In China hat es viel mehr häusliche Gewalttaten gegen Frauen gegeben seit Beginn der Ausgangssperre. Drei mal so viele Frauen baten um Hilfe, berichtete eine chinesische Frauenberatungsstelle. Seit nun in Deutschland ein Kontaktverbot gilt, Menschen zuhause bleiben müssen, Kneipen, Cafés und andere öffentliche Orte geschlossen haben, befürchten Expert*innen auch hier einen Anstieg von häuslicher und sexueller Gewalt gegen Frauen und Kinder. Der Bundesverband der Frauenberatungsstellen warnt, dass Betroffene nun Täter*innen ohne Ausweichmöglichkeit ausgeliefert sind. Deshalb ermutigt der Verband Betroffene, sich Hilfe zu holen, fordert Zeug*innen auf, Zivilcourage zu zeigen und Betroffenen Hilfe anzubieten, wenn sie Gewalttaten mitbekommen.
Von wegen alle Menschen sind gleich
Das macht deutlich, dass die Coronakrise nicht nur eine gesundheitliche Talfahrt bedeutet. Die Pandemie ist eine soziale Krise, die unter anderem Frauen besonders hart trifft. Gewalt, die statistisch gesehen überwiegend von Männern gegen Frauen ausgeübt wird, zeigt wie dünn der vermeintliche Konsens von „alle Menschen sind gleich“ eigentlich ist. 122 Frauen wurden 2018 von ihren Partnern ermordet, das ist eine Person alle drei Tage. Wie werden die Zahlen Ende 2020 aussehen, wenn Menschen womöglich monatelang zusammen in Wohnungen gesperrt waren? Sollte man da nicht was machen? Und warum eigentlich erst jetzt?
Das Bittere ist, dass vermutlich nicht viel passieren wird. Einen Rettungsschirm für die Wirtschaft hat die Politik im Nu aufgespannt. Wenn aber Frauen und Kinder auf die Fresse kriegen, scheint nicht genug Geld für Frauenhäuser, Beratungsstellen und Jugendamt-Maßnahmen da zu sein. Wie seit Jahren schon. Denn die Coronakrise erschafft das Problem nicht erst. Das Problem überlasteter Hilfeeinrichtungen für Opfer von häuslicher und sexueller Gewalt gibt es schon lange. Es interessiert nur sonst niemanden. Ausgenommen mal kurz nach #metoo.
Was ist eigentlich los in dieser Gesellschaft, wo es so klar zu sein scheint, dass Fabriken weiter offen bleiben, aber soziale Treffpunkte für Menschen schließen müssen? Wieso ist Geld da, um Firmen und Fabriken zu retten, aber nicht um Gewaltbetroffene zu schützen und unterstützen?
Die Krise der Care-Arbeitenden
Aber nicht nur unmittelbare Gewalt trifft Frauen besonders. Die Coronakrise ist eine Krise der Care-Arbeitenden, ob bezahlt oder unbezahlt. Frauen sind überdurchschnittlich häufig dafür verantwortlich, sich um Kinder und pflegebedürftige Angehörige zu kümmern. Jetzt sind Schulen und Kitas geschlossen. Wahrscheinlich müssen in vielen Familien Frauen daraus entstehende Betreuungslücken auffangen.
Außerdem werden Pflegeberufe großteils von Frauen ausgeübt. Dass es zu wenige Pflegekräfte gibt und diese schlecht bezahlt werden, wird seit Jahren kritisiert. Betten in deutschen Kliniken können immer wieder nicht belegt werden, weil der Personalschlüssel nicht eingehalten werden kann. Nun hat der Gemeinsame Bundesausschuss, also das Gremium, das Leistungen für gesetzlich Versicherte in Deutschland festlegt, entschieden, dass Abweichungen von der Mindestanzahl an Pflegekräften auf Intensivstationen zulässig ist. Das heißt, es dürfen auch dann noch Intensivbetten belegt werden, wenn eigentlich nicht genug Personal da ist, um die zusätzlichen Patient*innen zu betreuen.
In den nächsten Wochen werden es unterbezahlte und im schlimmsten Fall schlecht geschützte Pflegerinnen sein, die die psychische und körperliche Last der Coronakrise tragen müssen. Zu Recht werden Aufrufe, Pflegende zu beklatschen, kritisiert: Warum klatschen wir jetzt, aber unternehmen nichts gegen die Privatisierung von Kliniken? Warum schaffen es Arbeitskämpfe und Warnungen von Pflegenden nicht so wirklich ins öffentliche Bewusstsein?
Die Krise macht es noch schlimmer
Beides, häusliche Gewalt und der Pflegenotstand, haben schon ohne das Coronavirus skandalös wenig Resonanz in Medien und Gesellschaft erhalten: Aha, immer noch werden Frauen vertrimmt und ermordet. Aha, die Pflegekräfte sind immer noch zu wenige. Nicht die Pandemie macht die jetzige Situation so kritisch. Das war sie schon vorher. Der Ausbruch des Virus ist der Moment, in dem es lediglich schlimmer wird. Für langfristige Lösungen ist es jetzt zu spät und vor allem Frauen müssen das ausbaden. Ob als Pflegerinnen, Partnerinnen oder Töchter.
Linke und Feministinnen sollten an dieser kollektiven Erfahrung der Unterdrückung ansetzen und daraus einen Appell formen: Wenn die Scheiße schon richtig Fahrt aufgenommen hat, ist es zu spät! Es braucht tiefgreifende wirtschaftliche und soziale Veränderungen, sonst droht uns bei der nächsten Pandemie die gleiche Katastrophe.
Hilfe und telefonische Beratung bietet das bundesweite Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ rund um die Uhr kostenlos unter: 08000-116016