Der Rapper Amewu zählt zu den Veteranen der Berliner Hip-Hop-Szene. Im Jahr 2009 brachte er das Album „Entwicklungshilfe“ heraus, im Jahr 2012 legte er mit dem Album „Leidkultur“ nach. Er ist eher auf der Bühne als im Studio zu Hause und bekannt als Live-MC. In seinen tiefgründigen Texten geht es um die menschliche Psyche, Depressionen, die Gesellschaft und Politik. Mit Supernova sprach er über den Rechtsruck in Deutschland, die Wohnungsnot in Berlin und die Rolle von Rap in politischen Debatten.
Um dich ist es ruhiger geworden. Wäre es bei dem ganzen Irrsinn, der gerade passiert, nicht höchste Zeit, dass du wieder mehr von dir hören lässt?
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Auf Facebook hat mir das auch gerade jemand geschrieben, da konnte ich nicht viel gegen sagen. Ich habe die ganze Zeit viel live gespielt, habe aber auf jeden Fall auch Lust, bald wieder Tracks herauszubringen.
Du hast dich letzte Woche mit der Besetzung des Google-Campus in Berlin-Kreuzberg solidarisiert. Warum?
Ich sehe Besetzungen als legitimes Mittel des Widerstandes. Womit ich mich solidarisiere, kann man unter #besetzen nachlesen. Ich sage nicht, dass es generell schlecht ist, Gesetze zu haben oder sich an bestimmte Regeln zu halten. Aber, und damit hatte ich schon in der Schule, Probleme: Es gibt bestimmte Regeln, die keinen Sinn machen. Gerade in diesem Land, mit dieser Geschichte ist es nicht cool, sich immer an die Regeln zu halten und die Vorschriften zu befolgen. Nicht zu Unrecht gibt es den Satz: „In Deutschland wird es keine Revolution geben, weil man dafür den Rasen betreten müsste.“
Du bist in Berlin geboren und aufgewachsen. Wie nimmst du die Veränderungen in der Stadt wahr?
Die Bezirke haben sich stark verändert, vor allem natürlich die Mieten sind extrem gestiegen. Die Wohnung in Charlottenburg, in der ich aufgewachsen bin, könnte ich mir heute nicht mehr leisten – und das liegt nicht daran, dass ich weniger Geld verdiene, als meine Mutter damals verdient hat. Heute werden Familien auf die Straße gesetzt wird, weil jemand mit Wohnungen spekuliert.
Wir müssen für solidarische Gemeinschaften einstehen, die aufeinander aufpassen.
Was kann man dagegen tun?
Wir müssen für solidarische Gemeinschaften einstehen, die aufeinander aufpassen und so was verhindern. Ich finde es bescheuert die Schuld für die Probleme in Berlin, nur Menschen aus Süddeutschland zu geben. Jeder, der sich entscheidet, hier zu wohnen, hat ein Recht darauf. Mir ist es egal, ob ein Berliner, Schwabe oder Bayer in seiner Kreuzberger Dachgeschosswohnung sitzt und darauf scheißt, wie es seinen Mitmenschen geht. Wenn du irgendwo wohnst, solltest du gucken, was um dich herum passiert und dich für deine Nachbarschaft einsetzen.
Wie nimmst du die derzeitige politische Entwicklung in Deutschland wahr?
Ich nehme die Entwicklung schon sehr lange als bedrohlich wahr. Abgesehen von der Diskriminierung, die ich als Kind erfahren habe, dachte mir immer, wenn es in der Schule um Politik ging: Okay, die Welt brennt. Viele meiner Mitschüler haben das nicht so wahrgenommen. Ich konnte es nie verstehen, wie das an ihnen vorbeizieht. Doch auch ich habe das Gefühl, dass es gerade immer krasser wird und sich die Leute trauen immer extremere Dinge zu sagen.
Merkst du, dass der Rassismus zunimmt?
