Riah May Knight ist in einem kleinen Dorf in Sussex in Großbritannien aufgewachsen. Ihre Mutter war in der Roma-Bürgerrechtsbewegung aktiv, was die heute 23-jährige Musikerin, Schauspielerin und Aktivistin geprägt hat. Am Maxim-Gorki-Theater in Berlin spielt sie in einer Reihe politischer Stücke mit. Lou Zucker sprach mit ihr über Hexen, Feminismus und Roma-Empowerment, darüber, wie sie als Kind auf dem Dorf mit Rassismus konfrontiert war und wie sie an ihrer Grundschule »Amen« in »Awomen« und »Menue« in »Womenue« umbenennen wollte.
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Du hast das Stück »Rewitching Europe« mitentwickelt. Darin geht es um Hexen, Mutter Erde und Menstruationsblut. Feministinnen haben jahrzehntelang dagegen gekämpft, dass Frauen auf ihre Gebärfähigkeit reduziert werden. Manche bekommen auch keine Regel, zum Beispiel weil sie trans* sind. Ist das nicht eine sehr enge Sicht von Weiblichkeit, die Du auf die Bühne bringst?
Frauen sollten auf keinen Fall auf ihren Uterus reduziert werden. Ich wäre auch eine Frau, wenn ich keinen Uterus oder keine Periode hätte. In Berlin ist es fast die Norm, queer zu sein, das ist großartig! Das ändert aber nichts daran, dass ich eben blute und schwanger werden kann. Für mich als Frau mit Uterus hat meine Periode aber einen ziemlich großen Einfluss auf mein Leben. Und sie steht auch mit Zyklen in der Natur in Verbindung, zum Beispiel mit dem Zyklus des Mondes und der Gezeiten.
Und was hat das mit Hexen zu tun?
Die marxistisch-feministische Wissenschaftlerin Silvia Federici erklärt, wie der Staat während der Hexenverfolgung versucht hat, weibliche Körper zu kontrollieren und auszubeuten – und wie das noch immer geschieht. Mir als Frau im Kapitalismus meinen Körper wieder anzueignen, ist für mich deshalb ein politischer Akt. Die Frauen, die als Hexen verbrannt wurden, waren meistens ganz normale, proletarische Frauen. Oft waren sie Hebammen oder Heilerinnen und hatten deshalb besonderes Wissen über den Körper. Oder sie lebten unabhängig von einem Mann und den sozialen Normen. Auf irgendeine Art passten sie nicht in die herrschende Lebensweise oder konnten ihr potenziell gefährlich werden. Hexen sind für mich Rebellinnen, die sich nicht kontrollieren lassen. Hexen, Schlampen und Feministinnen sind deshalb die große Angst des Patriarchats. Uns geht es in dem Stück darum, ganz normale Frauen daran zu erinnern, dass wir einmal Hexen waren.
Du bist selbst in einem rebellischen Umfeld aufgewachsen: Dein Vater war ein britischer linker Aktivist; Deine Mutter, eine britische Romni, war in der Roma-Bürgerrechtsbewegung aktiv. Wie hat Dich das geprägt?
Bei uns zu Hause wurde diskutiert und der Status quo infrage gestellt. So habe ich gelernt, dass auch ich ein Recht habe, das zu tun. An meinem ersten Vorschultag – ich war drei Jahre alt – kam ich nach Hause und habe wütend erzählt: »Wir sollten ›Amen‹ sagen! Warum nicht ›Awomen‹ und ›Achildren‹?!« Am nächsten Tag kam ich wieder empört nach Hause, weil ich herausgefunden hatte, dass es in der Schulkantine ein »menue« gab – und kein »womenue«. In meinem Dorf in Großbritannien gibt es so eine alte Tradition, bei der jedes Jahr am 5. November das Bild eines Politikers verbrannt wird, den die Leute nicht mögen. Einmal, als ich sieben Jahre alt war, haben sie stattdessen ein Bild verbrannt, auf dem ein Roma-Wohnwagen mit Frauen und Kindern darin zu sehen war. Sie haben gerufen: »Was sollen wir mit den Zigeunern machen?«, und die Menge antwortete: »Verbrennt sie! Verbrennt sie!«
Und da haben alle mitgemacht?
Jedenfalls fand das niemand falsch – außer meiner Mutter. Ich habe sie damals gefragt: »Mama, was wirst du dagegen tun? Die wollen unsere Leute verbrennen!« Meine Mutter hat die Lokalzeitung angerufen. Die Geschichte hat es bis in die überregionale Presse und ins Fernsehen geschafft. Gleichzeitig kam ein Bericht heraus, der die Situation von britischen Roma mit der von Schwarzen in den USA in den 1930ern verglich – als Beispiel wurde in dem Bericht die Geschichte genannt, die meine Mutter in die Medien gebracht hatte. Unser halbes Dorf wurde festgenommen.
Wie haben die anderen regiert?
