Aktionslabor im Rheinland, Sommer 2016: Ein junger Typ, der wohl wie viele andere das erste Mal auf einem Klimacamp ist, spricht mich schüchtern an. „Du, sag mal, warum tragen hier eigentlich so viele Frauen einen Undercut wie du? Ist das irgendein politisches Zeichen oder hat das mal eine Freiheitskämpferin getragen?“ Ich lache laut los und muss ihm ehrlich gegenüber eingestehen, dass das einfach ein Modetrend unter uns Linken in der Klimagerechtigkeitsbewegung ist und nicht sehr viel mehr sagen will als: „Ich gehöre dazu, ich lehne normierte Schönheitstrends ab und rasiere mein Haar an Stellen, wo es andere stehen lassen und umgekehrt.“
Die Klimagerechtigkeitsbewegung kämpft gegen schmutzige Energieriesen, dreckige Braunkohle und den fossilen Kapitalismus.
Schicke Klamotten lehnen wir ab, denn sie sind ja nur ein weiterer Ausdruck einer auf Wachstum und Profit basierenden Ökonomie, die uns in immer kürzeren Abständen immer mehr verkaufen will. Außerdem ist Modisches furchtbar unpraktisch bei Kletter- und Ankettaktionen. Insofern könnte man meinen, die Klimabewegung hätte keinen Style. Das ist natürlich Unsinn, denn wie jede andere Subkultur haben auch wir unsere ganz eigenen Trends und legen viel Wert darauf, unsere Politik mit Style nach außen zu tragen. Was aber ist der optische Stallgeruch, der gleichermaßen den kapitalistischen Mainstream ablehnt und uns einander erkennen lässt?
Unser Kleidungsstil sendet die Botschaft aus, dass unsere politischen Überzeugungen auch unseren Alltag bestimmen. Wir leben schließlich in einer Externalisierungsgesellschaft, in der global gesehen die einen auf Kosten der anderen profitieren, und diese wollen wir überwinden. Daher tragen wir ausgefranste Shirts und Shorts aus dem Umsonstladen, so können wir uns auch Bio-Quinoa und vegane Fairtrade-Schokolade leisten. Wir sind in überdurchschnittlicher Anzahl sportlich und schlank und haben gute Haut, was wohl eher ein Hinweis auf unsere Klassenherkunft ist als auf unser Stilbewusstsein. Markenklamotten sind bei uns verpönt, schließlich werden die aus Baumwoll-Monokulturen von versklavten Kinderhänden genäht, um anschließend in riesigen Frachtern um die halbe Welt verschifft zu werden. Liebe Antifas, seid willkommen auf unseren Camps und verschwestert euch mit unseren Kämpfen für eine gerechtere Welt. Aber bitte lasst eure hippen Schuhe zu Hause. Die werden in der Kohlegrube sowieso sehr schnell ruiniert. Hier ein kleiner Guide für die drei Style-Typen der Klimagerechtigkeitsbewegung, die in der aktuellen Herbstsaison frei miteinander kombiniert werden dürfen:
Typ A: Funktional, praktisch und naturverbunden
Als Vollzeit-Klimaaktivist*innen sind wir jederzeit bereit, in unserem stressigen urbanen Alltag Bäume oder Bagger zu besetzten, in der Not auch mehrere Tage. Daher erkennst du uns an praktischer Funktionskleidung und teuren Windjacken. In den vielen Taschen unserer Outdoorhose findet sich ganz sicher nicht nur ein veganer Müsliriegel, sondern auch ein Taschenmesser. Die Farben der Wahl sind in der Tendenz bunt, denn wir treten der Außenwelt aufgeschlossen und fröhlich gegenüber. Außerdem sieht das auf den Fotos, wo wir Bäume umarmen, sehr viel besser aus. Die Regenjacke ist immer dabei, der Schlafsack lässt sich auf die Größe einer Getränkedose zusammenfalten. Wir sind naturverbunden und verbringen auch unsere Freizeit am liebsten im Wald, auf einer Fahrradtour oder in einem Gemüsegarten. Da der Klimawandel nicht auf die Fertigstellung unseres Bachelors wartet, schreiben wir unsere Thesen auf bunte T-Shirts. Das sind übrigens die einzigen Klamotten, die wir ausnahmsweise mal neu kaufen. Die wurden ja auch CO2-neutral, bio und fair produziert und der Gewinn geht in die Soli-Kasse.
