Spätestens seit dem Tod der Aktivistin Heather Heyer in Charlottesville ist der Widerstand gegen die rechten Kräfte in den USA in den Schlagzeilen. Die Bilder von vermummten Antifaschist*innen und direkten Konfrontationen zwischen Nazis und Nazigegner*innen gingen um die Welt. Was geht bei der US-Antifa? Ein Gastbeitrag von Linda und Miro, die im kommunistischen …Ums Ganze! Bündnis organisiert sind.
„Kreuzberg ist im Kampf gegen Gentrifizierung unser Vorbild.“ Der RASH (Red and Anarchist Skin Heads) Aktivist sitzt auf einem abgewetzten Sofa in einem Latino-Arbeiterbezirk in Los Angeles, ein Kampfhund läuft herum, überall liegt Müll und verrostetes Trainingsequipment. Es ist wie in einem Gangster-Film mit Skinhead/Mao-Touch. Und wir mittendrin. Zwei deutsche Kommunist*innen, deren Lebensrealitäten sehr anders sind. Während die RASH-Crew stolz ihren Straßengang- und Arbeiterklasse-Hintergrund hervorhebt, kommen wir uns Fehl am Platz vor. Was sollen wir erzählen? Etwa die spannende Geschichte vom letzten Bündnistreffen gegen das neue Polizeigesetz? Trotzdem werden wir auch hier sehr herzlich aufgenommen und voller Interesse über „German Antifa“ ausgefragt.
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Wir sind auf Vortragstour über „Antifa Geschichte und Strategie in Deutschland“ an der Westküste. Von Seattle im Norden bis nach Los Angeles in Südkalifornien, ein Monat, sieben Städte. Die perfekte linksradikale Reise: Roadtrips im Mietwagen entlang der Küste, Politgespräche in hübschen amerikanischen Häuschen und sonntägliche Ausflüge in die Natur.
Unser Ziel: Unsere antifaschistische Arbeit in Deutschland vorzustellen und selbst lernen wie die Genoss*Innen auf der anderen Seite der Welt Politik machen.
Ein Zahn mehr oder weniger…
Die meisten Gespräche in der Kneipe oder am Küchentisch konzentrieren sich auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Wie sind die Nazis bei euch? Was machen die Bullen? Echt, ihr dürft euch nicht vermummen?
Die Unterschiede werden schnell klar: Die massive Gewalt durch Nazis und Polizei macht den US-Antifaschist*innen zu schaffen. Dagegen schützen sich die Aktivist*innen mit Vermummung, Helmen und Schildern. „Passive Bewaffnung“ ist erlaubt.
Viele Gesetze sind je nach Bundesstaat unterschiedlich. Das betrifft auch die Wirkungsweise der Polizei und macht so einheitliche Strategien bei Demonstrationen schwierig. So durchbrach ein Splitter einer Schockgranate der Polizei 2018 den Helm eines Antifaschisten und verletzte ihn schwer. In Sacramento verletzten Nazis, der Gruppe Golden State Skinheads, mehrere Aktivist*innen mit Messern, da die Polizei sich trotz Präsenz zurückhielt. Lokale Antifaschist*innen beziehen diese Situation darauf, dass in der Stadt vor allem Verkehrspolizist*innen eingesetzt werden, die keine Erfahrung mit der Kontrolle von Versammlungen haben.
Die Polizeistrategie zielt in der Regel nicht auf Trennung der Nazis von der Gegendemonstration, stattdessen greifen Polizisten einfach die Antifa-Demos an. Das Resultat sind oft schlimme Verletzungen – von ausgeschlagenen Zähnen bis zu Schusswunden. Außerdem: Viele Aktivist*innen haben keinen Zugang zu einer Krankenversicherung und müssen die Arztkosten selber tragen. Damit weiterhin möglichst viele Menschen an den Anti-Nazi-Aktionen teilnehmen, wird das ganze Jahr, vor allem durch Crowd Funding Kampagnen, Geld für Arztrechnungen gesammelt. Auch das ist Antifaschismus in den USA.
Nicht nur das: Der Tod wird riskiert. Ständig. So gut wie alle Rechten besitzen Schusswaffen und können damit umgehen. Um zu illustrieren, dass klassische Search and Destroy Aktionen, wie die Wohnung eines Nazi-Kaders zu zerstören, in Deutschland immer noch eine wichtige Rolle spielen, zeigen wir bei unseren Vorträgen ein Video aus Leipzig. Es wird schnell klar: Solche Aktionen sind in den USA unmöglich. Stand your ground laws, also Gesetze, die es ermöglichen, Personen zu erschießen, die auf das eigene Grundstücke eindringen, verhindern das.
