Juli 2019 war der heißeste Monat seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1881. In rascher Folge gab es in Deutschland mehr Temperaturmessungen über 40°C als in den 138 Jahren zuvor. Am 25. Juli trendete #Hitzerekord auf Twitter, in Lingen/Ems wurden 42,6 °C gemessen. Der Deutsche Wetterdienst sprach von einer „Pulverisierung der bisherigen Rekorde“. Und die Klimakatastrophe konnte man am TV wie eine Sportveranstaltung verfolgen.
Forscher*innen sagen voraus, dass der menschengemachte Klimawandel Hitzewellen wie diese zehnmal wahrscheinlicher macht. Gleichzeitig mit den Hitzewellen sind auch die Diskussionen zum Klimawandel zum gesellschaftlichen hot topic geworden. Die Deutschen sind so überzeugt von Klimaerwärmung und Klimakrise wie noch nie.
Mit Fridays for Future (FfF) gibt es nun eine breitenwirksame Klima-Bewegung, die hauptsächlich durch die Selbstorganisation von Schüler*innen getragen wird. Sie streiken wöchentlich, inspiriert durch die Aktionen der Klimaaktivistin Greta Thunberg, weltweit für Klimagerechtigkeit. Gegenwärtig bereiten sie ihren dritten globalen Klimastreik für den 20. September vor.
Linksliberaler Verbot- und Schulddiskurs?
Eigentlich müsste die Linke die Kritik und Aktionen der Schüler*innen aufnehmen und solidarisch kritisieren. Doch statt Gesprächsangeboten auf Augenhöhe gab es in vielen linken Medien zuletzt abmahnende Stimmen. Sie kritisieren einen überlegendem Unterton und bemängeln, dass der Klimadiskurs insgesamt zu konsumkritisch und klassistisch sei und gesellschaftliche Verantwortung den Einzelnen mit Flugverboten aufgebürdet würde. Andere behaupten sogar, dass Jugendliche sich heute durch einen allgemeinen, linksliberalen Verbots- und Schulddiskurs besonders hilflos seien. Man wolle nur noch durch individuellen Konsum Schadensbegrenzung betreiben, mehr sei nicht drin.
So richtig diese Kritik an der Gesellschaft allgemein ist, so deplatziert wirkt sie angesichts der gegenwärtigen Klimabewegung. Offizielle Forderung von FfF betreffen zum Beispiel den „Kohleaussieg bis 2030“ und die Umstellung auf „Erneuerbare Energien bis 2035“ – also die Produktionsweise. Eine Emissionssteuer müsse wie alle Maßnahmen nicht zu Lasten der Armen gehen. Mehr noch als die inhaltlichen Forderungen, ist die Aktionsform der Schüler*innen ein kollektiver Streik, gemeinsame Organisierung, also ein gemeinsamer Kampf für eine andere, ökologischere Zukunft.
Klimadebatten treffen Kapitalismuskritik
Und schon jetzt hat es die Bewegung geschafft, das Thema globale Erwärmung endlich zu einem zentralen gesellschaftlichen Konflikt zu politisieren. FfF benennt die fossile Energiegewinnung und das Wirtschaften über die Belastbarkeitsgrenzen hinaus als zentrale Probleme. Außerdem hat sie das Thema Klimakrise mit Kapitalismuskritik verbunden; wo unsere Produktion die ökologische Grundlage unserer Existenz so offensichtlich verheizt, sieht sich die Jugend zum Streiken in der Pflicht.
Klar wäre es toll, wenn eine intersektionale, revolutionäre Klimabewegung vom Himmel fällt, die sich aus heterogenem Metropolenproletariat zusammensetzt und unversöhnlichen Klimageneralstreik gegen Bourgeoisie und besitzende Klasse führt. Aber was bis dahin tun? Genügt es, ohne eigene politische Vorschläge zu sagen, dass es Kapitalismuskritik statt Konsumkritik braucht?
Was bei solchen praxisfernen Perspektiven zudem verloren geht, sind die politischen Spannungen innerhalb der Bewegung. Es gibt bei Friday for Future mit der antikapitalistischen Plattform Bestrebungen, vage Konsumkritik in antikapitalistische Produktionskritik zu überführen. FfF solidarisiert sich zudem trotz Diffamierung durch die Polizei mit dem radikalen, antikapitalistischen Klimaprotest von Ende Gelände.
Ein anderes gesellschaftliches Kräfteverhältnis muss mühsam erarbeitet werden
Mit der Aktionsform des Klima-Streiks bringen sie zudem Arbeiter*innen- und Klimabewegung zusammen. Für den 20. September will zum Beispiel ver.di-Chef Franz Bsirske Aktionen unterstützen und rät den zwei Millionen Gewerkschaftsmitgliedern zur Teilnahme. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn Gewerkschaften zum Streik aufrufen, weil nur darüber effektiver Generalstreik möglich ist.
Dazu braucht es aber ein anderes gesellschaftlichen Kräfteverhältnis, das erst mühsam erarbeitet werden muss. Für einen wirkungsvollen Antagonismus gegen den fossilen Kapitalismus aufzubauen, muss die Linke auch die schwierige Frage beantworten, wie ein gutes Leben für Alle jenseits bisheriger Produktions- und Konsumniveaus möglich ist. Dabei geht es natürlich nicht um Verbote für die ohnehin viel weniger Emissionen verbrauchenden Unterklassen. Aber vielleicht darum, mit Fridays for Future auf Augenhöhe über diese Fragen zu diskutieren.