„Ich bewerbe mich auf alle Wohnungen“, sagt Lea*, die ich bei einer Massenwohnungsbesichtigung treffe. Bis zu fünf Wohnungen kann man sich heute angucken, mindestens drei von ihnen schimmeln so sehr, dass es auf Dauer nicht gesund sein kann. „Man nimmt, was man kriegen kann“, sagt Lea. Stimmt. In Hamburg ist es inzwischen fast eine gängige Smalltalk-Praxis, sich gemeinsam über den Wohnungsmarkt aufzuregen. Lea sucht schon länger als wir und sagt, sie hätte inzwischen eigentlich jegliche Ansprüche verloren. Ich verstehe das.
Meine Mitbewohnerin Anna und ich müssen ausziehen, weil wir weggentrifiziert wurden. Wir leben am Stadtrand, aber in einem Viertel, in dem es eine Uni gibt. Für große Immobilienfirmen quasi eine Goldgrube. Als wir erst ungefähr ein halbes Jahr hier wohnen, wird unser Haus an eine solche Firma verkauft. Kaum später versucht der neue Vermieter alle Mieter*innen zu vertreiben, um 8 Zimmer große WGs für Studierende zu bauen. Zimmervermietung – das heißt geteilte Küche, geteiltes Badezimmer. Und der Vermieter entscheidet, mit wem du zusammen lebst. 12Qm das Zimmer, 550€ warm, inkl. Strom und Internet. Die Bafög-Wohnpauschale für Studierende liegt bei 250€.
Anfangs kämpften wir noch dagegen und wollten hier bleiben, doch nach einer Weile gaben wir nach. Ständiger Baulärm, Handwerker*innen, die auch am Sonntag und spät in der Nacht noch da sind. Dauerbaustelle und in den nächsten Jahren kein Ende abzusehen. Drohungen der fristlosen Kündigung. Ständig neue Forderungen, wie zum Beispiel das Räumen der Wäschekammer oder des Dachbodens. Ein alternativer Stellplatz für die Sachen, die dort gelagert werden, wurde uns nicht angeboten. Irgendwann hat man einfach keinen Bock mehr.
___STEADY_PAYWALL___
Schimmel ist schon ok – wir sind ja jung und ohne Lungenkrankheiten.
Um wenigstens nicht mit leeren Händen zu gehen, haben wir uns rauskaufen lassen. Sechs Monate mietfrei und ein Bonus falls wir früher abhauen, der vermutlich aus der Portokasse genommen wird. Wenn schon, denn schon, mehr war nicht drin. Nur leider bringt uns das auch keinen Frieden, wenn es plötzlich unser neuer Vollzeit-Job wird, in einer der teuersten Städte Deutschlands eine neue Wohnung zu finden. Ein überdurchschnittliches Nettoeinkommen haben wir auch nicht.
Während wir bei der Auswahl von Wohnungen, die wir online anschrieben, anfangs noch Ansprüche hatten, entwickelten wir nach einer Weile fast eine Art Euphorie für Wohnungen, die eigentlich ziemlich mittelmäßig sind. Wir drängeln uns also durch Massenbesichtigungen, spielen Pärchen in einer Wohnung mit Durchgangszimmer und erwägen ernsthaft, in eine 33qm Wohnung mit einer Küche zu ziehen, in der man sich nicht einmal drehen kann. Überhaupt eingeladen zu werden, ist eigentlich schon fast ein kleines Erfolgserlebnis. Und auch mit Schimmel haben wir schnell angefangen, uns anzufreunden – schließlich sind wir jung und ohne Lungenkrankheiten. In manchen Wohnungen gibt es dann sogar noch eine Küche, in die man einen Tisch stellen kann. Aber wer braucht schon angemessenen, bezahlbaren Wohnraum, wenn man an jeder Ecke einen Denns Biomarkt haben kann?
Ich kann es verstehen, wenn mal das Auto einer Immobilienfirma brennt
Gentrifizierung, also der Strukturwandel der Viertelaufwertung, der zur Folge hat, dass Mieter*innen vertrieben, und (noch) wohlhabendere Menschen das Viertel beleben werden, ist schon scheiße, wenn man theoretisch darüber spricht. Aber davon betroffen zu sein, ist noch viel beschissener. Und an diesem Zustand haben in den letzten Jahren weder eine Mietpreisbremse, noch tanzende Mietenmove-Demos etwas geändert. Es ist zwar nicht unbedingt die Lösung, wenn im Stadtteil Veddel gelegentlich mal ein Auto einer Immobilienfirma brennt, weil sich niemand um die kaputten Heizungen der Anwohner*innen kümmert – verstehen kann ich es allerdings schon. Am Ende des Tages haben viele Leute nämlich leider nicht die Wahl, ob sie in einer verschimmelten Wohnung wohnen möchten oder nicht.
Es ist nicht unbedingt so, dass es an Wohnraum in deutschen Großstädten mangelt. Es ist viel mehr so, dass es zwar freie Wohnungen gibt, aber ziemlich wenig unter ihnen, die der*die Durschnittsbürger*in bezahlen kann. Wenn ich auf der Immobilienplattform Immobilienscout24 nach 2-3 Zimmer-Wohnungen suche, findet die Suchmaschine auf ihrer eigenen Website knapp 900 Angebote in Hamburg. Wenn ich dazu eine Kaltmiete von höchstens 650€ eingebe, finde ich nicht einmal mehr 150 Angebote. Der Anspruch, in einem Viertel zu wohnen, in dem ich nicht völlig vereinsame oder meine Mitbewohnerin weniger als eine Stunde zur Arbeit braucht, macht die Sache nicht leichter. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie die Wohnungssuche wäre, wäre ich nicht nur die Hälfte einer zweiköpfigen WG, sondern eine alleinerziehende Mutter.
Ab und zu auch mal bei Denns eine Sojamilch kaufen
Aber am Ende des Tages komme ich nicht umhin, mich zu fragen, ob ich bei diesem ganzen Gentrifizierungsding nicht auch irgendwie mitmache. Vielleicht hätten wir unseren Auszug noch länger hinauszögern können, schließlich kann auch unser Vermieter uns nicht einfach rausschmeißen. Aber die ganze Schikane war uns einfach zu anstrengend.
Wenn ich in dem neuen Viertel, in dem wir vielleicht irgendwann wohnen werden, durch‘s Stadtbild laufen werde, werde ich zumindest aussehen wie eine junge, hippe Studierende. Auch, wenn ich an meinen Fingern abzählen kann, wie oft in meinem Leben ich bisher eine Uni betrete habe. Ich studiere nicht und kann es mir auch nicht leisten, in überteuerten Cafés Chai Latte zu trinken. Dennoch würde ich mir bestimmt auch ab und zu mal im Denns Biomarkt eine Sojamilch kaufen. Und dann gucken wir mal, wann das nächste Haus verkauft wird. Und ich mich wieder erinnere, dass das alles ganz schön scheiße ist. Aber bis dahin müssen wir erst einmal eine Wohnung finden.
Ach ja: Keine Ahnung, ob Lea eine der Schimmelwohnungen bekommen hat. Uns wollten sie auf jeden Fall nicht.
*Name geändert