„Ey, wie siehstn du aus?! Dass du dich überhaupt in dem Yuppieaufzug hier reintraust…“ Mit diesen Worten werde ich begrüßt, als ich zur Geburtstagsparty eines Freundes in einer linken Szenekneipe stoße. Im Gegensatz zu den anderen Leuten in dem Laden, die vor allem zerfetzte Hosen und Shirts anhaben, rauchend und Sterni trinkend an abgerockten Tischen sitzen, trage ich eine schwarze hoch geschnittene Anzughose, einen schwarzen Blazer, ein weißes Hemd und auffälligen Goldschmuck.
Weil ich solche Situationen schon häufiger erlebt habe, beginne ich laut zu lachen und kontere: „Fragt sich, wer hier gerade der Yuppie ist.“ Über die Bezeichnung „Yuppie“ muss ich schon sehr schmunzeln: Mein Vater ist Landschaftsgärtner, meine Mutter Krankenpflegerin und ich gehöre zur ersten Generation in meiner Familie, die studiert. Wohingegen die mich als „Yuppie“ bezeichnenden Leute aus bildungsbürgerlichen akademischen Haushalten kommen.
Meine Klamotten sind der Anlass, mich zu kategorisieren – nicht nur das: Sie sorgen dafür, dass Menschen glauben, meine Vergangenheit, meine Bildungschancen, meinen sozialen Hintergrund zu erkennen und daraus abzuleiten, wer ich heute sei und wo ich hingehöre. Anscheinend nicht in eine linke Szenekneipe! Egal, ob ich in der Schule zerrissene Chucks anhatte, die bei meiner Lehrerin mit Doktortitel in Latein Besorgnis ausgelöst hatten, oder ob ich im links-studentischen Milieu Hosenanzug trage: Als Arbeiter*innenkind bekomme ich von Leuten aus einer bürgerlich-akademischen Klasse vorgeschrieben, was angemessen ist für meine vermeintliche soziale Zugehörigkeit.
___STEADY_PAYWALL___
Diese Vorschriften gehen häufig mit klassistischen Stereotypen einher, laut denen Personen aus sogenannten „unteren“ sozialen Schichten schmuddelig sind, kaputte Kleidung tragen und sich nicht die Haare waschen. Genau diese klischeebehafteten Fantasien von weißer Armutskultur eignen sich privilegierte Klassen manchmal an und reproduzieren sie. Das habe ich innerhalb der studentischen linken Szene häufig beobachtet. Ich habe es miterlebt, dass Personen aus solchen Kreisen mit ihrer angeblichen Armut hausieren gingen und es als cool empfanden, sich absichtlich mit ihrer Kleidung von ihrer bürgerlich-akademischen Klasse, zu der sie nun mal gehörten, abgrenzen zu wollen. Gleichzeitig wohnten diese aber in der Eigentumswohnung ihrer Eltern. Wie oft ich mir wegen solcher Momente fassungslos an den Kopf gegriffen habe, kann ich kaum noch zählen. Ganz zu schweigen von der fehlenden Einsicht mancher Personen, wenn ich ihnen erklären wollte, dass sie eben nicht arm sind.
Die fehlende Auseinandersetzung mit sozial benachteiligten Menschen ist unter anderem ein Grund dafür, wie sehr diese stigmatisiert werden. Es entstehen Mythen über Armut und wie Arbeiter*innen leben. Auch, weil es sehr wenige Arbeiter*innenkinder an die Universität schaffen: Laut des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung studieren nur 29 von 100 Kindern aus Nichtakademiker*innen-Haushalten. Aus Haushalten mit Hochschulabschluss sind es 79 Kinder. Wie die tatsächliche Lebensrealität vieler Arbeiter*innen aussieht, ist also kaum sichtbar für viele Studierende. Seit ich an die Uni kam und dadurch mehr Kontakt zu linken Studierenden hatte, stelle ich mir die Frage: „Stellt ihr euch ernsthaft so Armut oder die Arbeiter*innenklasse vor?!“
Entgegen solcher Klischees waren meine Familie und ich, auch wenn wir finanziell keine riesigen Sprünge machen konnten, meist passabel gekleidet. Was unter anderem daran lag, dass meine Mutter in einem Lager eines großen Textilhandelsunternehmens arbeitete, wodurch wir Mitarbeiter*innenrabatte bekamen. Außerdem habe ich weder meine Eltern noch Großeltern jemals in einer alten Jogginghose gesehen, geschweige denn mitbekommen, dass sie das abgefeiert hätten, wie linke Studierende es tun.