TYP B: Weltoffen und ressourcenschonend – Die Hippies
Sie dürfen auf keinem Klimacamp fehlen: Die bunten Wallehosen, orientalische Schals und Batikshirts aus dem Ethnoladen deines Vertrauens. Hier zeigen wir unsere Weltoffenheit, unsere Verbundenheit mit anderen Kulturen und dass wir selbstverständlich schon mit den Massai Kühe gehütet haben. Wir haben keine Angst vor Gruppenmeditationen, Yoga vor dem Frühstück und gewaltfreien Emo-Runden. Unsere Kleidung haben wir getauscht oder sehr günstig auf dem Flohmarkt erstanden und eigentlich sehen wir den Menschen sowieso mit dem Herzen, weshalb es natürlich egal ist, wie du aussiehst. Viele von uns finden auch, dass man sich auch bei 35 Grad nicht jeden Tag duschen muss, wir sind schließlich ressourcenbewusst. Dabei kommt es leider immer wieder zu einigen modischen Fehltritten wie Dreadlocks, die bei Weißen meistens nicht nur dumm aussehen, sondern auch politisch irgendwie daneben sind. Dafür tragen Hippies auf dem Camp gerne eine Ukulele bei sich oder halten jederzeit eine warme und lange Umarmung für dich bereit. Danach gibt es Yogi-Tee und Räucherstäbchen.
TYP C: Queer is the new Black
Der neueste Trend auf den Klimacamps setzt sich zusammen aus vielen Einflüsse der queer-feministischen Bewegung. Die politische Grundüberzeugung ist bei vielen von uns sowieso schon vorhanden, nun werden auch die äußerlichen Trends dieser politischen Szene immer sichtbarer. Männer in Röcken, sehr viel Glitzernagellack bei allen Geschlechtern, pinke Fahnen, Undercuts und Septum-Piercings. Nicht zuletzt die solidarische Praxis, alle Geschlechter müssen immer T-Shirts tragen, hat in den letzten Jahren zu kreativen Oben-Mit-Trends geführt: Mit Gaffaband beklebte Nippel, Netzshirts und Spaghettiträger bei Cis-Männern prägen das Bild genau so wie Bad-Ass-Grrrls, die mit dem Gabelstapler über das Camp brettern. Denn wir wollen eben unsere ausbeuterischen Lebenspraxen verändern und so rütteln wir auch mit unseren modischen Statements ordentlich am patriarchalen Mackertum. Der Hambacher Forst macht es vor – mit einem queeren Eroktikkalender. Nachts tanzen wir dann alle schreiend „Shine bright like a Diamond“ in der Disco-Bar und bewerfen uns mit Seifenblasen.
Am Ende sind wir alle gleich – rein in die uniformen Anzüge!
Doch am Ende kommen wir zusammen und vereinen uns auch optisch als entschlusskräftige Masse. Mit vielen erobern wir die Orte der Zerstörung und blockieren mit unseren Körpern dort, wo die Klimakrise produziert wird. Die weißen Maleranzüge sind hier das einende und klassenüberwindende Outfit der Wahl, welches uns als Kollektiv zusammenschweißt und am Ende alle gleich macht. Deshalb kommen bei uns nicht nur junge Naturburschis, bunte Hippies und queere Feminazis mit, sondern auch ältere Semester in Karohemd und die Antifas im Poloshirt.
Auf den Fotos unserer Aktionen können wir uns nur noch an den unterschiedlichen Wanderschuhen erkennen – die Polizei wiederum sieht nur noch weiß. Denn unsere Persos haben wir leider zufällig im Bioladen um die Ecke vergessen.
Aktivistin J. ist seit vielen Jahren in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv, dort vor allem bei der Kampagne „Ende Gelände“. Zurzeit beschäftigt sie sich damit, wie sie massenhafte Proteste gegen die Autoindustrie auf die Beine stellen können.

Protest, sehr gerne. Aber bitte im Poloshirt – Die post-autonome Antwort: Die Lorbeer-Linke