Ich kann nicht in die Köpfe der Menschen schauen. Aber heute sind die Vorlagen für Diskriminierung viel stärker als noch vor ein paar Jahren. Ich finde es entlarvend und heuchlerisch, dass auf einmal so viele Menschen wegen dem Thema Migration ausflippen. Die deutsche Sozialpolitik ist seit vielen Jahren absolut verfehlt – und niemand ist deswegen ausgerastet. Es gab so viele Gründe, zu rebellieren.
Hast du Beispiele?
In Berlin wurde ein Großteil der Sozialwohnungen verkauft. Die kostenlose staatliche Rechts- und Sozialberatung gibt es größtenteils nicht mehr. In der Jugendhilfe werden seit Ewigkeiten Mittel gekürzt. Es gibt die Illusion eines funktionierenden Sozialsystems, das Bürger in schwierigen Lebenslagen auffängt. Doch dieses ist inzwischen total marode und es herrscht Personalmangel. Und es wird propagiert, dass das größte Problem von Hilfsleistungen sei, dass sie missbraucht werden. Gefühlt gibt es ein funktionierendes Sozialsystem. Wenn es mir dann trotzdem schlecht geht, bin ich selbst schuld. Früher wurden die „Hartz IV-Schmarotzer“ zum Problem. Jetzt sind es die „Schmarotzer“ aus dem Ausland und plötzlich hat man Mitleid mit den mittellosen Deutschen. Diese wiederum fühlen sich nun ermutigt, auf Leuten rumzuhacken, die „unter ihnen stehen“, was wahrscheinlich ein Gefühl von Kontrolle in gefühlter Machtlosigkeit gibt. Das ist eine Erklärung, aber keine Entschuldigung. Außerdem: Viele, die sich jetzt diskriminierend äußern, haben definitiv keine Geldprobleme. Manche machen das in konsequenter Fortführung der Geschichte, andere nutzen das als politisches Instrument. Alle sollten damit aufhören.
Du engagierst dich seit Jahren für die Rechte von Geflüchteten. Menschen in deinem näheren Umfeld saßen im Abschiebeknast. Wie nimmst du die aktuellen Debatten um Asyl und Flucht wahr?
Ich finde wir müssen grundsätzliche Positionen diskutieren: Finden wir es legitim, dass wir Menschen einfach sterben lassen? Sind uns bestimmte Leben weniger wert als andere? Wollen wir überhaupt auf eine faire Art und Weise zusammenleben? Ich finde es beispielsweise absurd, Menschenrechtsverletzungen nach Libyen auszulagern, um sich hier als zivilisierte Gemeinschaft zu inszenieren. Man muss sich doch nur einmal anschauen, was dort abgeht. Ich kann verstehen, dass die Menschen sich denken: Bevor ich in Libyen krepiere, gehe ich das Risiko ein, im Meer zu ertrinken. Zum Thema Flucht empfehle ich immer wieder das Buch „Blackbox Abschiebung“.
Oft scheint es so als seien nur AfD und Neonazis das Problem.
AfD und Neonazis erfüllen eine Rolle. Sie werden als das große Problem präsentiert. Der Tenor ist: Wenn die nicht wären, gäbe es keinen Stress. Aber diese Probleme gab es auch schon vorher. Und nicht nur die AfD ist dafür verantwortlich, dass Menschen im Meer ertrinken.Wenn es den kleinsten gemeinsamen Nenner gibt, dass man Nazis Kacke findet, ist das okay. Aber so werden viele Probleme nicht effektiv bekämpft.
Rap ist auch ein Spiegel der deutschen Gesellschaft.
Nach den rechten Ausschreitungen in Chemnitz haben sich etliche Musiker*innen öffentlich gegen Rechts positioniert. Warum haben viele Rapper geschwiegen?
Bei der Aktion #seebrücke haben auch einige größere Namen der Rapszene mitgemacht. Ich habe leider den Termin versäumt, sonst wäre ich auf jeden Fall dabei gewesen. Aber du hast Recht, die Szene hat sich sehr zurückgehalten. Hip-Hop ist in Deutschland nicht explizit links und vertritt auch keine klare Meinung zur Flüchtlingsthematik. Rap ist eben auch ein Spiegel der deutschen Gesellschaft. Und viele Leute interessieren sich einfach nicht für Politik. Außerdem gehst du als Rapper mit politischen Botschaften immer ein Risiko ein. Nämlich, dass die Konsumenten nicht deiner Ansicht sind. Wenn du also eher opportunistisch denkst, gehst du dieses Risiko nicht ein. Rap ist in Deutschland komplett im Mainstream angekommen.

