Mag man Film und Fernsehen glauben, können Inder*innen zwei Sachen: Schüchternes Computer-Genie oder mysteriöse Frau, die einen im Sari tanzend in eine Welt der Farben und Gewürze entführt. Mit einer zu schlafen verwechseln manche da leicht mit einer All-Inclusive-Reise nach Mumbai. Als 24-Jährige mit indischer Migrationsgeschichte hoffe ich vor jedem Date hingegen nur auf eines: „Bitte, bitte, bitte. Sag einfach nichts Rassistisches“.
Vor ein paar Monaten ging ich auf ein Date mit meinem Nachbarn: Süßes Lächeln, schöne Stimme. Gemeinsam laufen wir zur nächsten Bank und schlürfen Kaffee. Es sind erst zehn Minuten vergangen und er fragt mich, wo ich denn eigentlich herkomme, also so wirklich richtig. Ich sähe ja schon anders aus, als man das gewöhnt sei. Ich gebe nach: „Indien“, sage ich. „Und meine Mutter ist britische Inderin“.
„Ach was!“, sagt er freudestrahlend. Indisch esse er total gerne. Außerdem „habe ich diesen pakistanischen Freund. Super netter Typ. Und der klingt immer so witzig“. Plötzlich verschwindet das schöne Lächeln, er rollt seine Zunge zurück und imitiert Kaya Yanars Ranjid-Figur: „I’m a Punjabi playboy, eh? Wie es dir gehen, Sonali?“, fragt mich mein Nachbar. Ich lächle, kichere sogar unbeholfen mit. Seufzend denke ich darüber nach, dass ich den Müll ab jetzt immer nachts wegschmeißen muss.
Vergangene Woche dann das Skype-Date. Diesmal dauert es nur fünf Minuten, bis die W-Frage anklopft. Es folgt ein 20-minütiger Monolog über indische Philosophie und Kultur. Schnell merke ich: ich werde nicht gefragt, ich werde belehrt, mit Aussagen, die darauf fußen, dass er die erste Hälfte von Slumdog Millionaire geschaut hat. Dann lacht er: „Betest du dann auch so Kühe an?“
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Ich atme tief durch, gebe ihm noch eine Chance. Er ist sicherlich nur nervös und will lustig sein. Nach weiteren zehn Minuten: „Die sind da ja auch echt alle arm in Indien. Aber zumindest glücklicher“.
Zum Fetisch erklärt
Dass ich Inderin bin – oder anders: dass ich weder kartoffeldeutsches Aussehen noch Namen habe – scheint den ersten Akt aller meiner Dates zu schreiben. Dass sich Typen mit mir treffen wollen, hat allerdings oftmals wenig mit aufrichtigem Interesse zu tun. Vielmehr wird mir klar gemacht, wie „anders“ ich bin: wie anders ich aussehe, wie anders mein Name ist – und wie besonders sie sind, dafür, dass sie sich für mich interessieren. Ich, die ihr Leben lang in Deutschland gelebt und Bratwurst gegessen hat, bin plötzlich das Nischeninteresse: Ich werde exotisiert.
Und werde dadurch zwangsläufig an Pornos erinnert, in denen mit kopftuchtragenden Frauen geworben wird. An Videotitel, die „ebony“ rufen und nie „white“ sagen. An Freund*innen, die mir erzählen, dass sie schon immer mal mit einem Schwarzen Mann rummachen wollten und das als links oder progressiv ansehen. Seitdem mir als viel zu junge Frau von viel zu alten Männern im Club zugeflüstert wird, dass ich ja so schön exotisch aussehen würde, weiß ich: Ich bin ein Fetisch. Die Möglichkeit, seinen Exotisierungsdrang beim Reisen, seine Lieblingspornokategorie auszuleben. Und so wird meine Kultur, meine Hautfarbe belächelt, erniedrigt und zu meinem Alleinstellungsmerkmal erkoren: Indisch? Geil, hatte ich noch nie, kann man mal machen.
