Achtung, dieser Text enthält Spoiler und Passagen über sexualisierte Gewalt!
Game of Thrones geht zu Ende. Die Fantasy-Serie wurde aus vielen Gründen gefeiert, unter anderem, weil sie Frauenfiguren in vielfältigen Facetten gezeigt hat. In der derzeit laufenden achten und letzten Staffel werden Charakterentwicklungen der Frauen jedoch über den Haufen geworfen. Eine Figurenbesprechung.
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Sansa Stark

Die Figur der Sansa Stark hat eine der dramatischsten Entwicklungen innerhalb der Serie vollzogen. Sie mauserte sich vom naiven Mädchen zur politischen Strategin. Staffel für Staffel erlebte sie Missbrauch und Verrat, so zum Beispiel als sie von ihrem Vertrauten Little Finger mit dem grausamen Ramsay Bolton verheiratet wurde. Schon damals gab es laute Kritik am Handlungsstrang, da Bolton Sansa vergewaltigte. Es ließ sich ablesen, dass die Macher Missbrauch als Mittel zur charakterlichen Weiterentwicklung sahen. Tatsächlich hat sich Sansa seitdem an den Verrätern in ihrem Leben gerächt, durch Beobachtungsgabe politisches Handlungsgeschick angeeignet und ist sogar Lady von Winterfell geworden. Das alles hat sie jedoch sich selbst und nicht den missbräuchlichen Männern zu verdanken. Könnte man denken. In der vierten Episode der letzten Staffel wurde allerdings klar, dass die Serienmacher ihr so viel Selbstständigkeit nicht zugestehen. Bei einem Wiedersehen mit Sandor Clegane (auch als „The Hound“ bekannt) spricht sie über ihre Veränderung. Clegane meint, dass sie all den Qualen hätte entgehen können, hätte sie damals mit ihm die Stadt verlassen. Darauf erwidert Sansa, dass sie ohne die beiden Männer Little Finger und Ramsay Bolton ein Leben lang „ein kleiner Vogel“ geblieben wäre. Was damit impliziert wird: dass sie ohne Vergewaltigung und Verrat immer noch schwach wäre. Dadurch scheint Gewalt an Frauen legitimiert zu werden, da sie zur Entwicklung beiträgt. Einmal mehr wird klar, warum Frauen im Writer’s Room dieser Episode keine schlechte Idee gewesen wären.
Cersei Lannister

Königin Cersei Baratheon war ein unvergleichbarer weiblicher Bösewicht. Nach dem Tod ihrer Kinder war sie lediglich sich selbst die Nächste und plante jeden Schritt, um ihre Gegner auszuschalten. In der letzten Staffel sieht man sie jedoch Episode für Episode Wein trinkend am Balkon stehen, während ihr Piraten-Handlanger die Drecksarbeit für sie verrichtet. Man könnte meinen, dass Cersei so schlau war, sich nie die Hände selbst schmutzig zu machen. Die Macher ließen sie aber bis kurz vor ihrem Ende ungläubig aus dem Fenster starren und über fehlende Kampfelefanten schmollen. Es ist nicht das erste Mal, dass Cersei dem Tod gegenübersteht. Statt sich von den Feinden gefangen nehmen zu lassen, war sie in der zweiten Staffel kurz davor, sich und ihren Sohn zu vergiften. Sie stand für Selbstbestimmung. In der aktuellen Staffel rennt sie stattdessen in letzter Minute aus dem einstürzenden Palast, nur um dann vom zusammenfallenden Gemäuer erschlagen zu werden. Was für ein unwürdiges Ende für eine epische Figur.
Missandei

Missandei ist die Beraterin, Übersetzerin und Freundin von Daenerys Targaryen. Sie wurde als Sklavin befreit und stand der Drachenkönigin seit Staffel drei loyal zur Seite. Gemeinsam mit Truppenführer und ihrem Freund Grey Worm war sie die einzige Person of Color im Cast der letzten Staffeln. Zuschauer*innen erfuhren jedoch wenig über sie, ihren Charakter oder ihr Innenleben. Hollywood-typisch ist die Best Friend of Color nur da, um der Handlung der weißen Hauptfigur zu dienen – in Game of Thrones kann man das wortwörtlich nehmen. Missandei wird in der vierten Episode der letzten Staffel ohne jegliche Erklärung Off-Screen gefangen genommen und vor den Augen ihres Partners und ihrer besten Freundin/Königin geköpft. Bis zum Schluss war Missandei also vor allem eins: eine Schwarze Frau, deren Leben und Tod dazu diente, die Entwicklung ihrer weißen Königin voranzutreiben.
Daenerys Targaryen

Wo soll man anfangen? Daenerys Targaryens Charakter wurde mit der aktuellen Staffel gegen die Wand gefahren. In der aktuellen Episode brennt sie mithilfe ihres Drachens trotz Kapitulation des Gegners die Stadt ab, über die sie eigentlich seit acht Staffeln herrschen wollte. Innerhalb weniger Episoden wird sie zur „irren Königin“. Tatsächlich gab es schon im Verlauf der gesamten Serie Anzeichen dafür, dass ihr Charakter mit Wahn zu kämpfen hatte. Und wie fast jeder andere Charakter in der Serie auch, war sie nie nur die fehlerlose Heldin. Im Laufe der Serie hatte Daenerys auch immer wieder zu Gewalt gegriffen, etwa als sie Sklaven befreite und die Sklavenhalter töten ließ. Solche Schritte konnten allerdings immer mit ihren eigenen moralischen Maßstäben gerechtfertigt werden. Zu sinnlosen Massakern kam es durch Daenerys hingegen nie. Die Figur wurde zur eigenwilligen, aber gerechten Herrscherin aufgebaut. Sie machte es sich zum Vorteil von Gegnern wie den Sklavenhändlern oder Dothraki-Fürsten unterschätzt zu werden, um letztlich über diese zu siegen. Staffel für Staffel hat sie die Eroberung Westeros geplant und auf dem Weg dorthin starke Verbündete gefunden. Noch in der dritten Episode hat sie den Großteil ihrer Truppen geopfert, um an Jon Snows Seite die Menschheit zu verteidigen. Kurz vor dem Ende zaubern die Macher jedoch traumatische Erlebnisse wie den Tod ihres zweiten Drachens oder ihrer besten Freundin aus dem Hut, um das Narrativ der „Mad Queen“ zu bedienen.
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Wer in Game of Thrones ein Happy End erhofft, hat nicht richtig aufgepasst. Nach mehr als 70 Episoden Storytelling und Entwicklung kann man aber sehr wohl erwarten, dass die Charaktere ein würdiges Ende finden und nicht plötzlich eine 180-Grad-Wenden vollziehen. Fans wie auch scheinbar der Cast selbst, sind enttäuscht davon, wie die Serie endet. Mit toten, passiven oder verrückten Frauenfiguren und dem aktuellen Storytelling scheint alles darauf hinauszulaufen, dass Jon Snow als Held und wahrscheinlich sogar König hervorgehen wird. Die Aussicht darauf, dass das größte Fantasy-Epos in der Geschichte des Fernsehens nur mit einer weiteren Heldenreise à la vom Underdog zum Sieger enden wird, ist mehr als ermüdend und vor allem verschenktes Potenzial.
Die finale Episode der letzten Staffel von Game of Thrones erscheint am 20. Mai.