Jahr für Jahr verwandelt sich ein öder Landstrich im Nordosten Deutschlands in eine bunte Parallelwelt. Das Fusion Festival zieht seit mehr als 20 Jahren zehntausende Menschen aus der ganzen Welt an und verspricht nichts weniger als „vier Tage Ferienkommunismus“. Nun ist das linke Festival in Gefahr: Die Polizei stellt öffentlich das Sicherheitskonzept in Frage und fordert erstmals einen permanenten Zugang zum Festivalgelände (lest den Hintergrund-Artikel im nd).
So what, mögen einige denken. Dann feiert man halt neben der Polizei, so wie auf anderen Festivals auch. Das sehen die Veranstalter*innen anders und haben einer Polizeiwache auf dem Festivalgelände sowie einer »anlasslosen polizeilichen Bestreifung« nicht zugestimmt. Das ist richtig, denn: Es gibt gute Gründe, warum die Polizei nichts auf der Fusion zu suchen hat.
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Weniger Polizei kann zu mehr Sicherheit führen
Die Festival ist eine Paradebeispiel dafür, wie man ohne Polizei ein friedliches Großevent organisieren kann. Die Philosophie „zwangslos und unkontrolliert“ zu feiern, bedeutet nämlich nicht, ohne Regeln und auf Kosten von anderer Party zu machen – im Gegenteil. Das Security-Team ist bekannt für seine besonnene und deeskalierende Professionalität. Ein geschultes Team leistet bei Belästigungen und Grenzüberschreitungen Hilfe. Auf 70.000 Teilnehmer*innen kommen mehr als 10.000 Helfer*innen. Klar, auch die Fusion ist nicht perfekt. Aber alle Menschen, die schon einmal ein anderes Festival – sagen wir mal das Rock am Ring – besucht haben, werden wissen, was gemeint ist.
Die Zahlen sprechen für sich: In den letzten Jahren kam es durchschnittlich zu 2,5 Gewaltverbrechen – pro Festival. Zum Vergleich: Beim »Baumblütenfestival«, einer großen Saufparty im brandenburgischen Werder, gab es im vergangenen Jahr 80 Festnahmen und mehr als 200 Gewaltdelikte. Die Fusion zeigt: Weniger Polizei kann zu mehr Sicherheit führen. Und selbst die Polizei attestiert dem Festival Jahr für Jahr Sicherheit und lobt die vorbildliche Zusammenarbeit mit Behörden und Anwohner*innen. Nicht zu Unrecht schreiben die Veranstalter*innen: „Abgesehen vielleicht vom Kirchentag, ist das Fusion-Festival vermutlich die entspannteste, friedlichste und konfliktfreieste Großveranstaltung der ganzen Republik.“
Dies ist nun in Gefahr: Denn die Präsenz der Polizei könnte Konflikte schüren. Eine Behörde, die ein strukturelles Problem mit Gewalt hat, in der rassistische Übergriffe keine Einzelfälle sind und die alternative und queere Lebensentwürfe oft mit Misstrauen betrachtet, wird nicht zur Deeskalation beitragen.
Ein Angriff auf linke Strukturen
Es liegt nahe, dass es gar nicht um Sicherheit geht – sondern darum, wer hinter dem Festival steht. Die Fusion wird maßgeblich von linken Bewegungen organisiert und gilt als größte Einnahmequelle der linken Szene. Der Polizeipräsident von Neubrandenburg, Nils Hoffmann-Ritterbusch, will sich als harter Hund profilieren und greift bei seinem verbalen Angriff auf die Fusion tief in die Extremismus-Kiste. Angeblich ist eine „Beteiligung politischer, in Teilen hoch gewaltbereiter Personen“ zu erwarten. Wer schon einmal die Fusion besucht hat, weiß, dass sich zumindest der zweite Teil dieser Aussage jeglicher Grundlage entbehrt. Mehr noch: In Zeiten, in den gewaltbereite Nazihorden mit Genehmigung der Behörden durch Plauen marschieren und Polizist*innen in Duisburg rechte Sticker auf ihre Autos kleben, ist sie kaum an Zynismus zu überbieten.
Sollte es wirklich gelingen, eine Polizeiwache auf dem Gelände einzurichten, wird das Festival laut den Veranstalter*innen in den nächsten Jahren nicht wieder stattfinden. Das Ende der Fusion wäre für die Region fatal: Festivals wie die Fusion sind in ländlichen Gebieten ein lautes und buntes Gegengewicht zum rechten Strukturen in den umliegenden Dörfern und bergen ein enormes Politisierungspotenzial.
Doch auch woanders stehen selbst verwaltete Räume und alternative Kultureinrichtungen immer mehr im Kreuzfeuer. Ende März stürmten Polizei und Zoll den linken Club „Mensch Meier“ in Berlin. Die Verschärfung der Polizeigesetze und Aufrüstung des Polizeistaates sind Begleitmusik dieser Entwicklungen, bei denen nichts weniger als die unabhängige Kultur auf dem Spiel steht.