Die letzten zwei Wochen waren aufwühlend. Zum einen, weil die Milliardärin Elisabeth Furtwängler unter ihrem Künstlerinnennamen „Kerfor“ das Musikvideo zu ihrem Rap-Song „Privilege“ veröffentlichte. Zum anderen, weil scheinbar die Bedeutung des Wortes „Revolution“ geändert wurde, ohne, dass mir jemand Bescheid gesagt hat.
Im Video radelt die junge Burda-Erbin Furtwängler auf dem Tempelhofer Feld in Berlin herum: „Let me be real with you / I’ve got privilege/ I’ll be upfront / Was born into it“, leitet die 29-Jährige ein und verbringt die nächsten eineinhalb Minuten damit, auf einem teuer aussehenden Rennrad über ihre Privilegien zu singen.
Der taz-Kolumnist Volkan Agar nennt den Track eine „Revolution von oben“ und warnt davor, ihn ins Lächerliche zu ziehen. Zuvor war der Song auf massive Kritik in den sozialen Medien gestoßen. Im Fokus stand dabei Furtwänglers Biografie: Denn Burda ist einer dieser Namen, den man kennt, aber nicht weiß, woher. Zum Hubert Burda Media-Verlag gehören Zeitschriften mit hoher Auflage wie FOCUS, Chip oder Bunte. Elisabeth Furtwängler besitzt zusammen mit ihrem Bruder rund 74,9 Prozent des Vermögens. Damit ist sie mit 29 Jahren die jüngste Milliardärin Deutschlands. Ich sage das nochmal: Milliardärin. Wie Milliarden.
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Taz-Kolumnist Agar sieht in Furtwänglers Auftritt einen „Ansatz zum Klassenverrat“, ihre Lyrics seien eine „Anklage gegen ihr Privilegiertsein“. Dabei singt sie eher High School Musical-Plattitüden wie „We’re in this together“ und „We can make things better“. Das ist absurd – und gefährlich.
Denn die Milliardärin tut genau das Gegenteil: Während sie in den ersten Zeilen zugibt, dass sie privilegiert ist und sich mit Menschen kontrastiert, die Hunger leiden oder keinen Schlafplatz haben (allesamt wahre, aber sehr offensichtliche, man könnte schon fast sagen: reduktionistische Bilder), flüchtet sie sich im Rest des Songs in Floskeln wie „We don’t choose where we come from“, „It’s not a level playing field / But we share the same love we feel / Whether you have a little or a lot“. Abschließend singt die Rapperin „let’s talk about what matters“, bevor der Track zu Ende und sie scheinbar doch nicht zum Reden gekommen ist.
Kunst passiert nicht im Vakuum
Furtwänglers Song ist kein Manifest, er ist ein Ablenkungsmanöver: Sie will das, was sowieso schon im Raum steht, aus dem Raum schaffen. Denn sie versucht Fuß zu fassen in einem Genre, das, wie Agar richtig sagt, oftmals ein künstlerisches Ventil für „Ausgrenzung, Armut, Alienation“ ist. Wenn eine Milliardärin also mit dieser Kunstform arbeitet, diesen Raum betreten will, dann wartet die Diskussion über ihre Privilegien bereits auf sie – ob sie es von selbst anspricht oder nicht.
In einem Interview mit dem SPIEGEL sagte Furtwängler, dass der Track ihr wichtig sei, dass sie lange Zeit annahm, Künstler*innen dürfen nicht so privilegiert sein wie sie, bis sie verstanden hätte: „Jeder Weg, gerade jeder künstlerische Weg, ist anders“. Das mag stimmen. Aber Kunst passiert nicht in einem Vakuum. Und genreuntypische Auftritte werfen Fragen auf. Anstatt diesen Fragen allerdings mit aufrichtiger Reflexionsarbeit zu begegnen, versteckt sich Furtwängler hinter einer ‚Alles, was zählt, ist Liebe‘-Rhetorik. „Privilege“ ist kein Anstoß zu einer Diskussion, sondern ein lascher Versuch zur Schadensbegrenzung.
