In der Reaktion auf den innereuropäischen Faschismus bildete sich vor allem aus den Reihen der KPD heraus die antifaschistische Bewegung. Doch das Ende des Kriegsfaschismus bedeutete nicht auch automatisch das Aus für die Notwendigkeit des Antifaschismus. Anders als noch in seiner Frühphase ist der Antifaschismus heute jedoch nicht mehr vorrangig an parteipolitische Zusammenhänge gekoppelt, sondern führt viel mehr unter dem Begriff des „autonomen“ oder „postautonomen“ Antifaschismus sein Eigenleben. In der Retrospektive ist sie schillerndes Glanzstück deutscher Geschichte, in der Gegenwart wird sie skandalisiert: antifaschistische Militanz. Noch heute ist sie eines der zentralen Mittel dieser antifaschistischen Bewegung.
Doch trotz aufgeregter medialer Debatten hat es die „Militanzfrage“ nun klammheimlich wieder in die Sphären des Sagbaren geschafft. Zum Comeback verhilft ihr unter anderem auch die Popkultur — etwa in Gestalt des Musikers Danger Dan. In dessen Lied „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ kommt dieser nämlich zu dem Schluss: „Und wenn du friedlich gegen die Gewalt nicht ankommen kannst, ist das letzte Mittel, das uns allen bleibt, Militanz.“ Auch die Berichterstattung über die Leipziger Studentin Lina E. und die just gegen sie erlassene Anklage der Bundesanwaltschaft bietet vielen Anlass, erneut zu diskutieren, was gegen faschistisches Machtstreben getan werden kann — und was man besser bleiben lassen sollte.
Supernova fragt den Rechtsanwalt Alexander Hoffmann nach der Perspektive der Justiz auf antifaschistische Militanz. Was ist legal? Und welche Rolle spielt die Frage der Legitimität in der juristischen Auseinandersetzung?
Herr Hoffmann, sie sind seit 23 Jahren Strafverteidiger, haben etliche Verfahren verhandelt. Häufig waren es Vorwürfe von linker Militanz und antifaschistischer Gewalt, die gegen ihre Mandant:innen erhoben wurden. Kennt die deutsche Rechtssprechung überhaupt den Begriff der antifaschistischen Militanz?
Grundsätzlich spielt der Begriff bei der Beurteilung von Delikten keine Rolle. Aus juristischer Perspektive ist eine Körperverletzung eine Körperverletzung, eine Brandstiftung eine Brandstiftung. Aus welcher Motivation heraus diese Straftaten begangen wurden, das spielt höchstens bei der Strafzumessung, also der Frage nach der zugrunde liegenden Motivation, eine Rolle. So wie ich die Stimmung im Moment einschätze, würde eine antifaschistische Motivation sich vermutlich eher strafverschärfend auf ein Urteil auswirken.
Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Im Moment sehen wir uns mit einer relativ eindeutigen Stimmung – besonders in Thüringen und Sachsen – konfrontiert. Nach dem dominierenden Diskurs darf man zur Verteidigung demokratischer Rechte eben keine Gewalt anwenden. Das kann man natürlich nicht in Urteilen nachlesen, aber natürlich spielt bei der Strafverfolgung immer auch die jeweilige gesellschaftliche Stimmung eine Rolle. Bin ich also in einer eher progressiven Stadt oder Region, ist die Wahrscheinlichkeit auch an progressive Richter:innen und Staatsanwaltschaften zu geraten natürlich höher. Das lässt sich aber leider eben so ins Gegenteil umkehren.
Es spielt also doch eine Rolle, ob beispielsweise aus der Motivation, andere Menschen vor neonazistischen Gewalttaten schützen zu wollen, Straftaten begangen worden sind?
Man muss als Verteidiger natürlich klar darstellen, gegen wen sich eine Straftat gerichtet hat. Natürlich macht es einen subjektiven Unterschied, ob etwa eine angezündete Immobilie für Nazikonzerte genutzt wurde oder es sich bei der angegriffenen Person um einen rechten Schläger handelt, der Menschen in Angst und Schrecken versetzt hat. Aus der Perspektive der Verteidigung sind das alles Gesichtspunkte, die berücksichtigt werden müssten.
Haben Sie in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, dass diese Umstände vor Gericht mildernd berücksichtigt wurden?
Ich habe eher Richter:innen und Staatsanwaltschaften erlebt, die antifaschistische Militanz zusätzlich negativ ausgelegt haben. Da spielt die historische Entwicklung der deutschen Justiz natürlich eine große Rolle. Gerade im Nachkriegsdeutschland gab es ja nun mal sehr viel Personal, das zum Teil selbst in den Nationalsozialismus involviert war und daher antifaschistische Militanz auch negativ gegen sich selbst ausgelegt hat. Besonders der öffentlichen Meinung zu bestimmten Verfahren können sich die Gerichte jedoch in bestimmten Fällen nicht entziehen. So gesehen mag es in der Vergangenheit schon eine Roll für die Strafmilderung gespielt haben.
In der „öffentliche Meinung“ auf die sie sich beziehen, spielt die Frage der Verhältnismäßigkeit und die der Legitimität immer wieder eine Rolle. Ganz aktuell zum Beispiel im Fall „Lina E.“, die anfänglich von einem Ihrer Kanzleikollegen vertreten wurde. Welche Rolle spielt dann also diese Abwägungen zwischen Legalität und Legitimität für einen Prozess?
Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, ob das wirklich eine juristische Frage ist. Wenn wir zurückschauen, etwa in die 1980er Jahre in Westdeutschland, dann gab es zweifelsfrei illegale Gewalt. Aber es gab auch eine starke Tabuisierung von neonazistischer Ideologie und die antifaschistischen Angriffe auf Nazis wurden von vielen Menschen als legitim verstanden. Auch hier spielt die gesellschaftliche Reaktion auf derartige Straftaten eine große Rolle für deren juristischen Ausgang. Schauen wir uns beispielsweise Jahrzehnte später den Umgang mit den jährlichen stattfindenden linken Protesten rund um den 13. Februar in Dresden an. Hier sind Jahr für Jahr knallharte Neonazis durch eine Stadt gezogen. Die robusten Blockaden wurden von einem großen Teil der Bevölkerung als notwendig und positiv bewertet. Obwohl der Staat sogar mit Ermittlungsverfahren gem. § 129 StGB gegen Antifaschist:innen vorging, ließ sich das Bündnis nicht spalten. Dies war einer der Gründe, warum die Kriminalisierung später ins Stocken geriet.
Letztlich ist das eine politische und keine juristische Abwägung, ob spontane Versammlungen in diesem Fall als strafbare Handlungen oder legale Versammlung geduldet wurden. Auch bei Brandanschlägen ist ganz klar, dass diese illegal sind. Und dennoch bin ich der Meinung, dass eine politische Auseinandersetzung um diese notwendig ist und wir uns über Legitimität streiten müssten. Ganz aktuell ziehen massenhaft Hardcore-Nazis aus West- nach Ostdeutschland und gefährden Menschen unmittelbar in ihren Lebensräumen. Ist die aktuelle Auseinandersetzung dazu nicht ein durchaus verbotener, legitimer Abwehrkampf?
Nicht nur in Ostdeutschland gibt es nach wie vor Probleme mit Rechtsextremismus. Die Häufung der sogenannten „Einzelfälle“ in staatlichen Behörden lassen den Schluss zu, dass es zumindest einem relevanten Anteil der zuständigen Instanzen nicht um das Niederringen eines aufkeimenden Rechtsextremismus geht, sondern Polizisten und Bundeswehrsoldaten sogar Teil davon sind. Sind wir in einer „wehrhaften Demokratie“ nicht sogar dazu verpflichtet, ab einem gewissen Punkt gegen Rechtsextremismus in Behörden aktiv zu werden?
Vorweg gesagt: Das sogenannte „Widerstandsrecht“ des Grundgesetzes ist aus juristischer Perspektive ziemlicher Unfug, eben weil es nicht vorstellbar ist, dass es jemals zum Einsatz kommt. Mehr als ein Papierdrache ist es daher leider nicht. Zudem ist die sogenannte „wehrhafte Demokratie“ für mich nach wie vor mit den Berufsverboten in den 1970er Jahren verbunden. Darauf positiven Bezug zu nehmen halte ich für nicht zielführend, auch nicht, wenn es gegen Nazis geht.
Dann ist es also doch der bürgerliche Antifaschismus, der einschreiten muss?
Die „Bürger:innen“ spielen hinsichtlich dieser Frage eine entscheidende Rolle, ja. Die staatlichen Behörden, Verfassungsschutz, Polizei und Staatsanwaltschaft entwickeln jedenfalls aus sich selbst heraus keine Strategien und Maßnahmen zur Bekämpfung von Rassismus und Neonazismus.
Das Ganze für sich genommen ist leider auch kein ganz neues Phänomen. Im Westen gab es, wie gesagt, ewig eine Justiz sowie auch eine Exekutive, die durchsetzt war von Alt-Nazis. Was damals Wirkung zeigte, war nicht allein der „Marsch durch die Institutionen“, sondern es brauchte gänzliches Umdenken der Bürger:innen, die sich selbst bemächtigen und ihre Interessen selbst nicht nur einfordern, sondern durchsetzen. Und das brauchen wir heute auch. Wir müssen Institutionen demaskieren – besonders solche wie das Bundeskriminalamt oder die Bundesanwaltschaft, die es gerade mal in den letzten zehn Jahren geschafft haben, ihre Nazi-Entstehungsgeschichte aufzuarbeiten. Natürlich gibt es also in diesen Behörden auch eine indirekte Kontinuität von Antikommunismus, einer traditionellen Verfolgung von Linken und Antifaschist:innen. Daher stellt sich meiner Meinung nach eher hinsichtlich des Agierens von Ermittlungsbehörden die Frage der Legitimität. Behörden wie Polizei und Verfassungsschutz erweitern sukzessive ihren Handlungsspielraum. Die neuen Polizeigesetze in vielen Bundesländern, die Erweiterung von Straftatbeständen – Polizeikette zu Hunderten durchfließen kann heute durchaus auch als schwerer Landfriedensbruch gewertet werden – und der nun durchgewunkene Staatstrojaner — das sind Entwicklungen, bei denen wir wirklich über Legitimität diskutieren müssen.