Feminismus ist im Mainstream angekommen. Allerdings nur der naive, süße, manchmal etwas freche Feminismus. Dabei sind Militanz und Aggression etwas, von dem vor allem Flint*s (Frauen, Lesben, Trans- und Inter-Menschen) viel mehr profitieren sollten und müssen.
Vermummte Gestalten, Baseballschläger und ganz viel Pyro: am 27. Februar tauchte im Netz ein feministisches Video auf, das offen zu verschiedenen legalen und weniger legalen Aktionen gegen Staat und Patriarchat motivieren will. Damit wird die Mobilisierungsphase zum 8. März radikal eröffnet. Und jährlich grüßt die Frage, wie militant darf und muss Feminismus sein? Und was bedeutet eigentlich militant? Alles und nichts. Oft wird der Begriff als Synonym für „gewaltbereit“ verwendet. Es geht dabei aber auch um eine Attitüde. Wie radikal, wie wütend, wie kompromisslos und auch mackerhaft darf Feminismus auftreten? Es gibt gute Argumente für einen flauschigen Wohlfühlfeminismus, aber auch viele für aggressiven Wutfeminismus, die viel zu oft übersehen werden.
1. Der Mainstream-Feminismus hat uns verraten
Wir sehen sie immer wieder: Dior T-Shirts mit dem Aufdruck „Sisterhood Global“, pinke Handyhüllen, auf denen in bunten Lettern „Girl Boss“ prangt, oder eingerahmte Plakate mit einem Porträt von Frida Kahlo, wahlweise im Vintagestyle. Feminismus ist endlich im Mainstream angekommen. Zumindest in Form von Slogans. Und das können wir feiern. Popkultur ist der Türsteher zur Meinungsbildung der politischen „Mitte“ und Mehrheit. Die Frage ist nur, was hinter dem Eingang überhaupt noch übrig bleibt.
Migrantinnen, obdachlose Frauen, Trans-Frauen, die müssen nach wie vor draußen bleiben. Feminismus heißt hier Ellenbogenpolitik. Und plötzlich geht es nur noch darum, wie viele Frauen in Vorständen irgendwelcher Upper-Class-Unternehmen sitzen, ohne zu reflektieren, wie die zwei, drei Ausnahmen überhaupt dort hin gekommen sind oder welche anderen Privilegien sie dafür ausspielen konnten. Die Welt wird sich nicht verändern, weil die Bundeskanzlerin eine Frau ist, solange sie die gleiche Politik macht, wie die Männer vor ihr. Dieser Feminismus ist für Frauen mit Geld und guter Bildung gedacht. Es geht aber nicht nur um Pay Gaps, es geht auch um die fehlende Möglichkeit, abzutreiben, wenn keine 450 Euro auf dem Konto übrig sind. Es geht nicht nur um das Recht von cis-Frauen, kurze Röcke zu tragen, sondern auch darum, dass Trans-Frauen täglich unter misogyner Gewalt leiden. Es geht nicht nur um die Stigmatisierung der Menstruation, sondern auch um die Menschen, die immer wieder mit dem Kopf gegen bestehende Geschlechternormen rennen.
Feministische Träume, wie „Radikal Softness“ (dt. radikale Sanftheit) und eine tatsächlich gleichberechtigte Gesellschaft werden nie von H&M oder der CDU erdacht werden. Sie kommen von den Betroffenen. Und denen wird nur zugehört, wenn sie sich dieses Gehör auch verschaffen. Der harmonische Konsumfeminismus kann zwar erleichtern, den ersten Satz zu sprechen, er kann aber nicht garantieren, dass er auch ernst genommen wird. Dafür braucht es Nachdruck und Standhaftigkeit. Denn es geht nicht darum, einen Kompromiss auszuhandeln. Es geht darum, Unrecht zu verhindern. Komplett.