Nervt dich das?
Teilweise sagen mir Leute, dass es für mich doch nur von Vorteil sei, dass Rap wächst und sich immer mehr Menschen für Hip-Hop interessieren. Ich habe aber nicht mit Rap angefangen, weil ich Geld machen wollte. Damals waren wir eine kleine Szene. Das, was ich als Rap betrachte und mir wichtig ist, ist immer noch als Subkultur vorhanden. Mich nervt, dass man das oft mit dem ganzen Mainstream-Kram in einen Topf wirft. Aber ja: Früher hatte man mit viel mehr Leuten zu tun, die sich wirklich für Rap interessieren und nicht nur damit Geld machen wollen.
Du bist auch auf Freestyle-Battles aufgetreten. Dort geht es darum, den Kontrahenten verbal fertig zu machen. Gibt es für dich Grenzen?
Ich bin nicht so häufig auf Freestyle-Battles aufgetreten, sondern eher auf Freestyle-Sessions, bei denen man einfach ohne Gegner freestyled. Für mich gibt es Grenzen, aber ich finde es schwierig, das pauschal festzulegen. Es gibt definitiv Situationen, in denen jemand eine geschmacklose Line rappt und ich darüber lachen kann – einfach weil die Line gut ist. Aber es gibt definitiv gute Lines, die so geschmacklos sind, dass ich nicht darüber lachen kann.
Hip-Hop schlägt aus bürgerlichen Kreisen viel Gegenwind entgegen. Merkst du, dass du manchmal schärferer Kritik ausgesetzt bist, weil du Rap machst und keinen Deutschpop oder Schlager?
Ja schon. Das Standardvorurteil ist ja, dass alle Rapper dumm, frauenverachtend und homophob sind. So was hört man häufig. Aber auch in linken Zusammenhängen, bekommt man manchmal komische Dinge zu hören.
In der linken Szene ist mir oft das Korsett zu eng.
Zum Beispiel?
Ich mache bei meinem Song „Training Day“ oft Liegestütze im Refrain. Es kamen schon mehrmals Leute zu mir, die mir teilweise sehr anmaßend mitteilten, dass ich das nicht machen dürfe. Es gibt viele Punkte, an denen Kritik total okay ist und ich Rap niemals in Schutz nehmen würde. Ich habe kein Problem zu sagen, dass ich es problematisch finde, wie sich Rapper äußern und finde viele Texte beschissen. Aber bei manchen Leuten frage ich mich, wo die mit ihrer Kritik landen – nämlich nur bei Leuten, die sowieso schon ihrer Meinung sind. Den Kontakt zum Rest haben die schon verloren. In der linken Szene ist mir oft das Korsett zu eng. Safe Spaces sind wichtig, aber manche Leute entfernen sich sehr weit von gesellschaftlichen Realitäten und es findet kein Dialog mehr statt.
Du plädierst also für mehr Offenheit?
Total! Ich bin auf jeden Fall dafür, dass es Räume geben muss, in denen sich Leute sicher vor Diskriminierung fühlen. In anderen Situationen sollte man sich aber ein bisschen mehr öffnen.
Und wo spielst du lieber, im schicken Hip-Hop Club oder im autonomen Zentrum?
Ich mag beides. An linken Kontexten mag ich, dass die Leute sehr genau zuhören, was ich rappe. Obwohl ich auch manchmal den Eindruck habe, dass es Ihnen zu sehr um politische Statements geht. Und ich mache ja nicht so oft explizit politische Aussagen. Es geht in meinen Texten auch viel um Emotionen und die Psyche. Ich brauche definitiv aber auch den Freiraum der Hip-Hop-Szene und ich fühle mich dieser auch sehr verbunden. Hip-Hop-Clubs sind allerdings nicht immer schick (lacht).