Antifaschismus am Schießstand
Und wie steht die Linke zu Schusswaffen? Vielen Aktivist*innen sprechen sich für einen sicheren Umgang und Wissen über die Nutzung aus. Hier hat sich für uns der tiefste Graben aufgetan: Gleich bei unserem zweiten Stopp hauen uns Aktivist*innen an, mit uns auf den Schießstand zu gehen. Und das bleibt nicht die letzte Einladung. Während scharf Schießen für viele Genoss*innen zur Normalität gehört, fühlen sich die Waffen für uns komplett absurd an.
Dass in Deutschland Waffen fast nur in der Hand des Staates legal sind, finden viele amerikanische Antifaschist*innen verrückt. Sich zumindest hypothetisch gegen die Staatsmacht verteidigen zu können, gilt als Konsens. Von den Meisten wird Entwaffnung daher entweder abgelehnt oder als derzeit nicht möglich angesehen.
Einige Gruppen wie „John Brown Gun Club“, die auch als Redneck Revolt bekannt sind, benutzen Waffen zur Selbstverteidigung, zum Beispiel um antifaschistische Demonstrationen vor Naziübergriffen zu schützen. Aber auch aus symbolischen Gründen: Die Aktivist*innen von John Brown Gun Club wollen auch das weiße Proletariat der USA ansprechen. Einer ihrer Solgans ist „Putting the Red back in Redneck“. Die Symbolik der Freiheit mittels Waffen soll sozialistisch besetzt werden und so tritt die Gruppe zum Beispiel bei Gun Shows (Messen für Schusswaffen) auf. Nicht selten direkt neben Ständen von rechten Waffennarren.
Der Alltag der meisten Antifaschist*innen an der Westküste konzentriert sich aber auf Gegenproteste und „doxxing“ (deutsch: Outing). Die Taktik war in der Vergangenheit sehr erfolgreich, denn: In den USA gibt es kaum Gesetze zum Kündigungsschutz. Geoutete Nazis verlieren häufig ihren Job, um nicht-weiße Kund*innen nicht zu verschrecken. Die Antifa Gruppe „Rose City Antifa“ aus Portland stellt unablässig Profile von Nazis in die sozialen Medien. Seit Charlottesville ist das beinahe ein Selbstläufer: Der Schock über die Gewalt war so groß, dass die verbreiteten Outings schnell zu Reaktionen von Nachbar*innen und Arbeitgeber*innen der Nazis führen. In der harten sozialen Realität der USA kann ein gekündigter Job leicht eine ganze Existenz zerstören.
Wer sind die Menschen, die sich in den USA den Rechten entgegen stellen?
Antifaschistische Strukturen rekrutieren sich an der Westküste der USA nahezu ausschließlich aus der anarchistischen Subkultur. Was auch auffällt: Viele Menschen mit queerer Identität sind in den Gruppen organisiert. Und der typische Antifa Sport-Boy? Eher selten. Auch ist die Szene viel weniger akademisch als in Deutschland. Das ist kein Wunder, bei den happigen Studiengebühren und der Tatsache, dass viele Antifaschist*innen nicht aus wohlhabenden Elternhäusern kommen.
Während aus unserer Erfahrung Konflikte zwischen Klassen- und Identitätspolitik in Deutschland sehr vehement ausgetragen werden, erscheint der Umgang der US-Genoss*innen damit entspannter. Das mag daran liegen, dass der akademische Raum für die Szene kaum eine Rolle spielt. Begriffe, wie beispielsweise „Privilegien“ werden pragmatisch im eigenen Sprachgebrauch und politischen Alltag genutzt, ohne sich in Identitätspolitik zu verlieren, die als liberal gilt.
In Washington und Oregon, die bis in die 60-er Jahre White Ethnostates, waren, also Staaten, in denen Wohnen, Aufenthalt bzw. Staatsangehörigkeit nur weißen Menschen erlaubt war, gibt es weniger Genoss*innen of Color. In Kalifornien dagegen ist vor allem in Oakland und Los Angeles das Erbe der Black Panthers deutlich. Überall ist mindestens eine Tradition von African American und Native Solidarität zu beobachten. So beziehen sich alle Gruppen bei unseren Vorträgen darauf, dass die USA ein „Siedler Staat“ ist, also auf Kolonialismus beruht. Auch die Themen Sklaverei und Gefängnis fließen immer wieder in politische Analysen ein. In den USA kann nicht über Inhaftierung gesprochen werden, ohne nicht auch Rassismus zu thematisieren.
Alles anders also? Nein, es gibt auch Gemeinsamkeiten zwischen den USA und Deutschland, gerade in Bezug auf die Neue Rechte. Das liegt auch daran, dass die Rechte weltweit gut vernetzt ist und sich gegenseitig mit Geld unterstützt.