2. Die Selbstgespräche der Cis-Männer
Klar, Radikalität und Militanz sollen verunsichernd wirken. In diesem Fall vor allem für Cis-Männer. Die sind leider wichtige Verbündete. Aber inwieweit ist es realistisch, dass sich Cis-Männer mit Feminismus auseinandersetzen, wenn ihnen mit regelmäßiger Wucht entgegengeschleudert wird, warum sie wieder versagt haben? Außerdem liegt das Auftreten militanter Feminist*innen oft gefährlich nah an genau dem Mackerverhalten, der pauschalen Härte, den niederschmetternden Kommentaren, die oft als toxische Männlichkeit kritisiert werden. Diese Aspekte müssen reflektiert und bedacht werden.
Es wird aber vergessen, dass dem Mackertum oft nur mit Mackertum begegnet werden kann. So platt das auch klingen mag. Klar, weiblich konnotierte Eigenschaften sollten positiver besetzt werden, aber es darf sich die Freiheit herausgenommen werden, sie strategisch anzuwenden. Wenn ein Cis-Mann eine Frau oder queere Person partout nicht ernst nimmt, ihr ins Wort fällt, oder monologisiert, kann sie zwar versuchen, freundlich anzumerken, dass sie doch auch Ahnung von dem habe, wovon sie rede, aber in der Regel bekommt sie erst Gehör, wenn sie sich breitbeinig aufgebaut hat und eine Ansage macht. Das ist traurig, diese Kultur haben aber nicht Flint*s verursacht. Frauen und Queers mussten lange genug nett sein und das hat dazu geführt, dass Cis-Männer ihre Verantwortung einfach nicht wahrgenommen haben. Das zeigt beispielsweise ein Blick auf die Pornoindustrie. Jetzt, wo auch Frauen und Queers als Interessierte entdeckt werden, hat sich zaghaft eine ethische Pornoindustrie formiert. Plötzlich gibt es dort Standards für Schutz vor Geschlechtskrankheiten, für Konsens. Da stellt sich die Frage, was die Cis-Männer eigentlich in den letzten Hundert Jahren getrieben haben? Als ob sie nicht gewusst hätten, dass es problematische Aspekte in der Pornoindustrie gebe.
Veränderung kommt nie freiwillig. Sie verunsichert und ja, ist auch schmerzhaft, denn wer gibt schon gerne Privilegien ab? Deshalb reicht es leider nicht, einfach nur nett die eigene Lage zu erklären. Denn dann wird das System einfach nur soweit angepasst, bis man sagen kann, man hätte ja was versucht, wie es unter linken „Feministen“ gerne der Fall ist. Da wird der Freundin dann eben gewaltfrei kommuniziert, warum es jetzt doof ist, wenn sie nicht mit ihrem Freund schläft, oder dass sie doch bitte nicht so viel Raum einnehmen soll, wenn sie in der Politgruppe mackerhaftes Redeverhalten kritisiert. Widerstand hat immer bedeutet, unbequem zu sein. Und sich nett unterhalten, ist leider nicht unbequem genug.
3. Neue Zugänge, aber nicht für alle
Radikalität ist eine Zugangshürde. Gerade für Menschen, für die der Feminismus besonders einstehen sollte. Eine schüchterne Person, die sich nicht traut, einem Typen die Meinung zu geigen, wenn er einen sexistischen Witz macht, wird sich vermutlich nicht besonders wohl dabei fühlen, einer Gruppe vermummter Gestalten gegenüberzustehen, die im Rauch der Pyrotechnik feministische Slogans an Hauswände sprühen. Genau diese Menschen sollten aber unterstützt werden, sich den Raum zu nehmen, der ihnen zusteht. Allerdings gibt es auch Weniges, das so viel Selbstbewusstsein gibt, wie selbst mal die Person zu sein, die breitbeinig in der U-Bahn sitzt oder einen Banner drop zu planen. Wenn die unsicheren Menschen darin unterstützt werden, Tabus zu brechen, wenn ihnen danach ist, dann finden sie sich vielleicht auch eher im Alltag in der Position wieder, randalieren zu dürfen.