Die rechten Medien haben einen Shitstorm gegen uns losgetreten. Wir hatten Todesdrohungen im Briefkasten. Meine Mutter wurde mit einem Messer angegriffen. Plötzlich war ich das »Zigeunermädchen«, mit dem die anderen Kinder nicht spielen durften und deren Eltern die Straße überquerten, um mir auszuweichen. Die Leute verließen die Kneipe, wenn wir reinkamen. Meine Identität war plötzlich politisch.
Was hat das mit Dir gemacht?
Natürlich hat mich die Verfolgung, die ich erlebt habe, geprägt. Aber Verfolgung ist nicht, was mich ausmacht. Ich habe mich nie als Opfer gesehen. Meine Mutter wurde später Koordinatorin vom »National Gypsy, Roma and Traveller History Month«, der jedes Jahr im Juni gefeiert wurde. Daraus entstand eine Organisation, die Aufmerksamkeit für unsere Geschichte und unsere Rolle in der britischen Gesellschaft schafft. Ich habe seitdem einen großen Teil meiner Kindheit auf Veranstaltungen mit Roma-Künstler*innen und -aktivist*innen verbracht, die alle mit Stolz über ihre Identität gesprochen haben. Das Wort »Gypsy« ist bei uns übrigens keine Beleidigung, so wie das deutsche Wort »Zigeuner«.
Dein erstes Stück am Gorki-Theater war »Roma Armee«. Siehst Du Deine Kunst auch als politischen Aktivismus?
Ich war 20, als ich die Rolle am Gorki bekam, und es war das erste Mal, dass ich meinen Aktivismus und meine Kunst wirklich zusammenbringen konnte. Wenn du auf die Bühne gehst, repräsentierst du immer etwas oder jemanden. Wenn ich als Romni auf die Bühne gehe, was wir in »Roma Armee« gemacht haben, dann werde ich auf einmal Repräsentantin für Romnja im Allgemeinen. Das heißt nicht, dass ich mehr zu sagen habe als andere Romnja. Aber wir haben etwas repräsentiert, was sonst kaum Raum bekommt. Die Kunst wurde politisch.
Wir kommen nicht in den Geschichtsbüchern vor. Bei »Roma Armee« war es das erste Mal, dass ein Stück über Roma-Identität fast ausschließlich mit Roma-Schauspieler*innen auf einer nationalen Bühne aufgeführt wurde. Die Schauspieler*innen kommen aus ganz Europa, sind sehr vielfältig und stellen allein schon durch ihre Existenz die gängigen Stereotype infrage. Ich zum Beispiel, eine weiße, blonde britische Romni, breche das Bild, das die meisten Leute von Roma im Kopf haben.
Theater in Deutschland kann sehr elitär sein. Habt ihr mit dem Stück wirklich Roma selbst erreicht?
Ich glaube, das Stück hatte Einfluss in der Community. Viele Roma und Sinti wurden ins Gorki eingeladen und sind auch gekommen. Der Verein »European Roma Institute for Arts and Culture« (ERIAC) hat »Roma Armee« vor Kurzem nach Bukarest eingeladen. Roma waren in Rumänien bis Mitte des 19. Jahrhunderts versklavt. Das erkennt die Regierung bisher nicht an, Roma erleben dort überdurchschnittlich viel Diskriminierung. Wir sind mit diesem queeren, politischen Stück, das Stereotype sowohl innerhalb als auch außerhalb der Community infrage stellt, nach Bukarest gefahren und haben im Nationaltheater gespielt. ERIAC hat einen Großteil der Sitze für Roma reserviert. Das Theater war voll, die Leute sind aufgestanden und haben gejubelt. Viele sind später zu uns gekommen und haben gesagt, das war das erste Mal, dass jemand auf einer nationalen Bühne über ihre Community gesprochen hat.
Wo verbindest Du sonst noch Kunst und Aktivismus?
Ich denke, Frauenkörper sind so oder so politisch. Ich habe mir einmal im Leben die Achseln rasiert und dann nie wieder. Leute sehen das als eine politische Handlung, wenn ich mit Achselhaaren auf die Bühne gehe. Dabei ist es ja eigentlich gar keine Handlung, im Gegenteil: Ich tue einfach nichts. Es ist mein natürlicher Zustand. Ich bin Teil von »Romnja Jazz«, einer Plattform, die Romnja-Musikerinnen fördern will. Das Musikbusiness kann krass sexistisch sein, vor allem, wenn du dann auch noch eine Romni bist. Manchmal sagen die Leute, die uns hören: »Das ist doch keine Roma-Musik!«, weil wir Jazz spielen. Dann sage ich: »Ich bin eine Romni, ich mache Musik. Also ist das, was ich mache, Roma-Musik.« Ich mag es, auf diese Weise Stereotype aufzubrechen. Es ist schwierig, Kunst einen monetären Wert zuzuschreiben: Du arbeitest ein halbes Jahr an einem Song, dann hören ihn sich die Leute für zweieinhalb Minuten an und zahlen 99 Cent dafür auf Apple Music. Kunst zu machen im Kapitalismus, ist für mich ein anarchistischer Akt. So, wie mich als Frau selbst zu lieben und ein gutes Verhältnis zu meinem Körper zu haben.
