Die Abschaffung von Paragraf 218, Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Mit vielen Forderungen, für die Feminist*innen heute kämpfen, waren wir vor 30 Jahren schon mal einen ordentlichen Schritt weiter – zumindest in der DDR. Mit der „Wiedervereinigung“ ging das meiste, was die DDR an Gleichstellungspolitik zu bieten hatte, verloren. Wir wünschen uns keinen Überwachungsstaat mit einer Mauer drum rum zurück. Und auch Geschlechtergerechtigkeit war in der DDR längst nicht so perfekt verwirklicht, wie die SED-Führung gerne glauben machte. Aber diese fünf Gleichstellungsstandards – Liste unvollständig – könnte sich die heutige Bundesrepublik von der damaligen DDR abgucken:
1. Weg mit §218!
1972 wurden Schwangerschaftsabbrüche in der DDR bis zur 12. Schwangerschaftswoche legal. Das Gesetz war damals weltweit einzigartig. Zuvor waren Frauen in Westdeutschland massenhaft für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen auf die Straße gegangen, im Stern hatten prominente Frauen öffentlich von ihren Abtreibungen erzählt. Auch Ärzt*innen in der DDR hatten sich immer wieder für die Entkriminalisierung eingesetzt – 60 bis 70 Frauen starben jährlich an den Folgen illegaler Abtreibungen. Das neue Gesetz besagte, dass sich Frauen innerhalb der ersten drei Monate “in eigener Verantwortung“ für einen Abbruch entscheiden konnten. In der Präambel hieß es: „Die Gleichberechtigung der Frau in Ausbildung und Beruf, Ehe und Familie erfordert, dass die Frau über die Schwangerschaft und deren Austragung selbst entscheiden kann.“
Meist rief die Schwangere einfach in der Klinik an und bekam einen Termin für den Abbruch
In Deutschland 2019 gilt nach wie vor der Paragraph 218, der noch aus der Kaiserzeit stammt und demzufolge ein Schwangerschaftsabbruch eine Straftat ist. Nur, wer zusätzlich zur 12-Wochen-Frist eine Zwangsberatung – mindestens drei Tage vor dem Abbruch – nachweisen kann, ist von der Strafe ausgenommen. Auch das DDR-Gesetz sah vor, dass Ärzt*innen die ungewollt Schwangeren vor dem Eingriff berieten. Das konnte allerdings unmittelbar davor geschehen und es sollte in erster Linie um die medizinische Bedeutung und Verhütungsmethoden gehen. Laut einer DDR-Studie kam es aus Zeitgründen aber selten dazu. Meist rief die Schwangere einfach in der Klinik an und bekam einen Termin für den Abbruch.
Heute haben Frauen oft Schwierigkeiten, überhaupt eine Praxis zu finden, die Abbrüche durchführt, vor allem in ländlichen Gebieten. Zum einen, weil Paragraf 219a es kompliziert macht, an die entsprechenden Infos zu kommen. Zum anderen, weil es schlichtweg nicht viele Ärzt*innen gibt, die Abbrüche vornehmen. In der DDR wurden Abtreibungen routinemäßig in fast allen Krankenhäusern durchgeführt – und sie wurnden von der Krankenversicherung getragen. Heute kostet ein Schwangerschaftsabbruch zwischen 350 und 600 Euro und muss in den meisten Fällen von der Schwangeren selbst bezahlt werden.
2. Kostenlose Verhütungsmittel!
Mit dem Gesetz von 1972 wurde in der DDR auch die Pille zur Verhütung kostenlos. Heute ist sie das nur bis zum 22. Lebensjahr. Danach kostet die Pille aufs Jahr gerechnet – je nach Marke – etwa 80 bis 160 Euro.
3. Bessere Arbeitsbedingungen für Frauen!
In der DDR war in den Betrieben ein sogenannter Frauenruheraum vorgeschrieben. Ein Raum, in dem Frauen sich während der Arbeit kurz hinlegen und ausruhen konnten – zum Beispiel bei Regelschmerzen oder Übelkeit in der Schwangerschaft. Die Ruhezeit wurde nicht von den Arbeitsstunden abgezogen. Auch im aktuellen Arbeitsschutzgesetz ist ein Pausenraum mit der Möglichkeit für Schwangere und Stillende, sich hinzulegen, vorgesehen. Von dieser Regelung sind allerdings Angestellte ausgenommen, die in Büroräumen arbeiten.
4. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!
