In Deutschland wird von Treffen in Kleingruppen abgeraten. Das ist richtig, um die Ausbreitung des Corona-Virus zu verlangsamen. Über 40.000 geflüchtete Menschen befinden sich laut EU-Kommission aktuell auf den griechischen Inseln, darunter viele unbegleitete Jugendliche. Im auf 2000 bis 3000 Menschen ausgelegten Camp Moria auf Lesbos in Griechenland leben momentan ca. 20.000 Menschen auf engstem Raum ohne ausreichende Hygiene- oder Wasserversorgung. Gleichzeitig setzt die deutsche Regierung Reseattlement-Programme aus, die Menschen aus Krisensituationen befreien. Was ist schon eine Kleingruppe von Zehntausenden?
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Ironisch, dass diese Solidarität scheinbar an Europas Außengrenzen zu Ende geht.
#LeaveNoOneBehind fordert die Seebrücke, nachdem die Bundesregierung zum Eindämmen der Corona-Krise die Reseattlement-Programme aussetzt, bei denen seit 2012 jedes Jahr ca. 5000 Menschen aus Krisenregionen in Deutschland aufgenommen werden. Seit Ausbruch der Corona-Krise sprechen Bundeskanzlerin Merkel und die Bundesregierung immer wieder von dringend erforderlicher Solidarität. Rettungspakete für Unternehmen können geschnürt werden, deutsche Urlauber*innen, die auf öffentlich-rechtlichen Medienkanälen erzählen, ihnen ginge es in Hurghada ja eigentlich gerade ganz gut, werden für 50 Millionen Euro mit Sondermaschinen aus verschiedenen Ländern zurück nach Deutschland geholt.
Ironisch, dass diese Solidarität scheinbar an Europas Außengrenzen zu Ende geht. Alles menschenmögliche müsste nun getan werden, erklärt auch Anja Sportelli von der Seebrücke in einer Pressemitteilung: “Wir verurteilen zutiefst, dass die Corona-Pandemie von der Regierung zum Anlass genommen wird, selbst die bereits vorhandenen Hilfen für Menschen auf der Flucht einzustellen. Anstatt weitere Anstrengungen zu unternehmen, Menschen nicht nur aus menschenunwürdigen, sondern inzwischen auch lebensgefährlichen Situationen herauszuholen, wird jede humanitäre Hilfe eingestellt.”
Es herrscht dort Rechtlosigkeit, wo Solidarität und Menschlichkeit am dringendsten gebraucht werden.
Auf ihrer Website findet die Seebrücke klare Worte zur aktuellen Situation:
“Wie lange kann es ein Mensch unter unmenschlichen Bedingungen an der EU-Außengrenze aushalten? Die Zustände in den Lagern auf den griechischen Inseln spitzen sich seit Jahren zu. Schutzsuchende auf den griechischen Inseln und an der Grenze sind massiver Gewalt und systematischer Willkür ausgesetzt. Griechenland und die EU haben in den letzten Wochen grundlegende Menschenrechte und das Recht auf Asyl faktisch abgeschafft. Menschen auf der Flucht werden beschossen, die Bedingungen in Camps wie Moria bleiben absichtlich menschenunwürdig, weil die EU Schutzsuchende abschrecken will. Es herrscht dort Rechtlosigkeit, wo Solidarität und Menschlichkeit am dringendsten gebraucht werden. Die Situation in den überfüllten Lagern ist katastrophal, es fehlt an allem: Von medizinischer Hilfe bis zu hygienischer Grundversorgung. Gefangen und isoliert auf den Inseln sind die Menschen der Pandemie schutzlos ausgeliefert. Denn Schutzmaßnahmen, die auf dem europäischen Festland getroffen werden, sind dort schlicht unmöglich.”
Bis zu 1300 Menschen teilen sich in Moria einen Wasserhahn, Seife ist nicht erhältlich. Ohne angemessene medizinische Versorgung stellen Jugendliche im Camp selber Atemschutzmasken nach Anleitung der Weltgesundheitsorganisation her, versuchen über die Gefahren des Virus‘ aufzuklären. Auch Florian Westphal, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen, sagt, ein Ort wie Moria sei der perfekte Nährboden für einen Virus.
Wenn man in Deutschland nicht explizit nach Informationen zu der Situation von geflüchteten Menschen zwischen Türkei und Griechenland sucht, findet man zwischen all dem Corona-Input kaum noch etwas. Über die Situation auf Lesbos wurde in den letzten Tagen nicht in der 20-Uhr-Tagesschau berichtet, Angela Merkel machte keine Fernsehansage, in der angesprochen wird, was mit diesen Menschen nun passiert. Selbst bei einem Brand, der vor einigen Tagen in Moria ausbrach und bei dem ein Mädchen starb, blieb die mediale Empörung gering. Während dort ein Kind zu Tode kam, kursieren im Internet weiter Fotos von leer gekauften Supermarktregalen, die Panik machen. Empörung über die Ignoranz europäischer Politik? Fehlanzeige.
Reseattlement-Programme müssen wieder aufgenommen werden
Die Seebrücke macht ihre Forderungen klar: Reseattlement-Programme müssen wieder aufgenommen werden, humanitäre Korridore offen bleiben und geflüchtete Menschen in Camps ohne Quarantäne-Möglichkeit sofort evakuiert werden. Auch sich in Quarantäne befindende Mitmenschen ruft die Seebrücke auf, sich solidarisch zu erklären und sich Protestaktionen anzuschließen: Sei es ein Tweet-Storm mit dem Hashtag #LeaveNoOneBehind, einen peopleless protest zu starten oder Bundestagsabgeordneten Briefe zu schreiben, um Druck zu machen. Niemand darf in Vergessenheit geraten.