Zugegeben: Reflexionsarbeit ist hart und tut weh. Das wissen wir nicht zuletzt seit der Diskussion über die fehlende Transparenz von Menschen mit Nazihintergrund, die die Künstlerin Moshtari Hilal und der*die politische*n Geograf*in Sinthujan Varatharajah neu aufrollten – eine Debatte, die Antifaschist*innen seit 1945 immer wieder anstoßen, um darauf hinzuweisen, dass viele Deutsche vom NS-Regime profitierten und Vermögen von Familien unter anderem auf die Enteignung von Juden und Jüdinnen zurückzuführen sind.
Furtwängler ist privilegiert, ist sehr reich. Das viele Geld der Burda-Familie kommt zwar aus den vielen Zeitschriften, die sie verkaufen. Aber wohl auch daher, dass der Hubert Burda Media-Verlag sich unter anderem während der NS-Zeit auf die Herstellung von Landkarten und Luftbilder für die Wehrmacht spezialisierte. Bereits kurz nach Kriegsende durfte Burda unbehelligt eine neue Zeitschrift aufbauen, die später zur „Bunten“ werden würde. Sehr bunt schien das Vorhaben allerdings nicht zu sein: Peter Köpf, Autor des Buches „Die Burdas“, schrieb in der taz, dass der Verleger „Altnazis“ Arbeit und damit „ein rettendes Ufer“ anbot.
Bedeutet das, dass Elisabeth Furtwängler in dem Song über ihr mögliches Nazi-Erbe hätte rappen sollen? Vielleicht. Wenn sie ein aufrichtiges Interesse daran gehabt hätte, ihre Privilegien zu thematisieren, hätte sie zumindest spezifisch werden können, anstatt ihre Umstände und die Ursprünge ihres Reichtums in Plattitüden zu ersticken. Nicht zuletzt sorgt das auch für spannendere Kunst.
Wer Furtwängler wegen des kritischen Feedbacks in den sozialen Medien als „Opfer klassistischer Diskriminierung“ stilisiert, wie das Tobias Becker und Arno Frank im SPIEGEL tun, der hört nicht richtig zu. Die Kritik an ihr ist kein ad hominem-Argument: Furtwängler wird nicht dafür kritisiert, wer sie ist, sondern dafür, was sie sagt. Ich plädiere keineswegs für einen linken Purismus, bei dem man Benachteiligungen beweisen muss, um über soziale Ungleichheit sprechen zu dürfen. Im Gegenteil: Es wäre ausgesprochen dufte, wenn mehr Privilegierte über ihre Privilegien reden würden. Letztlich ist das die Voraussetzung, damit wir das Thema gesamtgesellschaftlich verhandeln können.
Kein falsches Lob
Aber Agars Forderung, Furtwängler in ihrem vermeintlich „klassenverräterischen Impuls“ zu bestärken, damit sie sich künftig für antikapitalistische Arbeit begeistern kann, stößt auf. Zum einen, weil wir nicht im Kindergarten sind. Wir sollten Milliardär*innen nicht an die Hand nehmen und ihnen mehrmals vorgaukeln müssen, dass sie das gerade ganz ganz toll gemacht haben, damit sie sich irgendwann dazu bereit erklären, ihr Spielzeug mit uns zu teilen.
Zum anderen, weil diese Forderung einen waghalsigen Einsatz verlangt: Wenn wir Menschen mit Macht gleich das Revoluzzer-Hütchen aufsetzen, wenn sie die richtigen Schlagworte rufen, dann ziehen wir sie zu schnell aus der Verantwortung und zementieren so den Status Quo. Es ist gefährlich, die Furtwänglers und Ivanka Trumps dieser Welt zu feiern, nur, weil sie „Privileg“ und „Feminismus“ fehlerfrei aussprechen können.
Wir müssen wachsam bleiben: Solche Worte sind keine leeren Hüllen, sondern kommen mit einem Arbeitsauftrag. Wenn wir an jedem halbherzigen Lippenbekenntnis eine Revolution ablesen, vergessen wir leicht, warum es wirklich eine braucht.