Im fünften Monolog des Skype-Dates redet er übrigens über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronakrise. Alle paar Minuten sagt er „Unterbrich mich gerne, wenn du was sagen willst“ und ich schätze, in seiner Welt ersetzt das ein „Was meinst du?“
Meinem frustrierten Ausdruck entnimmt er irgendwann: „Naja, Wirtschaftsthemen langweilen Frauen ja schnell“. Ich lache, trinke einen Schluck und steige in den Ring. Es folgt: Eine Diskussion über Gewalt gegen Frauen, die Frage, warum einen Dinge interessieren sollten, die einen nicht unmittelbar betreffen. Ich rede über Statistiken, etwa vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, weise freundlich auf Artikel und Zeug*innenberichte hin und trinke, trinke, trinke. Er sagt, ich sei getriggert. Und erst dann, nach fast drei Stunden, ziehe ich die Bremse. Ich höre, wie ich mehrmals Margarete Stokowskis Namen sage – fast so, als würde ich hoffen, die Feministin neben meinem Sofa herbeibeschwören zu können – und sage Tschüss.
Woher kommt die Angst, zu übertreiben?
Doch, wie so oft, bin ich wütend – auf mich. Warum habe ich das wieder so lange laufen lassen, bin nicht schon nach den ersten Kommentaren für mich eingestanden? „Ich weiß es doch besser“, sage ich mir, „Ich lese doch Die Zeit und folge der Journalistin Alice Hasters auf Instagram“. Auf andere alltagsrassistische Kommentare reagiere ich sonst viel schlagfertiger, viel kompromissloser – von Mitbewohner*innen, die die Farbe verbrannter Pizzen „südländisch“ nennen bis hin zu Frauen in Wartezimmern, die mich unironisch fragen, ob meine dunklere Haut Hitze spürt. Warum also habe ich hier, wo es um eine potenziell viel intimere Beziehung geht, keine Grenzen gezogen, obwohl ich wusste, dass für mich eine Grenze überschritten war?
Die Antwort finde ich am Boden des vierten Glases Wein: Weil ich geliebt werden will. Weil meine Einsamkeit so groß ist wie der Lockdown lang und meine Libido so fordernd wie bei allen, die um zwei Uhr nachts in einer Dating-App swipen. Für zwei Stunden wird mir das Fetischkostüm angezogen, es wird mit dem Finger gezeigt, gelacht, sich aufgegeilt und ich streife es nicht ab. Weil ich Angst davor habe, dass ich überreagiere, Gespräche unnötig nach Schlagworten absuche: „Und überhaupt, könne ich das ja gar nicht erwarten, dass jemand außerhalb meiner linken Bubble meine Sprache spricht“, sagt eine leise, überraschend bayrisch klingende, Stimme in mir.
Müssen Migrantenkids in ihren Beziehungen also Übersetzer*innen spielen? Immerzu erklären, welche Worte degradieren. Verständnis zeigen, wenn diese Worte doch herausrutschen. Die andere Person stetig dazu motivieren, toxische Verhaltensmuster zu verlernen, damit sie dich irgendwann versteht? Ist das der Preis, den wir für Liebe zahlen müssen?
Der Wunsch, wirklich gesehen zu werden
Denn das Problem dieser Dating-Erfahrungen ist keine Sache von Begrifflichkeiten. Es ist nicht das Verlangen, dass die Person, die man lieben will, den Unterschied zwischen People of Colour und Black and Indigenous People of Colour aufsagen kann. Es ist der Wunsch, als komplexer Mensch wahrgenommen zu werden. Der Wunsch, dass die eigene Kultur als wichtiger und nicht einziger Bestandteil des Charakters gesehen wird. Der Wunsch, dass auch das oberflächlichste Alleinstellungsmerkmal, das man zu bieten hat, nicht die Hautfarbe ist, sondern etwa das süße Lächeln, die schöne Stimme.
Während ich mich als Frau bei den Wirtschaftsthemen meines Skype-Dates langweilen lasse, denke ich an meine Mutter. Wie sie betend vor dem kleinen Altar in ihrem Schlafzimmer steht, wie sich der Raum langsam mit dem Duft von Sandelholz der Räucherstäbchen füllt. In meiner Welt gibt es tatsächlich Vieles, das anders ist. Aber ich bin keine Sehenswürdigkeit, mich zu daten keine Urlaubsreise. Und Touris mag eh keiner.