Ich sitze auf der Rückbank, Olmo und Sofie vorne im Auto. An uns zieht eine karge Winterlandschaft vorbei und wir vertreiben uns die Zeit mit einem Gespräch über Wachstumsstreifen. Das sind kleine Narben, die entstehen, wenn jemand schwanger war oder schnell gewachsen ist. „Du hast das definitiv auch“, sagt Sofie plötzich zu mir „Das habe ich neulich in der Sauna gesehen“. Ich bin überrascht und ein bisschen wütend. Warum spricht sie so über meinen Körper? Und vor allem: Warum spricht sie so vor anderen über mich?
Ohne dass es meine Freundin Sofie beabsichtigt hat, hat sie mich und meinen Körper bloßgestellt. Eine klassische Situation von Bodyshaming. Das ist die Diskriminierung oder Beleidigung von Menschen aufgrund ihres Körpers. Besonders Frauen, Mütter, Schwestern und Freundinnen tarnen ihre Kritik an den Körpern anderer Frauen häufig als gut gemeinten Ratschlag. Aber auch wenn eine Bemerkungen gar nicht böse gemeint war, kann sie verletzend sein.
Der kritische Blick einer anderen Frau ist schmerzhaft
Das Bild des durchtrainierten, perfekten und jungen Körpers, von dem fast jeder reale Körper abweicht, wird von Massenmedien, in den sozialen Netzwerken, von der Werbeindustrie und den Modekonzernen kreiert. Die feministische Autorin und Bloggerin Laury Penny macht vor allem die Schönheitsindustrie dafür verantwortlich, dass sich Millionen von Frauen aushungern und Zeit und Geld damit verschwenden, schön auszusehen. Penny fordert in ihrem Essay „Girl Trouble“, von der gesamten Gesellschaft, dass sie aufhören solle, Mädchen und Frauen beizubringen, sich selbst zu hassen.
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Trotzdem bin der Meinung, dass es sich Penny zu einfach macht, wenn sie „die Gesellschaft“ oder „die Schönheitsindustrie“ für die Probleme der Frauen verantwortlich macht. Es ist genauso problematisch, wenn Frauen andere Frauen dazu bringen, sich mit dem Schönheitsideal zu vergleichen, indem sie sich gegenseitig auf ihre angeblichen Unzulänglichkeiten aufmerksam machen. Die Serie Germanys Next Topmodel wird von einer Frau moderiert und in Serien wir Clueless und Gossip Girl bewerten sich die Frauen gegenseitig. Der kritische Blick zieht sich durch den Alltag vieler Frauen. Ich erinnere mich, dass sich die Mädchen unserer Schulklasse gegenseitig darauf aufmerksam machten, wenn sie „zu viel“ oder „zu wenig“ aßen. Eine Freundin sagte beim Mittagessen, wenn ich nicht aufessen wollte, ich sei so dürr wie ein Gerippe. Nicht wenige Frauen checken sich regelmäßig gegenseitig ab und geben kleine spitze Kommentare ab wie „du siehst aber schlecht aus“ oder „hast du abgenommen?“ Dieses Verhalten ist auch deshalb so schmerzhaft, weil sich die Gruppe gegen einen wendet, von der man eigentlich Sicherheit erwartet. Die Peergroup zerfleischt sich selbst.
Auch das ist Teil einer angelernten Unterdrückung in einem System, dass Frauen bevorzugt, die den Schönheitsstandards entsprechen. Ob es sich dabei um Ausdruck von Neid, Konkurrenz oder einfach um einen Ratschlag handelt – so verhalten sich Frauen, die Teil unseres patriarchalen, kapitalistischen Systems sind. Es wird ihnen antrainiert und Mütter geben es auch teilweise an ihre Töchter weiter, was dazu führt, dass dieses System aufrecht erhalten wird.
Wem nützt der Schönheitswahn?
Die Frage ist, wem es tatsächlich etwas nützt, wenn Frauen alles tun, um schöner zu werden und sich gegenseitig bewerten. Es spült Geld in die Kassen der Schönheitsindustrie. Männer – diejenigen, für die sich Frauen vermeintlich schön machen – bringt es nicht unbedingt immer etwas, dass Frauen perfekt sind oder sein wollen. Naomi Wolf schreibt in ihrem Buch „Der Mythos der Schönheit“ von 1991, dass die Zahl der Männer, die Frauen so akzeptierten und liebten, wie sie sind, viel größer seien, als Medien und Werbung vermittelten. Ihr Credo ist, dass es an den Frauen selbst sei, neue und eigene Formen weiblicher Schönheit zu finden.
In den letzten Jahren gab es immer wieder Bewegungen, die sich gegen das Bodyshaming stark gemacht haben. Sie alle hatten das Ziel, einen liebevolleren Umgang mit dem eigenen Körper zu erzeugen und Akzeptanz sowie Toleranz gegenüber den verschiedenen Körpern zu erhöhen. Zum Beispiel die Kampagne #NotHeidisGirl, bei der Schülerinnen gegen die Show Germanys Next Topmodel protestierte. #Theysaid war eine Kampagne bei der Frauen von Body-Shaming-Momenten erzählten.
Eine Frau twitterte beispielsweise: „Du solltest wirklich aufhören, so viel zu essen, du wirst jeden Tag fetter.’ – meine Mutter. Ich hatte Kleidergröße 36 und bin nun seit drei Jahren magersüchtig. #TheySaid“
Mehr Solidarität unter Frauen
Mindestens ebenso wichtig wie Kampagnen gegen den Schönheitswahn und die mediale Aufmerksamkeit ist die Handlungspraxis im Alltag. Wenn du mitbekommst, dass eine Frau eine andere bewertet, kannst du eingreifen und sagen, dass dieser Kommentar nicht notwendig ist. Wichtig ist auch, dass du anderen Frauen, die über ihren Körper meckern, einfach mal sagst, was schön an ihnen ist. Vor ein paar Wochen habe ich mit einer Bekannten Kleider anprobiert und mich ein wenig darüber beschwert, dass man meinen Bauch in einem Kleid sieht. „Was ist das immer mit dem Bauch? Alle Frauen haben einen Bauch“, meinte sie zu mir. „Den darf man auch sehen. Wir sollten uns da nicht so schämen und dazu stehen.“ Sie ließ kein Gejammer mehr zu. Das hat mich sehr bestärkt, ein Kleid anzuziehen, in dem man meinen Bauch sieht.
Ratgeber für Body Positivität stellen immer wieder heraus, wie wichtig es ist, gut zu essen und sich so anzunehmen, wie man ist. Doch am Ende sind wir auch das, was andere in uns sehen. Wir kreieren unsere Realität durch den Blick der anderen. Wir werden auch zu dem, was andere in uns sehen und wie andere uns sehen wollen – vor allem durch den Blick der Peergroup. Also jene Menschen, mit denen wir uns eigentlich solidarisieren und zusammenhalten sollten. Gleichstellung und feministische Kämpfe funktionieren nämlich leider nicht, wenn wir weiterhin gegenseitig unsere Körper bewerten.