„Wenn ich an Linksradikale oder Antifa denke, kommen mir sofort die Bilder von G20 in den Kopf, also schwarz Vermummte bei einer Demonstration und Randale, Krawalle“, sagt Reporter Timm Giesbers zu Beginn der Reportage. Für den Beitrag wurden die Gruppe „Antifaschistische Linke Münster“, der linke Journalist Sören Kohlhuber und Joni, ein Aktivist aus Niedersachsen interviewt. In rund 14 Minuten wollten die Journalisten Timm Giesbers und Tobias Dammers einen Einblick in die Ideen der Radikalen Linken geben. „Dass sie diesem Selbstanspruch nicht gerecht werden können, liegt unter anderem an den Vorannahmen und eigenen Bildern, die die beiden mit in die Produktion des Stücks genommen haben“, resümiert die Antifaschistische Linke Münster.
Tatsächlich widmet sich der Beitrag nicht wie angekündigt primär den gesellschaftlichen Entwürfen von Linksradikalen oder der Praxis von Antifa-Arbeit. Die Frage nach der Legitimität von Gewalt dominiert den Beitrag. So wird aus der Feststellung auf Jonis Mütze „Nazis töten.“ die Frage, ob Nazis zu töten legitim sei. Ob er lieber einen Nazi opfern würde, als dass ihre Ziele umgesetzt würden, fragt Giesbers. Joni bejaht und begründet es sinngemäß mit den Lehren aus dem NS. Giesbers zeigt sich geschockt: „Das ist schon krass“. Aber ist es krass, wenn ein „Nie wieder“ auch ernsthaft ein „Nie wieder“ bleiben soll?
Vielfach verwendet das Funk-Format „Reporter“ mit dem Titel „Antifa: Was wollen Linksradikale?“den Verfassungsschutz als Primärquelle. Das bedeutet: Weil der Verfassungsschutz eine staatliche Institution ist, verwenden die Journalisten deren Aussagen so als wären es Fakten, die nicht zu hinterfragen sind, wenn es beispielsweise um Straftaten geht. Hinterfragen will die Redaktion die Quelle im Film aber nicht: „Der Verfassungsschutz ist eine staatliche Institution. Dass diese Einrichtung auch in der Kritik stand und steht, haben wir in diesem Film nicht zum Thema gemacht, weil die Filmfrage eine andere ist“. Das Format wirbt damit „ergebnisoffen“ zu recherchieren, doch kaum eine Antwort der Aktivist*innen bleibt im Film von den Reportern unbewertet. Einordnungen gibt es vor allem auf Grundlage des Strafgesetzbuchs.
Dabei gibt es genug Beispiele, bei denen staatliche Institutionen fragwürdige Aussagen treffen, die sich später sogar als haltlos herausstellen: Beim G20-Gipfel 2017 zum Beispiel rechtfertigte die Polizei einen SEK-Einsatz im Schanzenviertel damit, dass sich Gewalttäter auf Dächern in der Straße Schulterblatt versammelt hätten, um die Polizei mit Steinen, Gehwegplatten, Eisenstangen und Molotowcocktails zu bewerfen, hieß es. Eine Kleine Anfrage der Linkspartei im Hamburger Senat zur Frage wie viele Beweismittel gesichert wurden, ergab Monate später: „nach derzeitigem Kenntnisstand keine“. Auch damals wurde die Polizei als Primärquelle verwendet, ähnlich wie der Verfassungsschutz in der Reportage.
Reproduktion der Extremismus-Theorie
Was die Reportage nicht leistet ist, zu verstehen, dass nicht jede Antifa-Gruppe radikal linke Utopien entwirft. Details, Tiefgründigkeit und Hintergründe verkommen zur Randnotiz.
Im Interview mit „Supernova“ erklärt die Antifaschistische Linke Münster, wie es im Vorfeld zu der Anfrage kam und welche Absprachen es gab. Im Februar kontaktierte Dammers sie zum ersten Mal. Rund ein dutzend Mails und einige Telefonate gab es bis zum Interview vor der Kamera im Juli. „Der Großteil der Kommnunikation lief im Juni telefonisch und per Signal.“ Dammers und Giesbers suggerieren im Beitrag, dass es besonders schwer gewesen sei an die Aktivist*innen ran zu kommen.
