Es ist noch nicht lange her, da war der gesellschaftliche Coolnessfaktor von Feminismus ungefähr auf einem Level mit langen Wollunterhosen und festen Zahnspangen. Inzwischen steht auf jedem zweiten H&M-Shirt, Taschenkalender oder Schminktäschchen irgendwas mit „girl power“, Gillette macht Anti-Macho-Werbung und Lidl wirbt mit dem Spruch: „Werde Verkaufsleiterin und verdiene garantiert so viel wie deine männlichen Kollegen“. Ist der Geist des Feminismus plötzlich in alle PR-Abteilungsleiter*innen gefahren? Wahrscheinlich war es eher so: Feminist*innen haben hart gehusslet, so wie sie es schon seit Jahrzehnten und Jahrhunderten tun. Irgendwann dachten sich ein paar große Unternehmen: Guck mal an, die Bewegung wird so groß – warum nutzen wir das nicht einfach für uns und machen einen neuen Markt daraus?
Jetzt könnte man sagen: Na und? Hört doch mal auf zu nörgeln, ihr humorlosen Feminist*innen, ihr dürft wählen, ohne die Erlaubnis eurer Ehemänner einen Job annehmen und euch sogar ein bisschen über Schwangerschaftsabbrüche informieren! Und jetzt steht auch noch auf jedem dritten Werbeplakat „Girls can do anything“ – was wollt ihr denn noch?!
Einiges. Zum Beispiel, dass die Arbeiter*innen, die das „Feminism“-Shirt genäht haben, nicht länger ausgebeutet werden. Sieben Gründe, warum der Kapitalismus noch nie auf unserer Seite war – und warum wir als Feminist*innen auch nicht auf seiner sein können.
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1. Weil es um die Befreiung ALLER Frauen* geht
Feminismus bedeutet, gegen Unterdrückung und für Frauen*befreiung zu kämpfen. Das heißt per Definition: Für die Befreiung ALLER Frauen*. Es heißt, nicht nur mehr Frauen in Führungspositionen zu fordern, sondern auch Solidarität mit der Migrantin, die für wenig Geld und ohne Arbeitsrechte auf das Kind der deutschen Managerin aufpasst.
Ein Feminismus, der nur die Situation von weißen, wohlhabenden Hetero-Cisfrauen verbessern will, ist eigentlich gar kein Feminismus – sondern eher so etwas wie Lobbyarbeit. Ein Kollektiv von Schwarzen Feminist*innen aus den USA, das Combahee River Collective, hat das den weißen Mittelschichtsfeminist*innen schon 1977 in diesem Statement um die Ohren gehauen. Und sie haben klar gemacht: „Wir verstehen, dass es für die Befreiung aller Unterdrückten notwendig ist, sowohl das politisch-ökonomische System des Kapitalismus zu zerstören, als auch Imperialismus und Patriarchat“.
2. Weil Frauen*, die sich schön so finden, wie sie sind, den Umsätzen schaden
Nichts ist gefährlicher für den Kapitalismus, als selbstbestimmte, emanzipierte Frauen*. Womit sollte beispielsweise die gigantische Beauty-, Fitness- und Diätindustrie ihr Geld verdienen, wenn Frauen* plötzlich denken würden, dass sie schön sind, einfach so wie sie sind? Allein mit Schminkprodukten wurden im Jahr 2018 in Deutschland mehr als 1,8 Milliarden Euro umgesetzt, Tendenz steigend. Die feministische Bloggerin und Autorin Laurie Penny schreibt dazu: „Wenn alle Frauen auf der Welt morgen aufwachten und sich wirklich gut und mächtig in ihren Körpern fühlten, würde die Weltwirtschaft über Nacht zusammenbrechen“.
3. Weil Unternehmen Profit damit machen, wenn sie Frauen* weniger bezahlen
Frauen* verdienen im Durchschnitt in Deutschland immer noch 21% weniger als Männer, je älter sie sind und je höher ihre Position, desto größer der Unterschied. Was das über den Lauf eines Lebens hinweg bedeutet, zeigt sich bei der Rente: Da kriegen Frauen* dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zufolge 53% weniger als Männer.
Ein Unternehmen kann im Kapitalismus nur bestehen, wenn es seine Profite steigert. Da kommt es natürlich gelegen, wenn es die Hälfte der Belegschaft schlechter bezahlen kann und sich niemand beschwert. Und wenn es Leute gibt, die bereit sind, für wenig Geld als Krankenpflegerin oder Erzieherin zu arbeiten. Diese Leute sind meistens Frauen, weil wir von klein auf lernen, dass wir dafür gemacht sind, uns um andere Menschen zu kümmern – einfach weil wir Frauen* sind. Frauen* kommen seltener als Männer auf die Idee, zu sagen: „Nee, für so wenig Geld mach ich das nicht!“. Auch das hat mit Erziehung zu tun und ist für die Profitrate der Unternehmen ziemlich nützlich. In den fünf bestbezahlten Branchen arbeiten übrigens jeweils 70% Männer.
