.
Eines ist dabei so klar wie das Amen in der Kirche: Das eigene Essverhalten bleibt nicht unkommentiert. Der dicke Onkel reibt sich ordentlich gesättigt wohlwollend über den Bauch, aber kritisiert, dass irgendwer ja so dick geworden sei. Die spargeltarzandünne Tante mahnt, dass sie im neuen Jahr unbedingt mehr Sport machen müsse, obwohl die Feiertage für alle, die unvergütet den Haushalt schmeißen, zu den arbeits- und bewegungsintensivsten des Jahres zählen. Abnehmen, so findet sie, muss sie trotzdem.
Irgendwann winkt die körpernormierende Realitätsklatsche
Statt sich dem hedonistischen Völlegefühl wie fette Römer in Zeiten der Bacchanalien hinzugeben, winkt auch in den harmonischsten Familien irgendwann die Realitätsklatsche – und zwar nicht nur die realpolitische, sondern auch die körpernormierende. Bevorzugt, wenn man sich auf dem Sofa fläzend mit allerletzter Kraft gerade über den vollgefressenen Bauch reibt und liebevoll über das Raclettebaby im Bauch streichelt.
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Es nervt! Alle Körper sind perfekt und Essen ist geil. Weshalb sollen wir uns also mäßigen, wenn wir genug zum Futtern und Appetit haben? Die brunftige Neandertalerin in mir will schließlich für schlechte Zeiten vorsorgen und das Bauchfett ansammeln. Dass der Kilmawandel die nächste Eiszeit erst einmal auf Eis legt, kann sie ja nicht wissen. Ist auch egal, denn alle sollen soviel fressen dürfen, wie sie Bock haben. Nicht nur über die Feiertage kann ich mir den Magen vollstopfen, wie es mir beleibt. Das sollte ein universales Credo sein.
Genuss ist Teil des Lebens
Denn Körper brauchen Ernährung, um zu funktionieren. Und außerdem macht Essen Spaß, denn es schmeckt gut. Genuss ist Teil des Lebens. Aber, obacht! Nach der Fressparty schleicht sich das schlechte Gewissen ein wie der fiese Montagskater nach einem durchgeraveten Wochenende. Das passiert sogar vielen noch so kritischen Feministinnen, denn auch sie sind nicht frei von gesellschaftlichen Konventionen. Laut einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung empfindet sich fast die Hälfte der Mädchen im Alter von fünfzehn Jahren als zu dick, obwohl sie Normalgewicht haben. Bei den Jungen sind es ein Fünftel. Fast die Hälfte der Mädchen haben in diesem Alter bereits Diäten gemacht.
Dieser Habitus hört auch mit dem Wissen über die gesellschaftlichen Unterdrückungsmechanismen, die ihn ermöglichen, nicht auf. Sprich: Auch bei noch so heftigen badass Feministinnen ist das Essverhalten nicht unbefreit – und ihnen soll dafür keine Schuld zugeschoben werden – von Schuldgefühlen. Man kann sie nicht einfach abstreifen wie die zu eng gewordenen Jeans, die man nach ordentlichem Reinscheppern der Weihnachtsgans braucht. Praktischerweise kann man sich direkt ein neues paar Jeans vom an Heiligabend geschenkten Klamottengutscheinen kaufen. Die Klamottenläden wird es freuen.
Scheißt auf Neujahrvorsätze
Nach Weihnachten erscheint noch ein weiteres, alljährliches Unheil des Jahresendbodyshamings am bedeckten Firmanent der deutschen Gesellschaft: Gute Vorsätze. Ich werde nach Silvester mehr Sport machen. Mich im Fitnessstudio anmelden. Mindestens zwei Mal in der Woche hingehen. 10,6 Millionen Menschen sind in Fitnessstudios angemeldet, eine Rekordzahl. Damit ist pumpen noch vor Fußball der beliebteste Sport der Deutschen. Eine Frage an Sie, liebe*r Leser*in: Wenn Sie Mitglied in einem Fitnessstudio sind, wann waren Sie das letzte Mal da? Auch die Autorin dieses Artikels ist bereits in die Fitnessfalle getappt und hat ein Jahr lang jeden Monat 20 Euro an eine Muckibude überwiesen, die sie nur zweimal betrat: Zur Anmeldung und zur Einreichung der Kündigung. Das Geld wäre woanders gut aufgehoben gewesen, zum Beispiel bei einer lokalen feministischen Gruppe.
Scheißt auf die Vorsätze! Wir sollten alle lieber mal öfter ausschlafen, uns von dem Selbstoptimierungszwang des eigenen Körpers befreien und uns so richtig gönnen. So viel Essen, wie man will. Sport nur, wenn man Bock hat. Für weniger Bodyshaming und mehr Zufriedenheit und Glück. Weil wir es uns wert sind.