Das Privileg, zwischen zerrissenen oder schicken Jeans entscheiden zu können
Es gibt Personen, die zerrissene Kleidung oder Secondhand-Klamotten tragen müssen und auch kaum einen Zugang zu sanitären Anlagen haben, was zwangsläufig ihr Erscheinungsbild prägt. Der Unterschied zwischen diesen Personen und linken Studierenden besteht allerdings darin, dass sich beispielsweise ein*e Obdachlose*r nicht zwischen einer Levis-Jeans oder einer beabsichtigt kaputten Hose entscheiden kann. Darüber hinaus wird die Person auch noch für ihr ungepflegtes Auftreten beschämt. Unter manchen, meist weißen Studierenden hingehen gilt dies als cool. Diese Entscheidung ist ein Privileg, dessen sich die meisten nicht bewusst sind. Mitte dieses Jahres ging ein Tweet viral, in dem diese Ambivalenz von der neuseeländischen Journalistin Ana Samways aufgegriffen wurde: “What´s considered trashy if your poor, but classy if you´re rich?” Zu Deutsch: Was gilt als wertlos, wenn du arm bist, aber nobel, wenn du reich bist? Zerschlissene Kleidung zu tragen fällt auf jeden Fall darunter.
So ähnlich verhält es sich mit den kürzlich herausgebrachten Klamottenkollektionen der Discounter Aldi-Nord und Lidl. Die Kleidung sieht aus wie hippe Streetwear, auf denen sichtbar das jeweilige Firmenlogo zusehen ist. Hinzu kommt Werbung mit Influencer*innen und eine limitierte Vergabe der Kleidung auf einer Vernissage. Wer diese Klamotten trägt, bekennt sich öffentlich dazu, Discounterkleidung zu tragen und das abzufeiern. Ich wage zu bezweifeln, dass weder die Influencer*innen noch die Leute, die stundenlang Schlange stehen, um Aldiklamotten zu ergattern, auf Discounterkleidung angewiesen sind. Im Gegensatz zu einem großen Teil der deutschen Bevölkerung: Die Aldi-Gruppe belegte im Textileinzelhandel in Sachen Umsatz im Jahr 2019 den 13. Platz. Damit erzielte Aldi mehr Einnahmen durch Kleidung als Primark, New Yorker oder die KaDeWe-Group.
Ich unterhalte mich selten mit Leuten, die sagen: „Hey, haste meine neue Jeans gesehen!? Denkt man gar nicht, aber die ist von Aldi. Richtig hammer!“. Das liegt vermutlich nicht nur daran, dass man vor allem aus finanziellen Gründen zur Jeans vom Discounter für 9,99 Euro greift. Sondern auch, weil Armut in unserer leistungsorientierten kapitalistischen Gesellschaft stigmatisiert wird, man angeblich selbst daran schuld oder schlichtweg faul ist.
Durch mein Erscheinungsbild wurde mir klar: Ich gehöre einfach nicht dazu
Solche wie zu Beginn beschriebenen ausgrenzenden Situationen zu erleben und diesen selbstbewusst entgegenzutreten, hat mich viel Scham, schief gelaufene Anpassungsversuche und Gefühle, nicht dazuzugehören, gekostet. Richtig bewusst ist mir das erst im Uni-Kontext geworden und als ich mich zunehmend in dortigen linkspolitischen Kreisen orientierte.
So lud meine viele Schminke und vermeintlich „nicht-linke“ Kleidung (anscheinend ist es niemandem aufgefallen, dass meine Anzughose mehrmals vom Änderungsschneider meines Vertrauens geflickt wurde) Leute häufig dazu ein, mich in eine Schublade zu stecken und von meinem politischen Unwissen auszugehen. Ungefragt wurden mir Dinge erklärt, die ich schon wusste, aber für diese Leute nicht wissen konnte, da meine Kleidung etwas anderes sagte.
Auch in anderen Bereichen wurde mir Wissen abgesprochen. Seit ich 15 Jahre alt war, bin ich linkspolitisch engagiert und in queeren Kontexten unterwegs. Ein ehemaliger Mitbewohner erzählte mir von einer queeren Veranstaltung, die er besucht hatte. Auf einmal fing er an, mir ausführlich zu erklären, was LGBTQI+ bedeutet. Irgendwann unterbrach ich ihn und sagte, dass mir durchaus bewusst sei, was das heißt. Seine Antwort war betretenes Schweigen.
Inmitten all dieser Erfahrungen versuchte ich, mich äußerlich an meine Bekanntenkreise in der Uni anzupassen. Das Gefühl, nicht dazuzugehören, blieb. Mein verändertes äußeres Erscheinungsbild blieb eine Hülle, die meine Herkunft im ersten Moment verschleierte. Deswegen legte ich diesen Look schnell wieder ab und kehrte zu dem zurück, worin ich mich wohlfühlte: Make-Up, Absatzschuhe und Hemden. Zusätzlich setzte ich mich mehr mit dem Thema Klassismus auseinander. Ich verstand, dass Diskriminierung aufgrund meiner sozialen Herkunft nicht mein individuelles, sondern ein strukturelles Problem ist. Meine Kleidung verstehe ich nun als Statement, um Stigmatisierung aufzubrechen und Menschen ihre Voreingenommenheit zu spiegeln. Was ich damit zeigen will ist, dass Klassenzugehörigkeit und daraus resultierende Diskriminierung sehr komplex sind. Beschäftigt euch besser mit Personen aus anderen sozialen Schichten, als nur über sie zu sprechen und vergammelte Kleidung abzufeiern!