4. …und wenn Frauen* sich unbezahlt um Kinder und Haushalt kümmern
Firmen sind darauf angewiesen, dass ihre Angestellten jeden Tag ausgeruht und wohl genährt zur Arbeit erscheinen. Außerdem sollen die Arbeiter*innen Kinder in die Welt setzen, damit es in 20 Jahren immer noch genug Leute gibt, die arbeiten gehen. Kein Unternehmen könnte weiter bestehen, wenn sich nicht jemand darum kümmern würde, dass bei den Angestellten abends das Essen auf dem Tisch steht und sich tagsüber jemand um deren Kinder kümmert – und das alles am besten freiwillig, unbezahlt und „aus Liebe“. Praktisch, dass die Hälfte der Gesellschaft so erzogen wird, dass sie sich für diese ganze Extraarbeit wie selbstverständlich verantwortlich fühlt. Eine Studie des DIW hat gezeigt, dass Frauen in Hetero-Paarhaushalten im Durchschnitt drei Stunden mehr am Tag mit Hausarbeit und Kinderbetreuung verbringen – und das, wenn beide in Vollzeit arbeiten.
5. Weil Privateigentum von Anfang an auch bedeutete, dass Frauen* den Männern gehörten
Ohne die Unterdrückung von Frauen* hätte der Kapitalismus wahrscheinlich gar nicht erst entstehen können. Damit es Kapitalismus geben kann, muss es Privateigentum geben. Und laut Friedrich Engels (Homie von Marx) fing das mit dem Privateigentum und der Unterdrückung von Frauen* gleichzeitig an. Die Männer wollten nämlich das Eigentum in der männlichen Linie weitervererben. Dazu mussten sie sich aber erst mal ganz sicher sein, welche der Kinder überhaupt „ihre eigenen“ waren. Das war der Moment, in dem die heterosexuelle Monogamie entstand: Um über die Erbfolge des Eigentums bestimmen zu können, erklärten Männer die Frauen* gleich auch zu ihrem Eigentum.
6. Weil der Kapitalismus sich nur entwickeln konnte, weil vorher massenhaft widerständige Frauen umgebracht wurden
Bevor das mit dem Industriekapitalismus im 18. Jahrhundert so richtig losging, wurden zum Beispiel in England erst einmal Ländereien eingezäunt und privatisiert, die vorher für alle zugänglich waren. Vor allem Frauen* hatten dort vorher Fallobst und Feuerholz gesammelt und ihre Tiere geweidet. Deshalb waren es auch viele Frauen*, die gegen die Einzäunungen Widerstand leisteten. Die feministische Theoretikerin Silvia Federici geht davon aus, dass dieser Widerstand gebrochen werden musste, damit das mit der kapitalistischen Produktion überhaupt funktionieren konnte: Im 16. und 17. Jahrhundert wurden Frauen, die aus der Reihe tanzten einfach auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Das ganze war auch ein lukratives Geschäft: Die Frauen, die als „Hexen“ angeklagt waren, mussten Anwälte bezahlen – das waren grundsätzlich Männer. Und nachdem man sie verbrannt hatte, wurde ihr ganzer Besitz konfisziert.
7. …und weil Europa den globalen Süden kolonisiert und ausgebeutet hat – und es immernoch tut
Damit Geld sich vermehren kann, braucht man erst einmal Startkapital. Das besorgte sich Europa vor allem dadurch, dass es andere Länder kolonisierte und ausbeutete. Und auch in den Kolonien verfolgten laut Federici weiße Missionare Frauen* als Hexen, um sie einzuschüchtern und ihren Widerstand gegen die Kolonisatoren in Schach zu halten. Unter den unzähligen Indigenen, die umgebracht wurden oder gezwungen wurden, sich beispielsweise in den Silberminen Südamerikas todzuarbeiten, waren natürlich auch Frauen. Unter den Menschen, die als Sklav*innen verkauft und misshandelt wurden, waren Frauen. Zum Teil wurden sie gezwungen, sich fort zu pflanzen, und zwar mit ganz bestimmten versklavten Männern, um den Plantagenbesitzer*innen möglichst starken Nachwuchs an Arbeitskräften zu liefern. Die Sklaverei war aber nicht nur für europäische Plantagenbesitzer*innen in der Karibik und im Süden der USA ein lukratives Geschäft. Auch deutsche Firmen waren am Sklav*innenenhandel beteiligt.
Auch jetzt noch nähen Frauen* im globalen Süden unter unmenschlichen Bedingungen und für miese Bezahlung die Klamotten für Frauen* in den reichen Industrienationen und große Konzerne profitieren davon. Dass auf dem ein- oder anderen T-Shirt „Feminism“ steht, ändert genau gar nichts an den Lebensbedingungen der Frau*, die es genäht hat. Oder der, die es bei H&M verkauft.
Wir können es feiern, dass Feminismus so eine mächtige Bewegung geworden ist, dass selbst die großen Firmen sie nicht mehr ignorieren können. Aber wir können nicht aufhören, gegen kapitalistische Ausbeutung zu kämpfen. Sonst ist es kein Feminismus.