Besonders stößt den Aktivist*innen auf, dass sie in den über fünf Monaten des Kontakts nicht über die Reihe „ExtremLand“ informiert wurden. Der Name ist Programm, denn es soll um „Extremismus“ gehen. Neben den linksradikalen Aktivist*innen erschien dort das Vernehmungsvideo vom rechtsterroristischen Lübcke-Mörder Stephan Ernst. In einem FAQ unter über 5.000 Kommentaren bei YouTube reagierte die „Reporter“-Redaktion auf den Vorwurf die Hufeisen-Theorie zu nutzen: „Wir erwähnen diese Theorie nicht und berufen uns auch nicht auf sie“, heißt es. Die Antifaschistische Linke Münster meint: „Veröffentlichungen zur extremen Rechten und einen Bericht über Antifaschist*innen in einer Reihe darzustellen ist praktizierte Extremismustheorie“.
Zwei Stunden Interview, zwei Minuten Reportage
Unklar bleibt, warum die Aktivist*innen in den Gesprächen nicht über den Hintergrund informiert wurden. Wahrscheinlich hätten sie abgesagt und den Reportern wäre eine wichtige Quelle verloren gegangen, mit denen sie fünf Monate in Kontakt standen. Sowohl zum Organisatorischen, als auch zu den Inhalten führten Dammers und Giesbers Anfang Juli Vorgespräche mit den Aktivist*innen. Dabei stellte die Gruppe Bedingungen für eine Teilnahme: „Wir wollten nicht in einem Stück mit extremismustheoretischen Vorannahmen und Kontext auftreten“. Die Antifaschistische Linke Münster kritisiert deshalb „die manipulativen Methoden“, die genutzt wurden, um sie zu einer Teilnahme an dem Stück zu bewegen.
Vorab gaben die Journalisten einen Fragenkatalog an die Antifaschistische Gruppe, der „Supernova“ vorliegt. Die Reporter können im Interview jede Frage stellen, die sie wollen, unabhängig vom Katalog. Dass die in der Reportage dominierende Gewalt-Frage im Katalog aber nicht vorkommt, ist angesichts der umfangreichen Vorgespräche eher ungewöhnlich. Über zwei Stunden interviewten Dammers und Giesbers die Aktivist*innen in Münster. Zwei Minuten davon landeten in der Reportage, nach über fünf Monaten Kontakt und mit dem Ziel „tiefergehend“ zu dokumentieren „welche Ziele, Ideen und Konzepte die Antifa und radikale Linke hat“.
Gegen kritische Fragen hatte die Antifaschistische Linke Münster nichts einzuwenden. Das ist der einzige Punkt, in dem sich die Redaktion und Aktivist*innen nicht widersprechen. „Unser Gesprächspartner, mit dem diese Vorgespräche geführt wurden, hat dafür Verständnis gezeigt und sogar betont, dass ihm ‚journalistische Freiheit‘ wichtig sei“, sagt die Redaktion im FAQ auf YouTube. Weiter verweist das Format darauf, dass „bei der Reportage saubere, nicht sinnverfälschende Kürzungen“ dazu gehören und lehnt eine Ausstrahlung der Interviews in voller Länge mit der Begründung ab, dass diese „nicht dafür angelegt“ seien.
Damit bleibt das Format den Beleg schuldig, dass es keine sinnverfälschenden Kürzungen gab. Die Protagonist*innen des Films jedenfalls beschweren sich über „aus dem Kontext genommene und inhaltlich geänderte“ Aussagen. Auch Sören Kohlhuber erklärte, er sei mit dem Ziel angesprochen worden, dass der Beitrag „ein differenziertes […] verständliches und gleichzeitig umfangreiches Bild zeichnen“ solle. „Leider ist das Ergebnis nicht so, wie ich es erwartet habe und auch wurden meine Antworten teilweise eigenartig geschnitten“, kritisiert Kohlhuber.