Dieser Artikel erschien im September 2018. Angesichts neuer Vorwürfe gegen den Rapper Gzuz distanziert sich die Autorin von dem Text.
Wie kann ich als Feministin bloß Gzuz feiern? Der 29-jährige von der Hamburger 187 Strassenbande ist derzeit einer der erfolgreichsten Indie-Stars der Hansestadt. Indie as in independent: Damit ist ganz im wörtlichen Sinn die Vertriebsform gemeint – die ist bei der 187 Strassenbande strikt unabhängig von großen Plattenfirmen. Das ist kein Zufall, schließlich verdient man so am meisten. Die „Zeit“ nennt Gzuz „Hart an der Grenze“, er lebt ein Gangsterleben und redet außer mit dem Playboy nicht mit der Presse. Das ist okay, denn das ist sein Leben, seine Realität.
Einige seiner Texte sind offensichtlich frauenfeindlich. Das macht ihn umstritten und sicherlich nicht zu einer Galionsfigur für eine linke politische Bewegung, dessen Konterfei auf T-Shirts prangen könnte. Gzuz selbst rappt mittlerweile selbstbewusst darüber, dass er mit der Gangsterschiene Plata machen kann. Wenn man genauer auf das Werk des Hamburger Künstlers schaut, der unter der Armutsgrenze als Sohn einer alleinerziehenden Mutter aufwuchs, finden sich aber durchaus conscious Lyrics, die an klassenkämpferische Parolen anknüpfen.
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Gzuz vermittelt, dass man mit Hilfe des Staates nicht aus der Armut herauskommt und Geld zu praktischer Solidarität mit denen, die keines haben, verpflichtet.
2014 textete er auf dem Track „Guck mich um“: „Alle drücken ab, aber was kommt zurück? Fünf Euro Nachtschicht, ich mach da nicht mit!“. 2015 rappte er beim Song „Wir sind das Volk“: „Digga wer muss sich wo integrieren Euer Regelwerk ist nicht das Vorbild von mir“. Auch auf seinem jüngsten Album ist Freundschaft eines der zentralen Themen – die bei ihm über rassifizierte Differenzen hinausgeht, was in akademischen Kreisen oft nicht der Fall ist. Er vermittelt, dass man mit Hilfe des Staates nicht aus der Armut herauskommt und Geld zu praktischer Solidarität mit denen, die keines haben, verpflichtet. Sehr noble Gesten. Auf dem neuen Album „Wolke 7“ singt er neben Freundschaft auch über Drogensucht sowie Depressionen – und verbalisiert mit der Zeile „bis dass der Tod uns scheidet, schieb ich Hass auf die Polizei“ auch Anknüpfungspunkte für linke Diskurse.
Dabei bedient er sich der Sprache einer Realität, der Privilegien und Zugänge zu Kapital verweigert werden. Angesichts der sozialen Verhältnisse ist der „Bengel aus St. Pauli“, wie er sich selbst nennt, ein Wunderkind. Er hat den Aufstieg aus der Armut geschafft. Fast jedes dritte Kind in Deutschland ist zeitweise von Armut betroffen. Demnach lebt rund 21 Prozent der Bevölkerung über einen Zeitraum von fünf Jahren in Armut, sprich: dauerhaft. Sie ist der Normalzustand, der vererbt wird. Arme haben geringere Chancen auf einen Bildungsabschluss und einen Ausbruch aus der Spirale. Währenddessen sitzt Mittelschichts-Marie auf dem Sofa in ihrer Eigentumswohnung und hackt ins Internet, dass der Junge ja total problematisch sei. Sicherlich: Er ist es. Und es ist kein Zufall, dass er von der teils klassenbewussten Schiene auf lukrativen Gangster-Rap umgesattelt ist. Geld ist geil, weil sich mit ihm die Armutsspirale durchbrechen lässt. Wem will man das vorwerfen? Und das im Jahr 2018, in dem Feminismus zu einer veritablen Marke geworden ist, mit der man nun mal einfacher Klamotten verkauft, als die Gesellschaft zu verändern.
Dass Gzuz auch innerhalb feministischer Zirkel als „Assi“ abgetan wird, liegt auf der Hand. Schon zu Beginn der Bewegung, mit dem Kampf um das Wahlrecht in der Weimarer Republik, war sie dominiert von der bürgerlichen Mittelschicht. Natürlich kann sich eine Person, die mit Carport und Zahnzusatzversicherung in einem Eigenheim aufgewachsen ist, nicht vorstellen, wie derbe es bockt, wenn man nach einer Kindheit, geprägt von „Nudeln mit Resten“ (Zitat aus dem Gzuz-Song „Knöcheltief“) jeden Tag ein neues paar Sneaker von Nike zugeschickt bekommt und sich just for fun einen Golf-Caddy kauft, um damit auf Festivals sinnlos durch die Gegend zu heizen.
Sicher: Gzuz hat sexistische Lyrics. Es gibt Gerüchte, dass er übergriffig war. Im Sinne des Staates verurteilter Gewalttäter ist er auch. Deshalb ist er ein problematischer Favorit. Aber: nicht sein gesamtes Werk ist schlecht. Die selektive Betrachtung, die nur auf den Gangsterpart fokussiert, zeigt, dass seine Kunst nicht mit dem gleichen Respekt behandelt wird wie die anderer Kulturschaffender. Dann muss man sich auch nicht wundern, dass der Künstler die bürgerliche Mitte, die ihn sein ganzes Leben lang mit Füßen getreten hat und der er sich nun, dank des eigenen Aufstiegs, öffentlichkeitswirksam entgegenstellt, verachtet. Die abwehrende Haltung gegenüber Straßenrap in linksintellektuellen Kreisen und die umgehende Assoziation damit, dass Rap ja „total sexistisch“ oder „absolut diskriminierend“ sei, zeigt eins: offensichtlichen Klassismus – und auch Rassismus. Denn das Genre ist schließlich von Schwarzen Menschen geschaffen worden. Gzuz‘ Freundeskreis, die 187 Strassenbande, hat mehr Menschen of Color als viele feministische Gruppen.
Der moralische Anspruch hängt für diejenigen, die sich soziale Gerechtigkeit auf die Fahne schreiben, immer höher als für alle anderen.
Und: Weshalb wird den Feministinnen immer grundsätzlich die Pistole auf die Brust gehalten, dass alles, was sie konsumieren, feinsäuberlich auf eventuell Problematisches abgetastet werden muss? Der moralische Anspruch hängt für diejenigen, die sich soziale Gerechtigkeit auf die Fahne schreiben, immer höher als für alle anderen. Das ist auch emblematisch für eine Linke, die alles, was ihr nicht genehm ist, möglichst entfernen will, ja, Sarkozy-Style mit dem Kärcher säubern. Dürfen wir uns auch mal zurücklehnen und einfach chillen?
Klassenkampf ist auch für Feministinnen, die wirklich down mit Veränderung der sozialen und ökonomischen Verhältnisse sind, relevant. Auch wenn er trotz seines bürgerlichen Vornamens Jonas nicht mit bescheuerter Gitarre und hässlichem Hut vor sich hinsäuselnd den Staat kritisiert, hat Gzuz dazu etwas zu sagen. Mehr als Bausparvertrag-Anika bestimmt. Vielleicht muss die bürgerliche Mittelschicht sich einfach besser integrieren, um diese Sprache zu verstehen.
Caren Miesenberger ist freie Journalistin (u.a. Missy Magazine, WIR MACHEN DAS). Sie schreibt schwerpunktmäßig über alles, was mit Geschlechterverhältnissen zu tun hat.