Es wird aber auch schnell vergessen, wie unterschiedlich die Konsequenzen bei einem solchen Verhalten aussehen. Ob sich nun eine weiße Feministin der Oberschicht an einem Gleis festkettet, oder eine von Klassismus betroffene Trans-Feministin, ist nicht das gleiche. Erstere muss vielleicht mit einer Strafzahlung rechnen, die diverse Verwandte zusammenwerfen, letztere eher damit, wochenlang mit einem Haufen Männer in einem Gefängnis festzustecken, wenn sie sich die Zahlung nicht leisten kann. Das muss berücksichtigt werden.
Gleichzeitig öffnet Radikalität aber Perspektiven, die sonst keiner gehört hätte. Nur, wer sich wehrt, wird gehört. Das war schon zu Zeiten von Stonewall der Fall, einem Aufstand gegen Polizist*innen, aus dem die spätere Pride Parade entstanden ist. Die Radikalsten sind oft die, die am meisten zu verlieren haben. Genau deshalb.
4. Reform oder Revolution
Eine Freundin erzählte neulich von einer Konferenz, an deren Ende sich eine gelähmte Person meldete und meinte: „Es ist ja schön, dass ihr alle von der Abschaffung des Kapitalismus redet, aber Reformen bedeuten für mich, ob ich morgen eine Person habe, die mir hilft, aufs Klo zu gehen, oder ob ich in meiner eigenen Pisse aufwache“. Radikalität ist schön und gut, aber Leid darf nicht einfach als Kollateralschaden akzeptiert werden.
Aber es darf auch nicht passieren, dass Kompromisse als Lösung anerkannt werden. Zu fragen „Brauchen wir noch Feminismus?“, nur weil Frauen jetzt wählen dürfen und im Parlament sitzen, ist absurd. Wir brauchen Feminismus, bis es keine Hierarchien mehr gibt, egal, ob auf Basis von Sexismus, Rassismus, oder anderen Machtstrukturen. Das heißt, der Feminismus arbeitet auf eine Utopie hin, in der unsere Gesellschaft an ihrer Wurzel gepackt wird und alles anders werden muss. Dafür reichen Reformen nicht aus.
5. Es lebe die Emotion!
Feminist*innen wurde schon immer übermäßige Emotionalität vorgeworfen. In einer Kultur, in der Rationalität als das Gut männlicher Expertise gehyped wird, kein Wunder. Spannend ist, wie unterschiedlich Emotionalität gewertet wird. Männer können zum Beispiel vollkommen rational wütend sein. Frauen nicht. Frauen und Queers sind nicht wütend. Sie sind beleidigt oder zickig. Klar entsteht dabei der Wunsch, immer wieder unter Beweis zu stellen, dass Flint*s doch auch objektiv und rational urteilen können. Dabei beginnt der feministische Kampf schon hier.
Durch das Absprechen nachvollziehbarer Aggression, wird für Frauen und Queers eine enorme Energiequelle unzugänglich. Erst, wer wütend ist, kann Unrecht anerkennen und sich Raum aneignen. Wenn eine Person nur verunsichert und traurig oder verängstigt ist, wenn ihr Menschen im Internet sagen, sie müsste nur einmal vergewaltigt werden, fällt es schwer, zu reagieren. Deshalb ist es wichtig, Wut spüren und zeigen zu dürfen. Nettsein ist ein Privileg derer, die auch so bekommen, was ihnen zusteht.
Letztenendes brauchen wir eben beides. Den mitfühlenden Kuschelfeminismus und den knallharten Mackerfeminismus. Sie können nicht ohneeinander, sind ineinander verwoben und verschmolzen. Während Militanz und Aggression die Grenzen des Denkbaren verschieben und Raum freiboxen, um sich selbst mit den eigenen Fähigkeiten zu überraschen, muss Empathie und Kommunikation diese Sprache für andere übersetzen, Zuflucht bieten und Platz für Scheitern und Unsicherheit geben. Genau das ist eine der Stärken des 8. März. Hier vereinen sich verschiedene feministische Strategien und Kämpfe. Ein Grund zum Feiern, ob nun militant oder nicht.