Schon 1946 erließ die sowjetische Militäradministration einen Befehl für das Gebiet, das die später die DDR werden sollte: „Gleiche Entlohnung von Arbeitern und Angestellten für die gleiche Arbeit, unabhängig von Geschlecht und Alter.“ Im Durchschnitt verdienten Frauen auch in der DDR weniger als Männer. Das ist hauptsächlich dadurch zu erklären, dass der Arbeitsmarkt stark segregiert war, wie verschiedene Studien zeigen. Frauen arbeiteten vor allem im Dienstleistungssektor, aber kaum in der Industrie und die Jobs, in denen vorwiegend Frauen arbeiteten, waren oft schlechter bezahlt. Das ist heute immer noch so. Frauen aber für die gleiche Arbeit weniger zu zahlen als Männern war in der DDR schwieriger als heute. Schließlich wurden Löhne staatlich geregelt und gleicher Lohn für gleiche Arbeit war gesetzlich festgeschrieben.
Bei gleichwertiger Arbeit verdienen Frauen immer noch sechs Prozent weniger
30 Jahre später beträgt die Lohnlücke immer noch 21 Prozent. Bei gleicher Qualifikation und gleichwertiger Arbeit verdienen Frauen im Durchschnitt sechs Prozent weniger. Seit 2017 haben wir durch das sogenannte „Entgelttransparenzgesetz“ einen rechtlichen Anspruch darauf, dass unsere Unternehmen uns erklären, nach welchen Kriterien und Abstufungen die Entlohnung funktioniert – aber auch nur, wenn wir das selber einfordern und wenn das Unternehmen mehr als 500 Beschäftigte hat.
5. Kitaplätze für alle!
Um einen Kitaplatz sollte man sich in der heutigen Bundesrepublik am besten schon kümmern, bevor das Kind überhaupt gezeugt wird. Dem Institut der Deutschen Wirtschaft zufolge fehlen zur Zeit 320.000 Kitaplätze, im Vergleich zu vor fünf Jahren hat sich die Lage sogar verschlechtert. In der DDR waren kostenlose Krippen- und Kitaplätze für alle, die wollten, Standard. In den letzten DDR-Jahren wurden über 80 Prozent der Unter-Dreijährigen in Kinderkrippen betreut. Zur selben Zeit kamen in Westdeutschland auf 1000 Kleinkinder gerade einmal 16 Krippenplätze. Kinder zwischen drei und sechs Jahren wurden im Osten zu 95 Prozent betreut. Oft waren die Kitas Teil des Betriebs, in dem die Eltern arbeiteten und passten sich entsprechend an deren Arbeitszeiten an.
Dazu kommt ein Mentalitätsunterschied, der noch immer zu spüren ist: Einer Studie des Bundesfamilienministeriums zufolge fühlen sich 69 Prozent der westdeutschen Frauen mit kleinen Kindern unter Rechtfertigungsdruck, wenn sie in Vollzeit arbeiten. In Ostdeutschland sind es nur 25 Prozent.
In kaum einem anderen OECD-Land ist die Teilzeitquote von Müttern so hoch wie in Deutschland
Wie leicht oder schwer es ist, kleine Kinder betreuen zu lassen, hat Auswirkungen auf die Berufstätigkeit von Frauen – und damit natürlich auch auf den Gender Pay Gap und die finanzielle Unabhängigkeit von Menschen, die Kinder gebären. Wie schlecht das in der heutigen Bundesrepublik läuft, sieht man unter anderem an den Teilzeitquoten von Frauen und Müttern. Frauen haben immer häufiger in Teilzeit gearbeitet als Männer, egal ob früher im Westen oder im Osten und sie tun es auch jetzt noch. Während vor dem Mauerfall aber nur 27 Prozent der erwerbstätigen Frauen im Osten in Teilzeit beschäftigt waren, sind es in der jetzigen Bundesrepublik fast die Hälfte.
47 Prozent der Heteropaare mit Kindern leben nach dem traditionellen Familienmodell: Vaddern ernährt die Familie, Muddern kümmert sich um die Kinder – und verdient im Zweifelsfall ein bisschen was dazu. In kaum einem anderen OECD-Land ist die Teilzeitquote von Müttern so hoch wie in Deutschland und in kaum einem Land ist der Unterschied zwischen den wöchentlichen Lohnarbeitsstunden von Müttern und Vätern so hoch: Mütter gehen in Deutschland durchschnittlich 25 Stunden weniger in der Woche einer bezahlten Arbeit nach als Väter.
Nicht zurück entwickeln
Auch in der DDR herrschte ein traditionelles Rollenverständnis: Das sogenannte Babyjahr und der eine freie „Haushaltstag“ im Monat galten jeweils nur für Frauen. Zur Aufteilung der Hausarbeit zwischen berufstätigen Heteropaaren kommen die Studien zu unterschiedlichen Schlüssen. Viel deutet darauf hin, dass Männer im Osten mehr im Haushalt machten als Männer im Westen, aber dass der Großteil der Haus- und Sorgearbeit auch in der DDR an den Frauen hängen blieb. Das Ganze ist 30 Jahre her, es ist normal und wünschenswert, wenn wir uns seitdem in unseren gesellschaftlichen Genderbildern weiterentwickelt haben. Bitter ist nur, wenn wir uns zurück entwickeln.