Ein Beispiel sind die „Proud Boys“, die in der Region von Portland eine besondere Rolle spielen. Die selbsternannten Western Chauvinists sind eine Nazi-Gang neuen Typs. Insbesondere Frauen*feindlichkeit zählt zu ihren Markenzeichen. Mit ihren schwarz-gelben Fred-Perry-Hemden und der Behauptung nicht rassistisch zu sein, weil sie ja People of Color in den eigenen Reihen hätten, ziehen sie vor allem junge weiße Männer aus der traditionellen konservativen Mittelschicht an. Diese Logik der Vereinnahmung von eigentlich verhassten Gruppen, kennt man auch von der AfD. Allerdings geben sich die „Proud Boys“ nur äußerlich als feine Herren, die ihr Vaterland verteidigen wollen. Ihre Fäuste sind ihr stärkstes Argument.
Anders Richard Spencer, der nachdem er in einem Live-Video von einem Antifaschisten ins Gesicht geschlagen wurde, traurige Berühmtheit erlangte. Richard Spencers Agenda ist es, durch die von ihm begründete Alt Right (von Alternative Right) Bewegung, die USA auf „friedliche Weise“ zu einem weißen Ethnostaat zu machen. Ähnlich wie in Europa auch, setzt seine rassistische Ideologie auf ein intellektuelles Image, bedient sich Think Tanks und unterstützt Trump im Wahlkampf.
Wie erfolgreich Antifa in den USA sein kann, lässt sich an Spencer deutlich zeigen: Nach nicht abbrechenden Gegenprotesten bei einer Vortragsreise an Universitäten brach er diese ab und veröffentlichte anschließend ein Video, in dem er mitteilte: „Antifa is winning“ – Bessere Werbung kann man wohl nicht bekommen.
Insgesamt treffen wir die unterschiedlichsten Antifaschist*innen, mit den unwahrscheinlichsten Biografien. An einem Abend laufen wir mit einer 50-jährigen Anarchistin, die auf einem Trailerpark aufwuchs, in Oakland durch ein Viertel, das in den letzten Jahren starker Gentrifizierung ausgesetzt ist. Als wir ihr erzählen, wie heruntergekommen die Straßen auf uns wirken, sagt sie uns sehr direkt, dass wir keine Ahnung haben, wie Armut aussehen kann.
Armut in einem solchen Ausmaß und der Rassismus in den USA: Davon haben wir wirklich keine Ahnung. Wir werden von einem jungen Sikh eingeladen ihn bei seiner Familie, auf dem Land zu besuchen. Er zeigt uns die Rosinen-Felder seiner Eltern, auf denen er arbeitet und erzählt uns nebenbei von der Sikh-Community und wie er Anarchist wurde: Nach einer Identitätskrise, die der ehemalige US-Marine aus dem Irakkrieg mit nach hause brachte. Durch den Militärdienst kann er sich jetzt sein Studium leisten und versucht andere Veteranen sozialistisch zu organisieren.
Ein Gefühl der Motivation bleibt, als wir wieder in Deutschland sind. Ist es die kalifornische Sonne, die wir nachspüren? Vielleicht. Was hängen bleibt: Den Mut und die Entschlossenheit der US-amerikanischen Antifa. Trotz aller Schwierigkeiten kämpfen sie weiter und haben Erfolge zu verbuchen.
Außerdem: Die Bewunderung der US-Genoss*innen für die linksradikale Szene in Deutschland. Während die deutsche Linke sich oft selbst nicht ernst nimmt, ständig zweifelt und klein redet, was sie kann und erreicht hat, ist das einzige, was Antifaschist*innen in den USA nicht ernst nehmen, die Antideutschen. Die antifaschistische Geschichte in Deutschland ist ein Erbe, das es uns heute leichter macht. Strategiediskussionen, bundesweite Organisationen und Infrastruktur, wie Autonome Zentren: was aus unserer antifaschistischer Tradition entstanden ist, sollten wir als Stärke sehen und dieses Potential verteidigen und ausbauen.
Gelegentlich weit weg zu fahren, um mit der nötigen Distanz neuen Mut zu schöpfen, ist auch ganz hilfreich.
Weiterführende Links:
RoseCity antifa : https://rosecityantifa.org
https://de-de.facebook.com/sometimesantisocialalwaysantifascist/
Torch Network: https://torchantifa.org/chapters/
John Brown Gun Club LA: https://twitter.com/lajbgc?lang=de
bzw.: Redneck Revolt: https://www.redneckrevolt.org
Sozialistische Veteranen: https://www.dsausa.org/working-groups/veterans-working-group/
bzw.: https://aboutfaceveterans.org